Menschen

Designing Happiness

Kuratorin Anniina Koivu sucht das Glück

Anniina Koivu erforscht, wie Flow-Erlebnisse, gut gestaltete Städte – oder sogar eine Kettensäge – Glücksgefühle auslösen können. Ihre Ergebnisse hat sie bereits in Helsinki in einer Ausstellung präsentiert, die sie im April 2026 nach Mailand bringen möchte. Wir haben die Kuratorin gefragt, ob Glück wirklich designt werden kann.

von Tanja Pabelick, 15.12.2025

Der Mensch wünscht sich Glück, doch schon die Antwort auf die Frage, was Glück überhaupt ist, bereitet Schwierigkeiten. Ist es ein flüchtiger Moment, ein dauerhafter Zustand oder ein geliebtes Objekt? Hängt es mit äußeren Umständen oder innerer Balance zusammen? Anniina Koivu ist Autorin, Kuratorin und Dozentin. Sie lebt zwischen Mailand und Lausanne und hat für die Helsinki Design Week 2025 eine Ausstellung zum Thema Glück gestaltet.

Wie sind Sie dazu gekommen, Glück zu untersuchen?
Bei einer meiner letzten Ausstellungen drehte sich alles um „Prepper“ – Menschen, die sich auf Überlebenssituationen vorbereiten – und die Dinge, die dabei eine Rolle spielen. Danach wollte ich mich etwas „Glücklicherem” zuwenden. Passend dazu kam die Einladung, eine Ausstellung zum 20-jährigen Jubiläum der Helsinki Design Week zu kuratieren. Finnland stand in den letzten acht Jahren ununterbrochen an erster Stelle im World Happiness Report, obwohl die Menschen selbst kaum verstehen, warum das so ist. All diese Faktoren brachten uns dazu, Glück aus der Perspektive des Designs zu betrachten und die Frage zu stellen: Kann man Glück gestalten?

Was glauben Sie: Warum sind die Menschen in Finnland so glücklich?
Was ich in Finnland beobachte: Man nimmt die Dinge so, wie sie sind. Wetter, Klima, Natur – alles ist so übermächtig, dass es keinen Sinn ergibt, dagegen anzukämpfen. Diese Einstellung führt zu einem sehr entspannten Miteinander: „Leben und leben lassen.“ Eine Sache finde ich im Vergleich zu Deutschland auffällig: Dort gibt es viele Schilder, die etwas verbieten – nicht auf den Rasen gehen, nicht spielen, Hunde anleinen. In Finnland sieht man so etwas kaum. Man folgt vielmehr der praktischen Vernunft und nicht expliziten Verboten. Das trägt dazu bei, dass man sich weniger kontrolliert fühlt. Natürlich spielen auch Faktoren wie das Sozialsystem oder das Bildungssystem eine Rolle.

Die von Ihnen kuratierte Ausstellung trug den Titel Designing Happiness. Kann Glück denn gestaltet werden?
Dies haben wir in fünf Räumen auf ganz unterschiedliche Weise beleuchtet. Wir haben mit einer Einführung in die theoretische Glücksforschung begonnen, von den griechischen Philosophen bis zur heutigen Wissenschaft. Es gibt beispielsweise mathematische Formeln, die erklären, was Menschen glücklich macht und ob Glück gestaltet oder sogar erzwungen werden kann. Gelöst wurde dieses Problem bis heute nicht. Der zweite Raum war eine Art Zwischenspiel und widmete sich der Geschichte des Lächelns. Bis zur Französischen Revolution galt Lächeln wegen mangelnder Mundhygiene als unhöflich. Dann erfanden zwei französische Zahnärzte die ersten Porzellanzähne. Damit wurde das Zeigen der Zähne für kurze Zeit zu einer Form des Protests. Nach dem Zweiten Weltkrieg, mit verbesserter Zahnmedizin, wurde das breite, weiße Lächeln schließlich zum Sinnbild des Glücks.

Und heute gibt es keine Werbung mehr ohne Lächeln...
Genau, dazu passend haben wir auch die Geschichte des Smileys erzählt: Er tauchte erstmals in den 1960er-Jahren auf, wurde damals aber nicht geschützt. Erst 15 Jahre später meldete ein französischer Journalist die Marke an, gründete die „Smiley Company“, die über Lizenzen in über 100 Ländern verfügt. Mit dem gelben Kreis mit zwei Punkten und einem Mund verdient das Unternehmen heute Millionen. Der Smiley hat eine erstaunliche Biografie: Zunächst war er ein Symbol der Anti-Kriegs-Bewegung in der Hippie-Ära, später wurde er zur Ikone der Acid-House-Szene in Großbritannien. Immer wieder taucht er mit neuen Bedeutungen auf – mal als Ausdruck purer Lebensfreude, mal als Symbol des Protests. Und heute? Und unter den täglich über 10 Milliarden versendeten Emojis ist der Smiley der beliebteste.

Wie ist es denn mit den inneren Prozessen?
Beim persönlichen Glück geht es darum, zu verstehen, was uns – biochemisch betrachtet – glücklich macht. ie entscheidenden Hormone und Neurotransmitter sind Serotonin, Oxytocin. Endorphine und Dopamin. Serotonin wirkt stabilisierend, Oxytocin wird auch als Liebeshormon bezeichnet und Endorphine sind im Grunde die körpereigenen Schmerzmittel. Zusammen bilden diese vier den sogenannten „Happiness Cocktail“. In der Ausstellung haben wir kleine „Inseln” gebildet, die jeweils externe Faktoren zeigen, die diese Neurotransmitter stimulieren und uns dadurch glücklicher machen – oder zumindest dafür sorgen, dass wir uns wohler fühlen. Zu diesen wissenschaftlich belegten Faktoren gehören natürliches Licht, Nähe zur Natur, menschliche Beziehungen, Freundlichkeit, Sport oder Bewegung sowie Musik und Gesundheit. Hier wurde deutlich, wie Design mit Glück zusammenhängt, denn diese Auslöser sind gestaltbar.

