Newcomer

Interview: Susanne Philippson

von Tanja Pabelick, 16.04.2008

Susanne Philippson begann ihr Möbeldesign-Studium 1998 in London, ging zwischendurch für ein Austauschsemester nach Finnland und wechselte 2000 an die Design Academy Eindhoven in den Studiengang Produktdesign. Zwischendurch war legte sie Stopps in Berlin und Tokyo ein, bis sie sich 2005 endgültig in Berlin niederließ. Schon während ihres Studiums entwarf sie ein Containermöbel für Habitat und ein T-Shirt für droog design, ein Teil ihrer Diplomarbeit war gleichzeitig eine Kooperation mit dem Leuchtenhersteller Palucco, der „Guardian of Light“ bis heute vertreibt und gerade in einer zweiten Version vorgestellt hat.
Wir haben Susanne Philippson in ihrem Studio in Berlin besucht und mitten in den Vorbereitungen für die Mailänder Möbelmesse angetroffen.
Du bist direkt nach der Schule nach London gezogen und hast dort sofort angefangen Design zu studieren. Das klingt nach einer konsequenten Lebensplanung.
Den Entschluss, Produktdesign zu studieren, habe ich schon früh gefasst. Allerdings bin ich in einem kleinen Dorf groß geworden und hatte keine genaue Vorstellung davon, wie man das überhaupt anstellt. Gleich nach dem Abitur habe ich ganz bewusst die Entscheidung getroffen: raus aus dem Dorf und rein in die Anonymität einer metropolitanen Stadt. Das war vielleicht ein bisschen naiv, vor Ort hat sich dann aber alles gefügt: Ich bin als Au-Pair in der Familie des Designers Martin Darbyshire gelandet, der einst mit James Irvine das Designbüro „Tangerine“ gegründet hat. Parallel dazu habe ich ein Aufbaustudium absolviert und mich danach entschieden in London zu bleiben, auch weil man dort die seltene Möglichkeit hat, ganz gezielt Möbeldesign zu studieren.
Später hast Du aber noch mal gewechselt?
1999 war ich in Mailand und habe die Ausstellung der Design Academy Eindhoven gesehen. Ich war sehr beeindruckt davon, wie visionär dort gearbeitet wird. Das Studium wird nicht in die Bereiche Möbel-, Produkt-, und Interiordesign unterteilt, sondern ist interdisziplinär ausgerichtet und orientiert sich an den persönlichen Interessen der Studenten. Die Freiheit sich in allen Genres auszudrücken empfand ich als unglaublich spannend und so bin ich 2000 in die Niederlande gegangen. Das war eine harte Schule, denn am Ende eines jeden Semesters gab es keine Noten, sondern die Entscheidung: Entweder Du gehst drei Schritte zurück oder einen nach vorn. Eigentlich hatte ich gehofft mein Studium in Eindhoven schnell zu beenden, aber es hat dann noch einmal fünf Jahre gedauert. Das waren viele Schritte zurück und einige nach vorn.
Wie bewertest Du diese Zeit im Rückblick?
So ein System stärkt die Persönlichkeit und prägt den Blick auf die Dinge, die man entwickelt hat. Auch wenn einem damals die Intensität der Auseinandersetzung grenzwertig vorkam: Heute sehe ich, dass die Entwürfe diese Zeit gebraucht haben. Irgendwann mittendrin hatte ich aber dann die Eingebung: Ich muss für einige Zeit hier weg, ich muss mir meinen Lebenstraum erfüllen und nach Japan gehen …
Und da bist Du bei Muji gelandet …
Das war der Wahnsinn! Auch nach Tokio bin ich erstmal ohne eine konkrete Vorstellung oder Pläne gegangen. Sehr viele meiner Entscheidungen beruhen auf Intuition und da bin ich eigentlich nie schlecht mit gefahren. Ich hatte den Rückflug für sieben Monate später gebucht und eine Unterkunft für eine Woche. Durch Zufall bin ich in den ersten Tagen in Tokio auf die Sonderausgabe einer japanischen Designzeitschrift über Muji gestoßen und habe dort eine Abbildung meines Kirschkern-T-Shirts gefunden, das droog design gerade in seine Kollektion aufgenommen hatte. In der gleichen Zeitung war eine Anzeige von Muji geschaltet, in der das Unternehmen Designer für ihr erstes Inhouse-Design-Büro suchte. Und so hat es sich nach einigem Hin und Her ergeben, dass ich dort tatsächlich vier Monate arbeiten konnte.
