„Bugholz ist eine Diva“
Designer Marco Dessí über den Polsterstuhl 520 für Thonet
Partner: Thonet
Mit Bugholz kannte sich Marco Dessí überhaupt nicht aus, als Thonet ihn mit dem Entwurf eines neuen gepolsterten Stuhls beauftragte. Dafür hatte er aber bereits einige Erfahrung mit der Arbeit an Polstermöbeln gesammelt, etwa für das österreichische Unternehmen Wittmann. Zum Design war der Südtiroler ursprünglich über das Handwerk gekommen: Nach einer Ausbildung zum Zahntechniker baute er Modelle für Architekt*innen. Sie ermutigten ihn, an der Universität der Angewandten Kunst in Wien Design zu studieren. Ein Gespräch über den Stuhl „520“, die Eleganz der Konstruktion und darüber, was eigentlich „typisch Thonet“ ist.
Was war Ihr erster Gedanke, als Thonet Ihnen eine Zusammenarbeit vorschlug?
Ich dachte: Super, natürlich! Auf die erste Akquisitionsfreude folgte aber sofort ein Moment der Angst. Kann ich einfach loslegen und schauen, was mir gefällt? Was macht Thonet denn aus? Es dauerte dann recht lange, bis wir etwas gefunden hatten, was die Thonet-DNA in sich trug. Am Anfang mussten wir einige Entwürfe verwerfen.
Was macht Thonet denn aus – in Ihren Augen?
Thonet ist ja kein Möbelverleger in dem Sinn, dass sie einfach Trends folgen. Sie haben zweimal die Geschichte des Stuhls revolutioniert: einmal mit Bugholz, einmal mit Stahlrohr. Dementsprechend zieht sich dieses Erbe durch die ganze Kollektion. Das macht es schwierig, etwas hinzuzufügen, das in dieser Tradition steht, aber auch zukunftsweisend ist für das Unternehmen. Ein zeitgeistiger Umgang mit dem Erbe. Dass man es von jeglicher Nostalgie befreit, das war eigentlich die größte Herausforderung.
War Bugholz von vornherein gesetzt?
Nein. Es sollte ein Polsterstuhl werden, das war klar. Das Bugholz als Material ergab sich dann aus der Studie der Thonet-Klassiker, vor allem des 209 (Bugholz-Armlehnstuhl von 1900, Anm. d. Red.). Die Idee war, gepolsterte Flächen als strukturelle Elemente zu verwenden. Und dabei die Leichtigkeit des 209 zu erhalten.
Was macht den 520 zu einem Thonet?
Auf den ersten Blick erkennt man das Element, das wir vom 209 entlehnt haben: die Hinterbeine, die verbunden sind zu einem Fenster. Das hat diese unverkennbare Leichtigkeit des Kaffeehausstuhls, die so typisch Thonet ist. Viele Entwürfe von Thonet sind ja hybrid, sie bewegen sich zwischen verschiedenen Welten. Zwischen dem Wohnbereich und halböffentlichen Bereichen bis hin in die gehobene Gastronomie, ins Fine Dining. Ein Thonet passt überall hin.
Hat die Öffnung im Rücken auch praktische Vorteile?
Ein Vorteil ist, dass dieses Fenster zur Griffmulde wird. Ideal für die Gastronomie, weil man beim Verrücken nicht die Polsterteile anfassen muss. So altert der Stuhl auch schön. In dem Moment, wo man diesen Bügel in die Hand nimmt, um den Stuhl zu verschieben, hat man 200 Jahre Thonet-Tradition in der Hand – obwohl es ein ganz neuer Stuhl ist.
Typisch für Bugholzmöbel ist auch, dass sie oft aus nur wenigen Teilen bestehen. Gilt das für den 520 ebenfalls?