Bei welchen Objekten haben Sie eine Verbindung von Glück und Gestaltung gefunden?
Wir haben beispielsweise Marathon-Schuhe von Nike gezeigt, die von den aktuellen Weltrekordhaltern getragen werden. Sie stehen für das berühmte „Runner’s High“, das einen Dopamin- beziehungsweise Endorphin-Kick auslöst. Zum Thema „Gesundheit” hatten wir den Oura Ring, der Schlaf- und Vitalwerte aufzeichnet. Oder eine Gewichtsdecke, die den Schlaf verbessern soll. Eines der kuriosesten Objekte war eine Kettensäge: eine sehr gut gestaltete Husqvarna aus Schweden. Sie steht symbolisch für das Eisbaden im Winter, das in Finnland als einer der stärksten „Glücksbooster“ gilt. Ein Sprung ins eiskalte Wasser hebt sofort die Stimmung. Und eine Kettensäge ist – auch wenn offiziell nicht empfohlen – das Standardwerkzeug, um ein Loch in die zugefrorene Seefläche zu schneiden. Wir zeigten also auch die Dinge, die Glücksmomente überhaupt erst ermöglichen.

Ausgelöst werden die Botenstoffe durch körperliche und emotionale Trigger?
Ein bekanntes Phänomen in diesem Zusammenhang ist das sogenannte „Frisson“. Der Begriff beschreibt den Moment, in dem Musik Gänsehaut auslöst. Egal, ob es sich um ein trauriges oder ein euphorisches Stück handelt – bestimmte musikalische Elemente wie Crescendi oder plötzliche Dynamikwechsel erzeugen diesen Schauer. Wir haben einen DJ eingeladen, ein elektronisches Ambient-Stück zu komponieren, das mit Frisson-Elementen spielt. Die Besucher konnten die Musik in Ball Chairs von Eero Aarnio hören, die wir in kleine, private Musikräume verwandelt haben.

Der Moment im Ball Chair ist ein privates Glück. Wie sieht kollektives Glück aus?
Wir haben uns beispielhaft mit der Stadt beschäftigt. Hier kann man gut erkennen, was passiert, wenn Dinge nicht funktionieren. Wenn es keine Radwege gibt, zu viele Autos unterwegs sind, der öffentliche Nahverkehr sich ständig verspätet oder Bordsteine nicht barrierefrei sind. Dann merkt man, wie stark solche Defizite aufs Gemüt schlagen. Wir wollten aufzeigen, welche Elemente in der Stadt wirklich gut gestaltet sein müssen. Ganz im Sinne von Ernesto Nathan Rogers’ Motto „dal cucchiaio alla città“ – „Vom Löffel zur Stadt“ – zählt jedes Detail. Es geht nicht nur um große Masterpläne, sondern um die kleinen Dinge, die den Menschen sofort auffallen. Vor allem dann, wenn sie nicht funktionieren.

Gibt es Abkürzungen auf dem Weg zum Glück?
Ja, aber die sind mit Vorsicht zu genießen und haben ihren Preis. Ich denke da zum Beispiel an Kaffee, Alkohol, Drogen, aber auch an Dinge wie Doomscrolling, Likes oder Shopping. Das sind alles schnelle Lösungen, die häufig nach hinten losgehen oder sogar gegenteilige Gefühle verursachen.

Marie Kondo war ja eine der Ersten, die über die Freude gesprochen hat, die man spürt, wenn man Dinge berührt. Das ist schwer messbar. Wie können Designer*innen so etwas in ihre Arbeit integrieren?
Eine Frage, die so schwer zu beantworten ist, wie die, was Menschen überhaupt glücklich macht. Wir haben rund zehn Designer und Designerinnen eingeladen, darüber zu reflektieren. Sie hatten völlige Freiheit. Interessant war, dass viele beim Thema „Flow“ landeten. Also dem Zustand, bei dem man völlig in einer Tätigkeit aufgeht und dabei Zeit und Raum vergisst. Wenn man etwas baut, zeichnet oder kreativ arbeitet – das ist anstrengend, zeitintensiv, aber am Ende zutiefst befriedigend. Das ist eine Form von Glück, die dem Gefühl nach einem langen, erschöpfenden Lauf ähnelt.

Werden Sie die Suche nach dem Glück fortsetzen?
Absolut. Es gibt so viele Richtungen, in die man gehen kann. Gerade versuchen wir, die Ausstellung parallel zum Salone del Mobile 2026 nach Mailand zu bringen. Aktuell warten wir noch auf Zusagen für Förderungen und suchen Sponsoren.

Hat Designing Happiness Ihre Sicht auf die Welt, die Dinge und das Glück verändert?
Von einer Psychologin habe ich gelernt: Es gibt zwei Arten von Glück. Das eine ist das lustorientierte – ein lustiger Film, Sex, mit den Kindern spielen, ein gutes Essen. Diese unmittelbaren, äußeren Freuden sind wichtig. Genauso wichtig ist aber eine reflektiertere Form von Glück, die stärker aus einem selbst heraus entsteht. Es geht darum, im Hier und Jetzt zu sein, nicht in der Vergangenheit zu leben und nicht ständig zu überlegen, was man noch erreichen möchte. Wenn sie es schaffen, Vergangenheit und Zukunft auszublenden und wirklich im Moment zu bleiben, dann sind Menschen tendenziell glücklicher.

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Links

Anniina Koivu

www.anniinakoivu.com

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