Muji ist bekannt für Produkte mit einer sehr zurückhaltenden Formensprache und einer zweckmäßigen, schlichten Gestaltung. Und obwohl der Firmenname übersetzt ja soviel bedeutet wie „gute Produkte, keine Marke“ sind gerade Muji-Produkte auf den ersten Blick einer Marke zuzuordnen. Wie konntest Du Dich in die Philosophie von Muji einfinden?
Das war tatsächlich schwierig und es gab auch immer wieder Diskussionen darüber, was Muji sein soll. Muji ist in Japan etwas anderes als hier. Dort ist Muji „the basic of the basic“ und was bei uns noch Exotik suggeriert, hat dort nicht das Image eines ausländischen Designprodukts, sondern ist eine wirklich preiswerte Alternative. Die Läden sind teilweise in einem Zustand wie bei uns die schlimmsten Kaufhäuser, mit Neonröhren an den Decken. Das ist weitab von dem, was bei uns ankommt.
Nachdem Du während Deiner Ausbildung sieben Jahre um die Welt gereist bist, bist Du danach ausgerechnet nach Berlin gekommen, um hier zu arbeiten …
… in eine Stadt , in der es keine Arbeit gibt. Ja, stimmt. Aber schon vier Jahre, bevor ich mein Studium beendet hatte, war dieser Schritt für mich klar. Japan und Großbritannien sind fühlbar Inselstaaten. Das ist nicht abwertend gemeint. London ist natürlich eine visionäre Metropole, aber in Japan wurde fast ausschließlich über Japan berichtet und mir fehlte einfach der Weitblick, den wir hier im zentralen Europa meiner Meinung nach haben. Bei Berlin hatte ich das Gefühl, dass es im Designbereich einmal kribbeln würde. Und so ist es ja auch gekommen: Gerade als ich hier ankam, wurde Berlin der Titel „Stadt des Design“ verliehen und es formierten sich Netzwerke wie „create berlin“.
Wie wichtig sind denn für Dich und Deine Arbeit die Berliner Netzwerke?
Sehr wichtig. Gerade „create berlin“ ist ein tolles Format. Ich finde, in der kurzen Zeit, in der der Verein präsent war, hat er mit seinem Engagement unglaublich viel umgesetzt wie beispielsweise Ausstellungen im New Yorker MoMA, in Tokio und Moskau. Ich bin „create berlin“ kurz nach meiner Ankunft in Berlin beigetreten, weil ich das Projekt sehr unterstützenswert finde und natürlich kann ich davon auch profitieren. Für mich ist Berlin ein gutes Pflaster.
Berlin macht es einem aber auch nicht leicht, denn viele Studenten stehen hier nach dem Studium vor der Entscheidung entweder wegzuziehen, um bei einem größeren Büro einzusteigen oder sich selbstständig machen …
Ja, auch ich habe mir nach dem Studium überlegt, ob ich noch einmal in die Lehre gehen soll. Für mich war nach den Erfahrungen bei Muji klar, dass ich nicht bei einem großen Konzern einsteigen würde. Die Frage hat sich schnell von allein geklärt. Einen Teil meiner Diplomarbeit – die Möbelserie „Karakta“ – habe ich unmittelbar nach ihrer Fertigstellung in Mailand auf dem „Salone Satellite“ präsentiert und die Resonanz war fantastisch. Unter anderem kam Palucco auf mich zu und hat mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte eine Leuchte für sie zu entwickeln. Daraus entstand dann "Guardian of Light". So hatte ich einen Fuß in der Tür und bekam sofort Folgeaufträge.
