Biennale 2014 – Stückwerk in der Lagune
Die 14. Architekturbiennale verliert sich in der Regie von Rem Koolhaas zwischen Kleinteilig- und Beliebigkeit.
Die 14. Architekturbiennale in Venedig will das Bauen wieder erden. Fundamentals lautet der Titel der Schau, die unter der Regie von Rem Koolhaas den Komponenten des Bauens auf den Grund geht. Doch trotz der verlängerten Vorbereitungszeit und der Einbindung der Biennale-Disziplinen Tanz, Theater und Musik: Es bleibt ein fader Nachgeschmack vom Rundgang durch die von Koolhaas kuratierte Hauptausstellung zurück, die sich in Kleinteiligkeit und Beliebigkeit verliert.
Eine Biennale ohne Architekten sollte es werden. Kein Raum für Egos und altbekannte Seilschaften. Doch dafür ein umso detaillierterer Blick in die Trickkiste des Bauens. Auch wenn Rem Koolhaas im Vorfeld mit seinen Studenten an der Harvard Graduate School eine umfassende Recherche unternommen hatte, die als mehrbändige Publikation durchaus den Anspruch an ein neues Standardwerk erfüllt, lässt sich daraus nicht automatisch eine Ausstellung formen.
Zu nah am Objekt
Zu bruchstückhaft und zufällig wirken die ausgestellten Fenster, Türklingen oder Pissoirs im Hauptpavillon in den Giardini. Das Sezieren der Einzelteile des Bauens mündet in einem Sammelsurium, das hier mal eine viktorianische Tür und dort mal ein venezianisches Fenster einfängt. Natürlich haben technische Innovationen wie die Rolltreppe, der Aufzug, die Klimaanlage und eine flächige Verkabelung (und damit das Phänomen von abgehängten Decken und erhöhten Böden) die Planung von Gebäuden grundlegend verändert. Doch der Blick bleibt zu nah am Objekt, um darüber hinauszugehen.
Verengter Diskurs
Wenn diese Biennale schon nicht über Architekten sprechen will, dann sollte sie es zumindest über Architektur tun. Und die ist bekanntlich mehr als eine Ansammlung von Einzelteilen. Ob ein Gebäude räumliche Qualitäten und damit einen Mehrwert für seine Nutzer entfaltet, ist schließlich nicht nur eine Frage seiner Komponenten. Es ist die richtige Mischung der Zutaten, die darüber entscheidet, ob ein architektonisches Gericht schmackhaft wird oder eben nicht. Dass diese Biennale das Bauen verhandelt, ohne den Menschen einzubeziehen, wirkt wie ein Gegenpol zu Kazuyo Sejimas Inszenierung vor vier Jahren. Hatte die Japanerin das Bauen bewusst in die Öffentlichkeit getragen (und damit auch die Besucherzahlen der Architekturschau deutlich in die Höhe schnellen lassen), verengt Rem Koolhaas den Diskus auf die eigene Branche.
Filmreifer Auftakt
Diese sparsame Betrachtungsweise ist schade, weil der Rundgang durchaus kraftvoll beginnt. Der achteckige Ehrensaal des einstigen italienischen Pavillons wird mittels einer abgehängten Decke auf das Raumgefühl einer gewöhnlichen Büroetage herabgestutzt. Die sich darüber erhebende, mit Fresken überzogene Kuppel lässt den technischen Überbau aus Lüftungsrohren, Lichtleisten und Kabeln wie eine notgelandetes Raumschiff erscheinen. Zwei Teleskope ragen von der Decke herab und erlauben einen Blick durch eine ebenso in die Decke integrierte Überwachungskamera. Im folgenden Raum zeigt der Film Elements von Davide Rapp eine Montage von mehr als 100 Ausschnitten aus Spielfilmen, in denen architektonische Elemente eine Rolle spielen. Schwarzlicht bringt nicht nur die weißen Texte an den abgedunkelten Wänden zum Leuchten. Es lässt auch die Kleidung der Biennale-Besucher wie in einem Technoclub der neunziger Jahre aufleuchten.
