Menschen

Beyond the Wilderness

Das finnische Designerpaar Mia Wallenius und Klaus Haapaniemi

Wer dachte, finnisches Design sei immer von klarer Form, farblich zurückhaltend und weitgehend ohne Dekor, der irrt. Mia Wallenius und Klaus Haapaniemi brechen mit ihren Entwürfen aus der nordischen Strenge aus und emanzipieren sich von den allgegenwärtigen Traditionen. Dass ihre Teppiche, Überwürfe, Kissen und Accessoires geradezu überquellen vor Fantasie und Freude am Spiel mit Farben und Mustern, kann man aktuell in einer Ausstellung in Berlin sehen. Ein Rundgang mit dem finnischen Designerpaar.

von Claudia Simone Hoff, 01.09.2022

Denkt man an finnisches Design, dann gemeinhin an Gestalter*innen wie Timo Sarpaneva, Tapio Wirkkala, Alvar Aalto, Harri Koskinen und Johanna Gullichsen. An natürliche Materialien wie Holz, Glas und Leinen, zurückhaltende Formen, Farben und Muster. An altehrwürdige Hersteller wie Iittala, Arabia, Marimekko und Artek. Doch seit einigen Jahren befreien sich immer mehr Designer*innen von den über allen schwebenden Traditionen und überraschen mit Entwürfen, die sich auch an wilde Farben und Muster wagen und zuweilen sogar dem Luxus frönen – so wie Klaus Haapaniemi und Mia Wallenius.

Von Finnland in die ganze Welt
Das Designerpaar – beide Jahrgang 1970 – ist jahrelang durch die Welt getingelt, hat in Italien und London gelebt. Ihr Arbeitsfeld war ebenso vielfältig: Während Mia Wallenius als Art-Direktorin für das italienische Modelabel Diesel und die Gucci Group (heute Kering) arbeitete, war Klaus Haapaniemi als Grafikdesigner, Gestalter von Bühnenkostümen für die finnische Nationaloper und Weihnachtsdekorationen für eine japanische Kaufhauskette tätig oder entwarf Produkte für Hersteller wie Iittala. Vor zwölf Jahren dann machten sie sich selbständig und gründeten ihr eigenes Label für Home und Fashion: Klaus Haapaniemi & Co. Und hatten dabei den Vorteil, bereits bestens vernetzt zu sein in der Branche. Deshalb sei die Gründung des eigenen Unternehmens auch ganz ohne Risiko gewesen, sagt Klaus Haapaniemi, als wir ihn im Felleshus der Nordischen Botschaften in Berlin treffen.

Kreativ-Hub Berlin
Kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie ist das Paar nach Berlin gezogen, pendelt zwischen der deutschen Hauptstadt und Helsinki, wo sich ihr Studio mit vier Mitarbeiter*innen befindet. Daneben arbeiten sie von Tampere aus, wo sie auch die Zeit der Pandemie verbracht haben. London haben sie nach 15 Jahren verlassen, des Brexits wegen, aber auch, um etwas Neues zu wagen. „Wir wollten zentraler als in Großbritannien wohnen“, sagt Haapaniemi. Und Wallenius wirft ein, dass Berlin ganz anders sei als die Orte, an denen sie bisher gewohnt haben, und sehr inspirierend für den kreativen Prozess noch dazu.

Fabelhafte Designwelten
Organisiert von der Finnischen Botschaft, findet in Berlin gerade die Schau Beyond the Wilderness – eine fabelhafte Designausstellung von Klaus Haapaniemi & Co. statt. Auch wenn nur wenige Ausstellungsstücke zu sehen sind, zeigen sie doch sehr gut die ganze Bandbreite des gestalterischen Schaffens von Wallenius und Haapaniemi. Auf der einen Seite präsentieren seidene Kleider eine Fülle von Farben und Mustern, die mit Fabelwesen und Blüten geradezu poetisch anmuten – und verankert sind in der finnischen Folklore und sagenhaften Natur sowie der englischen Arts-and-Crafts-Bewegung. Dem gegenübergestellt sind Dekorentwürfe des Designerpaars: handgedruckte Stoffe und Tapeten, die sie unter ihren eigenen Namen als Home Collection herausbringen (und die sich gerade besonders gut verkaufen), neben der Mode- und Accessoires-Kollektion das zweite Standbein des Unternehmens. Dafür arbeiten Wallenius und Haapaniemi mit Produktionsstätten in Finnland, Estland, Italien und Großbritannien zusammen. Die Entwürfe werden im Flagship-Store in Helsinki, in High-End-Kaufhäusern und im eigenen Webshop verkauft, wobei der japanische Markt sehr wichtig für das Label ist.

