Nasszellenrevolution
Was in den Seventies im Bad passierte, zeigt diese neue Hansgrohe-Ausstellung.
Schrill! Ausschweifend! Exzentrisch! Das waren die Siebziger. Was damals in deutschen, chilenischen und indonesischen Badezimmern passierte, zeigt eine Ausstellung in der Hansgrohe Aquademie in Schiltach. Wir haben uns auf Zeitreise begeben und allerlei Dinge entdeckt: Sanitärzellen, Mandis, Fliesenmonster.
Studenten revoltieren, Feministinnen streiten, Umweltschützer protestieren – die siebziger Jahre sind gekennzeichnet durch gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Umbrüche. Sie sind aber auch das Jahrzehnt des Wohlstands mit einer wachsenden Nachfrage nach Technik, Komfort und Luxus. Welche Auswirkungen das auf die Gestaltung des Badezimmers hatte, diskutiert die Ausstellung Das Bad der 70er Jahre: Europa, Asien, Südamerika am Beispiel von drei Ländern: Deutschland, Chile und Indonesien. Roman Passarge, Leiter der Hansgrohe Aquademie in Schiltach, hat stellvertretend für jedes Land jeweils einen Architekten eingeladen: Jörn Frenzel (Deutschland), Mathias Klotz (Chile) und Budi Pradano (Indonesien).
Bad? Design!
Die Siebziger sind das Jahrzehnt der avantgardistischen Wohnkonzepte, die traditionelle Wohnideen infrage stellten. Es wird viel experimentiert – wie Joe Colombo 1969 mit einem Badezimmer aus vorgefertigten PVC-Elementen am Bayer-Stand auf der Interzum zeigt, Verner Panton 1970 mit seinen Wohnlandschaften auf der Visiona 2 oder Luigi Colani mit seiner futuristischen Kugelküche für Poggenpohl. Während die Küche lediglich ein Experiment bleibt, setzt Colani eine andere Idee in ein serienreifes Produkt um. 1975 entwirft er für Villeroy & Boch eine komplette Badkollektion mit aufeinander abgestimmten Sanitärobjekten und Badaccessoires. Mit dieser bahnbrechenden Idee mischt er die gesamte Branche auf, denn Colani betrachtet das Badezimmer als vollwertigen Wohnraum mit eigener Ästhetik. Das Badezimmer dient fortan nicht mehr allein der Körperhygiene, sondern hat Architektur und Interieur fest im Blick – wie auch in der Ausstellung zu sehen ist.
(Wohn-)Welten der Siebziger
Von Arkas Förstner übersichtlich und sehr grafisch gestaltet, ist die Ausstellung in fünf Themenbereiche unterteilt: Während Deutschland, Chile und Indonesien jeweils durch ein prototypisches Badezimmer und Alltagsgegenstände der Zeit – Uhren, Telefone, Geschirre, Fernseher – sowie Zeitzeugendokumente repräsentiert werden, beschäftigt sich eine weitere Ausstellungssektion mit dem typischen Wohnzimmer der Siebziger. Braun-orange gemusterte Tapeten, röhrender Hirsch, Projektor mit vergilbten Urlaubsdias und Langspielplatten von James Last inklusive. Ein weiterer Ausstellungsbereich ist zwei technischen Innovationen von Hansgrohe gewidmet: der Duschstange Unica und der Duschbrause Selecta.
Drei Länder, drei Bäder
Interessant sind vor allem die rekonstruierten, maßstabsgetreuen Badezimmer. Sie zeigen: Nicht nur ist das Badezimmer als Ort der Hygiene Voraussetzung für sozialen Aufschwung. Mit dem sozialen Aufschwung verändert sich auch die Bedeutung des Badezimmers als Raum innerhalb des Hauses. Die deutsche Version eines hellgrün gefliesten Badezimmers aus den Siebzigern beweist: Mit zwei Waschbecken, einem Spiegelschrank, einem wandhängenden WC und einem Bidet hält der Wellness-Gedanke Einzug ins private Bad. Apropos Bidet: Das stand in den Siebzigern hierzulande stellvertretend für Luxus, auch wenn es selten benutzt oder gar zweckentfremdet wurde.
Klo ohne Anschluss
Genau wie die Toilette mit Wasserspülung in Indonesien. Sie wurde oftmals aus Statusgründen installiert, auch wenn gar kein Wasseranschluss vorhanden war und das Wasser stattdessen mit einem Eimer aus dem Mandi – einem hohen, mit Wasser gefüllten Becken – geschöpft werden musste. In Indonesien gilt übrigens nur als sauber, was auch nass ist, erzählt Budi Pradano – ganz im Unterschied zu Deutschland. Während sich im Inselstaat im Zuge der Kolonialisierung das Badezimmer langsam vom öffentlichen in den privaten Bereich verlagert hat, ist die Entwicklung des Badezimmers in Chile eng verknüpft mit einem sozial-wirtschaftlichen Reformprogramm. Präsident Eduardo Frei Montalva hatte es Ende der sechziger Jahre eingeführt, sein Nachfolger Salvador Allende etabliert, ehe es die Militärdiktatur unter Augusto Pinochet 1973 stoppte. Die Idee: Arme Familien erhalten ein Stück Land, auf dem eine gemauerte Sanitärzelle mit Wellblechdach (caseta sanitária) installiert wird: mit WC, Waschbecken, fließend Wasser und Elektrizität, manchmal auch ergänzt um einen Küchenbereich. Um diese Sanitärzelle herum kann dann in Eigenleistung ein komplettes Haus errichtet werden.
Auch wenn sich Deutschland, Chile und Indonesien in ihrer politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung stark voneinander unterscheiden: Die Ausstellung zeigt viele Parallelen zwischen den drei Ländern. Kein Wunder eigentlich, schafft die Globalisierung doch ähnliche Lebensstile. Und zwar bereits in den Siebzigern mit ihrer Vorliebe für bestimmte Farben und Formen, die sich durchzieht bis ins Badezimmer.
Epizentrum der Kommunikation
Und wie sieht es bei den kuratierenden Architekten zuhause aus? Nun, Mathias Klotz schläft im Badezimmer. In seiner Wohnung befindet sich das Bad nämlich mitten im Schlafzimmer. Budi Pradano indes duscht in Jakarta im westlichen Stil. Und für seine Eltern hat der Architekt auf Java ein Haus aus Bambus gebaut, das über mehrere Badezimmer verfügt, wie wir sie aus dem Westen kennen: mit Regendusche und freistehender Badewanne. Doch am liebsten trifft sich die Familie im indonesischen Mandi, das die kommunikative Schaltzentrale des Hauses ist. Während hier gemeinsam mit reichlich Wasser geplantscht und gebadet wird, bereitet Mama Pradano gleich nebenan in der Küche eine indonesische Reisplatte zu.
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