Kein Fokus auf Ökologie
Dass räumliche Qualitäten ausgeklammert werden, unterstreicht einen weiteren Aspekt. Denn ist der Einfluss der Architekten nicht ohnehin marginal? Wurden vor einigen Jahren lediglich sechs Prozent aller weltweiten Neubauen von Architekten geplant, ist dieser Wert heute auf knapp die Hälfte gesunken. Der Blick auf die Einzelteile der Architektur hätte helfen können, architektonische Qualitäten umso präziser herauszuarbeiten. Stattdessen entsteht ein Nebel aus Daten und Fakten, der weder als Summe ein stimmiges Ganzes ergeben will noch genügend in die fachliche Tiefe geht. Wäre es nicht spannend gewesen, genau zu erklären, was ein wärme- und schalldichtes Fenster in seinem Aufbau von anderen Modellen unterscheidet? „Es ist doch seltsam, dass Themen wie Nachhaltigkeit, Reduzierung von Stromkosten oder Wasserersparnis überhaupt nicht angesprochen werden“, kommentierte Riccardo Bofill Jr. am Rande der Biennale.
Mediterranes Potpourri
Kaum besser wird es im Arsenale. Auch hier ein bildgewaltiger Auftakt in Form eines hell erleuchteten Tores, das einem Lunapark des 19. Jahrhunderts entsprungen sein könne. Doch gleich im Anschluss geht der Schau die Luft aus. Wiederholt hatte Rem Koolhaas keinen Hehl daraus gemacht, dass er den über einen Kilometer langen Ausstellungsparcour durch die einstige Schiffswerft überhaupt nicht bespielen wollte. Als er sich dennoch dem Druck der Biennale-Leitung beugen musste, ging alles ganz schnell. Mit Monditalia wurde ein Thema gefunden, das dem Gastgeber schmeichelt und einen vollständigen Scan der Apenninhalbinsel erschaffen soll. „Italien ist sehr lang. Und auch das Arsenale ist sehr lang. Trotz seines kulturellen Reichtums hat das Land heute eine Vielzahl von schwerwiegenden Problemen. Ich denke, dass Italien exemplarisch für viele Regionen die Welt ist“, begründet Koolhaas seine Themenwahl.
In der Klischeefalle
Dennoch war kein Klischee platt genug, um in einen – in diesem Falle ausgesprochen langen – Topf geworfen zu werden. Ein wenig Mafia hier. Ein wenig Berlusconi da. Dolce Vita und Sophie Loren dürfen auch nicht fehlen. Und mittendrin ein Film, der Stefano Boeri beim Rundgang durch sein zur Neubauruine verkommenes Zentrum des G8-Gipfels zeigt. Dass Koolhass die anderen Biennale-Disziplinen Tanz, Theater und Musik mit einbinden wollte, liest sich gut auf dem Papier. Doch auch hier geht das Konzept in der Praxis nicht auf.
Wie Lückenfüller schieben sich die Tanzflächen und Bühnen zwischen das thematische Raumgefüge, das das Arsenale als Ausstellungsort so besonders, aber auch schwierig macht. Und auch die Filmsektion, die von einer einen Kilometer langen Italienlandkarte von der übrigen Ausstellung abgetrennt wird, wirkt wie ein lustloses Anhängsel. Die eingespielten Filmschnipsel erinnern an eine in die räumliche Dimension erweiterte Youtube-Bibliothek, die im Zufallsmodus neue Bilder generiert. Dass die Besucher immer wieder daran scheitern, die Übergänge zur (Architektur)-Ausstellung zu finden, macht den medialen Überfluss schließlich perfekt.
Überfrachtung statt Inhalt
Was bleibt von dieser Biennale, sind mehrere Erkenntnisse: Erstens sind große Namen nicht automatisch dazu befähigt, interessante Arbeiten zu schaffen (selbst wenn sie dazu die ebenso prominenten Kollegen ausladen). Zweitens stiften endlose Schautafeln und Diagramme keinen Inhalt, sondern vor allem Verwirrung. Und drittens sind Gebäude weit mehr als die Summe ihrer Einzelteile. Dass Rem Koolhaas die Architekten ausgeklammert hat, ergibt als Essenz nicht automatisch Architektur. Im Falle dieser Biennale bleibt einfach nur ein vages Nichts.