Unangefochtener Eyecatcher der Ausstellung ist ein großer, in Finnland handgefertigter Teppich – ein Einzelstück mit Einhörnern und schlanken Birkenstämmen. Daneben zeigen Wallenius und Haapaniemi Arbeiten, die für andere Hersteller entstanden sind. Auch dabei arbeiten sie gern mit handwerklichem Fokus, wie ihr aktueller Entwurf für Golem zeigt. Die beiden Finnen fanden die Keramikfliesen des Brandenburger Herstellers so spannend, dass sie selbst eine Zusammenarbeit anfragten, erzählen sie, als wir auf der Terrasse der Nordischen Botschaften sitzen. Neben poetischen Glasarbeiten für die schwedische Glashütte Målerås überrascht Klaus Haapaniemi & Co auch mit einem selbst gestalteten Etikett für den Klaus Riesling des Weinguts Becker, dessen üppige ornamentale Verzierung durch einen Hirschen gekrönt wird. Die wohl bekanntesten und auch kommerziell sehr erfolgreichen Entwürfe von Klaus Haapaniemi fehlen indes in der Ausstellung: zwei Dekore, die für Iittala entstanden sind. Während das Muster der Kollektion Tanssi von der Oper Das Schlaue Füchslein inspiriert ist, für die der studierte Grafikdesigner die Kostüme entwarf, zeigt die Taika-Serie Haapaniemis überbordende Fantasie mit Fabelwesen, abstrahierten Blüten- und Blumenmotiven – und offenbart die gestalterischen Wurzeln des Designers.

Holistischer Gestaltungsansatz
Mia Wallenius und Klaus Haapaniemi gehören zu den wenigen Designer*innen, die es geschafft haben, ein eigenes Label zu gründen, sich unabhängig zu machen von großen Herstellern und damit erfolgreich zu sein – noch dazu in sehr unterschiedlichen Bereichen wie Interior- und Modedesign. Das funktioniert auch deshalb so gut, weil Haapaniemi vor allem entwirft und Wallenius für die geschäftliche Seite des Labels zuständig ist. Auf den ersten Blick zurückhaltend, strahlen beide etwas Kraftvolles und Energetisches aus. Sie haben einen holistischen Blick auf das Design, egal ob es sich um Kissen, Überwürfe, Teppiche und Textilien für den Wohnbereich oder Kimonos, Kleider, Tücher und Mode-Accessoires handelt. „Es war Zeit, mal etwas anderes zu machen“, sagt Haapaniemi und Wallenius ergänzt: „Wir wussten, dass wir es besser machen können als die großen Unternehmen.“ Wenig überraschend, dass sie es abgelehnt haben, eine Kollektion für Ikea zu entwerfen.

Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Links

Klaus Haapaniemi & Co

klaush.com

Beyond the Wilderness

Ausstellung im Felleshus der Nordischen Botschaften, Berlin. Bis 25. September 2022