Ja! Der 520 greift auf die für Thonet typische Konstruktion des Sitzes zurück, die ringförmige Zarge, die zentral ist für die Statik des Stuhls. Sie nimmt sehr viele Kräfte auf. Der 520 ist ein Entwurf, mit dem ich mich zu hundert Prozent identifizieren kann. Auch wenn er einen hohen Wiedererkennungswert als Thonet-Stuhl hat, würde ich sagen, dass er dennoch meine Handschrift trägt. Mir ist ein konstruktiv eleganter Umgang mit der Aufgabe wichtig. Meine Entwürfe sollen so wirken, als könnte man sie in die einzelnen Bauteile zerlegen und wieder zusammenfügen.
Woher stammt dieser Anspruch?
Vielleicht, weil ich ursprünglich aus einem technischen Beruf komme. Mir gibt das ein gutes Gefühl, wenn die Dinge im richtigen Gleichgewicht zueinander stehen. Das eröffnet zugleich Raum, um aus den konstruktiven Elementen Details herauszuarbeiten. Aus der Notwendigkeit heraus, ein Ding einfach schön und elegant zu lösen. Wenn ein komplexer Entwurf nicht bemüht wirkt, man ihm die ganze Arbeit nicht ansieht, die in seiner Entwicklung steckt. Bei einem Stuhl, der sich in seine Bauteile zerlegen lässt, kann man auch jedes einzelne Element erneuern, austauschen oder restaurieren – ein sehr nachhaltiger Ansatz, den Thonet eigentlich schon immer hatte!
Was war denn die größte Herausforderung in der Entwicklung?
Wir haben unterschätzt, wie widerspenstig Bugholz sein kann. Vor allem, wenn man es zwingen möchte, sich mit anderen Materialien zu verbinden, die nicht so widerspenstig sind. Die Sperrholzschale, die in ihrer Kontur ein gewisses Spiel hat. Der gebogene Sitzring, der auch Toleranzen hat – haben muss. Und dann die Diva des Ganzen: Das Bugholzelement muss sofort eingespannt werden, nachdem es aus der Form kommt. Damit es sich nicht in alle Richtungen verwindet und alle Teile schlussendlich sauber zusammengefügt werden können. Das war eine große Herausforderung.
Gibt es noch etwas, was Sie über Bugholz gelernt haben im Designprozess?
Die Bugholz-Klassiker sind äußerst widerstandsfähig. Auch wenn die Schrauben fast schon herausfallen, stehen die Möbel immer noch. Sie sind wirklich sehr gut durchdacht. Und ich habe versucht, die Formensprache, die das Bugholz verlangt, in den Entwurf einfließen zu lassen. Also diese weichen Linien und auch diese Öffnung, die ein wenig an eine Blüte erinnert. Dieser Formensprache habe ich mich eigentlich erst über dieses Projekt genähert, das war nicht typisch für mich. Durch die Arbeit am 520 habe ich meine Formensprache gelockert, sie ist weicher geworden.
Warum ist ein so traditionsreiches Verfahren wie das Bugholz heute noch relevant?
Es gibt eine emotionale Relevanz. Das Biegen ist ein technisches Verfahren, dass der Natur nachempfunden ist. Doch es ist nicht ganz durchrationalisiert. Zwar lässt sich das Holz verformen, aber es macht nicht alles mit. Ab einem gewissen Punkt lässt es sich nicht mehr weiter biegen. Auch wenn ein Bugholzmöbel sehr rational und konstruktiv gedacht ist, versprüht es deshalb eine Menschlichkeit und Natürlichkeit. Das empfinden wir als positiv, das löst Wohlbefinden bei uns aus.
Wie entwirft man ein komfortables Sitzmöbel?
Komfort fängt im Kopf an. Im Idealfall empfindet man ein Möbel schon als komfortabel, bevor man sich reinsetzt. Als Designer muss man schaffen, dass der Mensch ausprobieren will, wie es sich in einem Stuhl sitzt. Dann hat man schon viel erreicht.