Vier gewinnt
Ein Studiobesuch bei Fyra in Helsinki
Ob Hotels, Restaurants oder Retail: Die Projekte des finnischen Designstudios Fyra changieren zwischen skandinavischer Zurückhaltung und opulentem Glamour. Wir haben die vier Gründerinnen in ihrem Studio über den Dächern von Helsinki besucht.
In Finnland scheint die Dichte von weiblich geführten Interiordesignstudios besonders hoch zu sein. Dabei ist Fyra neben Joanna Laajisto eines der erfolgreichsten Unternehmen, das insbesondere mit aufwendigen Hospitality-Projekten wie dem gerade wiedereröffneten Hotel Torni auf sich aufmerksam macht. Niina Sihto, Tiina Närkki, Eva-Maria Eriksson und Hanna Neuvo haben Fyra 2010 in Helsinki gegründet. Außer Hanna Neuvo haben alle Interiordesign in der finnischen Metropole studiert. Vor der Gründung des eigenen Unternehmens hatten die vier Frauen im selben Unternehmen gearbeitet und Erfahrungen in den Bereichen Interiordesign – vor allem im Hoteldesign – sowie im Finanzwesen gesammelt. „Wir haben insbesondere zu Beginn unserer Selbständigkeit sehr viel Zeit in den Bereich Sales investiert“, erklärt Hanna Neuvo das rasche Wachstum des Unternehmens. Arbeiteten sie zu Beginn nur zu viert an den Projekten, beschäftigen sie inzwischen knapp dreißig Mitarbeiter*innen, darunter auffällig viele Frauen.
Über den Dächern von Helsinki
Das Studio von Fyra liegt im obersten Stockwerk eines großen Gebäudekomplexes gleich gegenüber des ehemaligen Container- und Kreuzfahrthafens, der sich seit einigen Jahren in einem umfassenden städtebaulichen Wandel befindet. In dem imposanten Gebäude arbeiten viele Unternehmen aus der Kreativindustrie. Die hellen Räume von Fyra sind behaglich eingerichtet, es herrscht ein geschäftiges Treiben zwischen üppigen Grünpflanzen und Mobiliar von Artek und Nikari. Die vier Frauen sind immer auf der Suche nach neuen Möbeln, Objekten und Leuchten, die sie vor dem Einsatz in Projekten gern selbst vor Ort ausprobieren, wie sie beim Gespräch erzählen. Eine wohnliche Küche lädt zum Plausch ein, der Hundewelpe von Tiina Närkki sorgt zusätzlich für ein gutes Betriebsklima. Außerdem gibt es akustische Boxen, in die man sich zurückziehen kann, um in Ruhe zu telefonieren.
Umgestaltung einer Architekturikone
In Helsinki hat Fyra in den letzten zwei Jahren an der prestigeträchtigen Umgestaltung von zwei denkmalgeschützten Architekturikonen gearbeitet. Das Hotel Torni aus den Dreißigerjahren und das Restaurant Kappeli von 1867 befinden sich beide im Zentrum von Helsinki nur einen Steinwurf voneinander entfernt. Während Studio Joanna Laajisto die 154 Zimmer des Hotel Torni einrichtete, kümmerte sich Fyra um das Interiordesign der öffentlichen Räume des 1931 eröffneten Hotels – einschließlich der Ateljee-Bar, die sich in den obersten zwei Etagen des Turmgebäudes befindet und einen schönen Blick auf die Stadt bietet. Das gesamte Gebäude wurde saniert und technisch auf den neuesten Stand gebracht, wobei historische Elemente wie das Treppenhaus aus Naturstein, die alten Fahrstühle, Kachelöfen und Holztüren erhalten und überarbeitet wurden. Bereits in der Lobby offenbart sich die Grundstimmung der Neugestaltung, die sich durch alle öffentlichen Räume zieht: Fyra hat ein elegantes Ambiente geschaffen, das dennoch behaglich wirkt – mithilfe einer dunklen Farbpalette, einem haptisch interessanten Materialmix, wilden Mustern, Designermöbeln, maßgefertigten Einbauten und Bodenbelägen aus italienischen Keramikfliesen im opulenten Naturstein-Look. Gemälde, Skulpturen und Fotografien aus der hoteleigenen Kunstsammlung bringen einen individuellen Touch ins Interior.
Entwerfen im Bestand
Für das Kappeli genannte Restaurant und Café an der Esplanade von Helsinki hat Fyra nicht nur einen gleichnamigen Stuhl entworfen. Ein besonderer Fokus wurde auf die Integration der vorhandenen Kunstwerke in das Interiordesign sowie auf die Lichtplanung gelegt. Sie hebt die historischen Elemente des eleganten Gebäudes mit dem gläsernen Wintergarten hervor. Zuvor hatte Fyra bereits die Neugestaltung des Original Sokos Hotel Vaakuna in Helsinki umgesetzt, das sich ebenfalls in einem Bestandsbau befindet – in markanter städtebaulicher Lage gleich neben dem Hauptbahnhof. Auch dort ist es Fyra gelungen, dass die neuen Innenräume die Architektursprache des Gebäudes aus den frühen Fünfzigerjahren interpretiert, ohne historisierend zu wirken. Maßgefertigte Einbaumöbel – wie beispielsweise das in einen Himmel übergehende Betthaupt – schaffen Wiedererkennbarkeit, indem sie die markante, geschwungene Architektur widerspiegeln. Die original erhaltenen Vogel-Reliefs aus der Lobby tauchen auch in den Zimmern auf.
In die Welt hinaus
Dass die vier Gründerinnen von Fyra ziemlich ambitioniert sind, wird in unserem Gespräch schnell klar. Bisher haben sie die meisten ihrer Projekte in Finnland umgesetzt, doch das soll sich ändern. Fyra will seine Expertise im Hospitality-Bereich ausbauen und ins Ausland expandieren. Dazu passt, dass das Studio gerade an einem Restaurant-Projekt in Berlin-Mitte arbeitet. Schon während der eigentlich schwierigen Zeit der Pandemie sei das Unternehmen gewachsen, sagt Niina Sihto. Das liegt vor allem daran, dass Fyra immer größere Projekte umsetzt. Zudem können sich die Gründerinnen vorstellen, mehr im klassischen Produktdesign zu arbeiten. Bereits jetzt entwirft Fyra für viele Projekte neben den Einbaumöbeln auch lose Möbelstücke wie Stühle und Bänke. Manchmal kommt es vor, dass diese Entwürfe anschließend in Serienproduktion gehen, wie die Kollektion Boa mit Sesseln und Bänken für den finnischen Möbelhersteller Lepo Products zeigt. Dass die vier Frauen nichts dem Zufall überlassen, wird deutlich, als wir sie nach künftigen Projekten fragen. „Wir arbeiten gerade an einer neuen Strategie, sozusagen an einem Fyra 2.0“, sagt Hanna Neuvo. „Als Unternehmen muss man sich immer wieder neu erfinden“, ergänzt ihre Kollegin Eva-Marie Eriksson.