Stories

Beton-Koloss in bester Strandlage

von Claudia Simone Hoff, 03.09.2007


Wer entlang der Ostküste auf der Insel Rügen von Binz in Richtung Sassnitz fährt, kann die Schilder nicht übersehen, die den Weg nach Prora weisen. Wähnte man sich eben noch in landschaftlich schöner, unbeschwerter Sommerfrischen-Kulisse mit üppig dekorierter Bäderarchitektur der Jahrhundertwende wie in Binz oder Sellin, so ist der erste Anblick von Prora fast erschreckend: Kilometerweit erstrecken sich die ornamentlosen, funktionalistischen Gebäude, die auch unter dem Namen "Koloss von Rügen" firmieren, entlang der Prorer Wiek. Dahinter ein Schatten spendender Kiefernwaldstreifen und davor die strahlend blaue Ostsee.



Wüsste man nicht, dass Prora bereits 1936 als "KdF-Seebad der Zwanzigtausend" projektiert wurde, könnte man auch glauben, sich in einer Massenunterkunft des Nachkriegstourismus zu befinden. Der gesamte, fast fünf Kilometer lange Baukomplex ist ein anschauliches Beispiel für die Verknüpfung von Architektur und Ideologie im Nationalsozialismus – hier demonstriert sich der Anspruch des Regimes in monumentaler Weise. Die "Deutsche Arbeitsfront" (DAF) hatte sich nach der Zerschlagung der Gewerkschaften deren Vermögen angeeignet. Fortan war die zur DAF gehörende, 1933 gegründete Organisation "Kraft durch Freude" (KdF) für die Gestaltung, Überwachung und Gleichschaltung der Freizeit der deutschen Bevölkerung zuständig. Neben dem "KdF-Seebad der Zwanzigtausend" in Prora gehörten der KdF-Wagen, der spätere Volkswagen, der Volksempfänger und die KdF-Schiffsflotte zu den Prestigeprojekten der KdF-Organisation: Sie alle waren wesentliche Elemente der Propaganda des Regimes. Neben bunten Abenden, Gymnastikkursen, Schwimmlehrgängen oder Schachturnieren organisierte das zur KdF-Organisation gehörige "Amt für Reisen, Wandern und Urlaub" die Reisen im "Dritten Reich" und avancierte zum damals weltweit größten Reiseveranstalter. Die KdF-Projekte dienten aber nicht ausschließlich dem propagierten Wohlsein der Bevölkerung, sondern vor allem der Kriegsvorbereitung. Nicht nur sollte die deutsche Bevölkerung "kriegstüchtig" gemacht werden, sondern mit Bauprojekten von gigantischen Ausmaßen die Volkswirtschaft angekurbelt, die Bevölkerung von den Leistungen des Regimes überzeugt und die Anlagen für Belange des Krieges genutzt werden.

1935 hatte der Kölner Architekt Clemens Klotz mit der Gesamtplanung von Prora begonnen, die auf der Pariser Weltausstellung von 1937 mit dem Grand Prix ausgezeichnet wurde. Entlang der Prorer Bucht sollten acht baugleiche, jeweils 500 Meter lange Bettenhäuser mit quer gestellten Treppenhäusern entstehen, die von schiffsbugartigen "Gemeinschaftshäusern" mit Restaurants und Terrassen unterbrochen werden. Geplant waren auch Gemeinschaftsanlagen wie Wellenschwimmbäder, ein Kino und Gastronomiebetriebe. Im Gegensatz zu diesen Gebäuden und einem projektierten, aber nicht zur Ausführung gelangten Festplatz inklusive Festhalle von gigantischen Abmessungen stand die Größe der insgesamt 10.000 Zimmer von je 2,50 mal 5 Meter mit einfacher Möblierung getreu der NS-Ideologie: Die Masse ist alles, der Einzelne nichts. Architektonisch drückt sich diese Masse in Monumentalität, Uniformität und Symmetrien aus, wie wir es auch von anderen NS-Großprojekten wie beispielsweise dem Volkswagenwerk in Wolfsburg kennen.

Nach Kriegsausbruch 1939 kamen die Arbeiten in Prora, die gleichzeitig von bis zu 9.000 Arbeitern getätigt wurden und damit nach der Autobahn das zweitgrößte "zivile" Bauprojekt des Landes darstellten, zum Erliegen. Stattdessen wurden auf dem Gelände Polizei-Bataillone ausgebildet sowie ein Kriegslazarett und eine Notunterkunft für Bombenopfer eingerichtet. Die Anlage blieb unvollendet und wurde nie als KdF-Bad in Betrieb genommen. Trotzdem wird der Besucher auch heute noch fast überwältigt von der monumentalen Wirkung der Riegelarchitektur der fünf errichteten Blöcke – unendliche Reihungen und Massierungen tun ihr übriges und manch einer mag sich an Kasernenarchitektur erinnert fühlen.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges versuchte die Rote Armee die Gebäude zu sprengen, was aber misslang. Danach bezog die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR das Gelände und verließ es erst 1990. Da die Anlage in Prora seit 1994 unter Denkmalschutz steht, stellt sich die Frage der weiteren Nutzung und die Diskussion darüber wird nicht nur in den Medien kontrovers geführt. Was soll man tun mit solch einem Betonklotz an so exponierter Stelle, noch dazu mit einer unrühmlichen Vergangenheit? Wie können Anliegen des Denkmalschutzes mit den Bedürfnissen möglicher Investoren in Einklang gebracht werden? In den Blöcken 1 bis 3 sollen Wohn-, Kultur- und Wellness-Projekte entstehen und das Deutsche Jugendherbergswerk (DJH) will bis zum Jahr 2010 in Block 5 eine Jugendherberge errichten.

Seit 2004 stellt eine Dauerausstellung des Dokumentationszentrums Prora unter dem aussagekräftigen Titel "Macht Urlaub" anhand von Info-Tafeln, Literatur, Foto-, Audio- und Filmmaterialien in anschaulicher Weise die Verknüpfung zwischen Ideologie, Macht und Architektur zur Zeit des Nationalsozialismus am Beispiel Prora dar.
Dokumentationszentrum Prora
Objektstraße 1
Block 3/Querriegel
18609 Prora/Rügen
Tel.: 038393/13991
Fax: 338393/13934
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Dokumentationszentrum Prora

www.proradok.de/index.html

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