Es ist eigentlich ungewöhnlich, dass man als junger, noch unbekannter Designer auf einer Messe einen Auftrag bekommt. In der Regel stellt man fertige Entwürfe aus, die dann quasi vom Stand weg gekauft werden …
Das stimmt. Ich glaube bei mir es war eine Mischung aus vielen Aspekten. Zum einen war ich wohl zur richtigen Zeit am richtigen Ort, zum anderen stimmte auch die Kommunikation. Viele junge Designer präsentieren sich auf gemeinschaftlichen Messeständen, zeigen geballte Kreativität und gehen dann im Wust unter. Ich habe mir gesagt: Ok, ich habe sowieso nur ein gutes Projekt, dann wird eben nicht mehr gezeigt. Dieser reduzierte Stand mit nur fünf Möbelstücken wirkte wie eine Insel und hat in seiner Einfachheit viel geboten.
Wie arbeitest Du eigentlich?
In meiner Arbeitsweise bin ich noch ganz alte Schule, denn ich bin noch am Zeichenbrett unterrichtet worden. Skizzen und Modelle sind für mich das Mittel, um Dinge festzuhalten. Wenn ich eine Leuchte entwickle, mache ich alles mit Proportionsmodellen. Meine Erfahrung ist: Wenn man die Dinge zu früh mit dem Computer macht, verkennt man oft die Proportionen. Es gab witzige Situationen, in denen durch CAD kompletter Humbug entstanden ist. Bevor man dann bis nach Italien fahren muss, um den Humbug zu reparieren, baut man lieber noch mal ein Modell. Bei Palucco beispielsweise muss ich mir den Prototyp vor der Produktion immer noch einmal angucken. Ich bestehe darauf, dass man mich im Zimmer allein lässt und ich schaue mir alles in Ruhe an. Dann wird mit Kreppband abgeklebt oder irgendwo um zwei Zentimeter verlängert. Das ist zwar anstrengend, weil es unter Druck passiert, aber auch ein sehr schöner Prozess.
Deine Objekte sind eine Art Klassiker mit Überraschungsmoment. Man glaubt, das Objekt zu durchschauen und dann gibt es auf den zweiten Blick doch noch etwas zu entdecken. So wie bei dem Sideboard, das durch seine knallig lackierte Rückwand einen farbigen Schatten auf die Wand wirft.
Für mich sollten Objekte immer eine zweite Ebene haben. In Zeiten der Nachhaltigkeits-Diskussionen ist es für mich wichtig geworden Produkte zu entwickeln, die Emotionen wecken. Man muss es irgendwie schaffen, dass man sich auch nach zwei Jahren noch an einem Möbel freuen kann, so dass dadurch eine Langlebigkeit entsteht. Manchmal funktioniert es aber auch nicht. Bei dem Sideboard beispielsweise braucht man eine gewisse Ruhe, um das Besondere zu entdecken. Mit solchen Entwürfen hat man es auf dem Markt schwer, weil die Botschaft sehr subtil ist.
An welchem Projekt arbeitest Du zurzeit?
Ich und einige andere Leute von „create berlin“ organisieren eine Ausstellung für die Möbelmesse in Mailand. In den letzten Jahren haben es immer nur die Japaner oder Holländer geschafft geballte Kreativität zu zeigen, an einer schlagkräftigen Präsentation aus Deutschland hat es gefehlt. Deswegen haben wir die Ausstellung „Made in Berlin“ erarbeitet, die die Arbeiten von 15 Berliner Designer zeigen wird. Die Organisation ist ein 24-Stunden-Job, allein wegen der Location war ich vier- oder fünfmal in Mailand. Die Mietpreise sind während der Messe allerdings so hoch, dass für uns schnell klar war: Wir müssen auf eine Freifläche ausweichen. Jemand hatte dann die Eingebung mit „zen dome“ – einer Firma, die geodätische Kuppelzelte herstellt – zusammen zu arbeiten. Auf das Zelt setzen wir noch eine Antenne, so dass es wie eine Art versunkener Fernsehturm aussieht. Der Fernsehturm ist eine starke und immer wieder verwendete Ikone, die den Berlin-Bezug direkt und schon von außen klar macht. Jetzt müssen wir uns aber bis April noch um das Interiordesign kümmern.
Vielen Dank für das Gespräch.
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