nordischebotschaften.org

Mehr Menschen

Zwischen Euphorie und Askese

Studiobesuch bei Karhard in Berlin

Studiobesuch bei Karhard in Berlin

New Kids on the Block

Interior- und Designstudios aus Berlin – Teil 2

Interior- und Designstudios aus Berlin – Teil 2

New Kids on the Block

Interior- und Designstudios aus Berlin

Interior- und Designstudios aus Berlin

Puzzle für die Wand

Interview mit Paolo Zilli, Associate Director bei Zaha Hadid Architects

Interview mit Paolo Zilli, Associate Director bei Zaha Hadid Architects

In Räumen denken

Vorschau auf die Boden- und Teppichmesse Domotex 2024

Vorschau auf die Boden- und Teppichmesse Domotex 2024

„Ich betrete gerne Neuland“

Ein Gespräch über Akustik mit der Architektin Marie Aigner

Ein Gespräch über Akustik mit der Architektin Marie Aigner

„Die Küche ist ein emotionaler Ort“

Ein Gespräch mit der Kochbuchautorin Meike Peters

Ein Gespräch mit der Kochbuchautorin Meike Peters

„Bugholz ist eine Diva“

Designer Marco Dessí über den Polsterstuhl 520 für Thonet

Designer Marco Dessí über den Polsterstuhl 520 für Thonet

Objektstoffe mit Funktion

Kai Hofmeister von Delius über smarte Textilien

Kai Hofmeister von Delius über smarte Textilien

Der Geschichtenerzähler

Ein Gespräch mit dem Pariser Innenarchitekten Hugo Toro

Ein Gespräch mit dem Pariser Innenarchitekten Hugo Toro

Vier gewinnt

Ein Studiobesuch bei Fyra in Helsinki

Ein Studiobesuch bei Fyra in Helsinki

„Alles entspringt aus dem Ort“

Studio Wok aus Mailand im Interview

Studio Wok aus Mailand im Interview

Ukrainische Perspektiven #3

Interview mit Interiordesigner Oleksandr Maruzhenko von Men Bureau

Interview mit Interiordesigner Oleksandr Maruzhenko von Men Bureau

Der Fliesenmacher

Wie Edgard Chaya in Beirut eine Zementfliesenfabrik aufbaute

Wie Edgard Chaya in Beirut eine Zementfliesenfabrik aufbaute

Aus Liebe zum Holz

Benno Thaler von Zitturi über Massivholz in der Architektur

Benno Thaler von Zitturi über Massivholz in der Architektur

Zukunftsweisende Ergonomie

Interview mit Kim Colin von Industrial Facility

Interview mit Kim Colin von Industrial Facility

Menschliche Räume

Der Mailänder Innenarchitekt Hannes Peer im Gespräch

Der Mailänder Innenarchitekt Hannes Peer im Gespräch

Ukrainische Perspektiven #2

Der Architekt Slava Balbek von balbek bureau im Gespräch

Der Architekt Slava Balbek von balbek bureau im Gespräch

Authentische Raumcollagen

Ein Gespräch mit dem Modiste-Gründer Marick Baars

Ein Gespräch mit dem Modiste-Gründer Marick Baars

Die Couch-Versteher

Dario Schröder über die Erfolgsstory von Noah Living

Dario Schröder über die Erfolgsstory von Noah Living

Startpaket für nachhaltige Innenarchitektur

Ein Gespräch mit BDIA-Präsidentin Pia A. Döll

Ein Gespräch mit BDIA-Präsidentin Pia A. Döll

Nordische Poesie

Das Büro Space Copenhagen im Gespräch

Das Büro Space Copenhagen im Gespräch

Neues Leben für alte Möbel

Über die gelebte Kreislaufwirtschaft bei Girsberger

Über die gelebte Kreislaufwirtschaft bei Girsberger

Sinnhaftigkeit durch Nachhaltigkeit

Steffen Kehrle über seine neue Kollektion für Brunner

Steffen Kehrle über seine neue Kollektion für Brunner

Material als Leitfaden

Nachruf auf die Designerin Pauline Deltour (1983-2021)

Nachruf auf die Designerin Pauline Deltour (1983-2021)

Die junge Internationale

Kuratorin Anniina Koivu über die The Lost Graduation Show auf dem Supersalone

Kuratorin Anniina Koivu über die The Lost Graduation Show auf dem Supersalone

Slow Hospitality

Gespräch mit dem Hotel-Pionier Claus Sendlinger über moderne Begegnungsorte

Gespräch mit dem Hotel-Pionier Claus Sendlinger über moderne Begegnungsorte

Stephanie Thatenhorst

Die Münchner Innenarchitektin erklärt ihren gestalterischen Instinkt

Die Münchner Innenarchitektin erklärt ihren gestalterischen Instinkt