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Minimal Masters

Wie die Shaker mit klaren Werten und asketischem Stil das Design prägen

Das gallische Dorf des Designs: Als kleine, protestantische Gemeinschaft mit klaren Werten und radikal schlichter Gestaltung prägten die Shaker ab dem 18. Jahrhundert eine Ästhetik, die bis heute nachwirkt. Wie zeitlos und wichtig ihr Einfluss ist, zeigt aktuell eine Ausstellung im Vitra Design Museum.

von Tanja Pabelick, 23.07.2025

Design – und unsere Objektwelt – sind nicht säkularisiert. Religionen und ihre Vorstellungen, Symbole und Ordnungen nehmen und nahmen Einfluss auf die Gestaltung von Dingen – mit sehr unterschiedlichen Ausprägungen. Der Islam gestaltet mit Ornamentik statt Bildlichkeit und verziert Architektur und Objekte mit geometrischen Mustern; der Hinduismus setzt ganz gegenteilig auf narrative Bildwelten und kräftige Farben, mit denen überbordend und teils kitschig verziert wird. Der Buddhismus schafft Räume voller Reduktion und Ruhe, die der Zen-Ästhetik folgend mit viel Leere die geistige Sammlung unterstützen sollen. Die Dinge, mit denen sich Menschen umgeben, sind von ihrem Lebensmodell und ihrer Ideologie beeinflusst. Die Shaker waren eine protestantische Sekte, die im 18. Jahrhundert in England entstand. 1774 emigrierten sie nach Nordamerika, um religiöser Verfolgung zu entgehen. Zu ihren Dogmen gehörten die Gleichheit zwischen Frauen und Männern, das gemeinschaftliche Teilen von Besitz, eine asketische Lebensweise sowie Handwerk und Arbeit als devotionaler Dienst.

„Beauty rests on Utility“
Die reduzierte Lebensweise der Shaker, ihre Ordnung und Organisation, hat die Form der Dinge und Gegenstände geprägt, die sie entworfen und hergestellt haben. „Shaker“ ist im Design ein feststehender Begriff, der bis heute Objektgestaltung und Architektur beeinflusst. Mit Blick auf die Auswirkungen ist es umso überraschender, dass die Gemeinschaft der Shaker selbst zu ihrem zeitlichen Zenit gerade einmal 6.000 Mitglieder zählte. Noch weit vor der Moderne riefen sie zum dekorativen Verzicht auf. Sie wollten kein Ornament, dafür klare Linien und höchste Funktionalität. Gleichzeitig waren sie die Autorengestalter*innen und produzierende Handwerker*innen ihrer Lebenswelt. Sie fertigten alles selbst und aus den Ressourcen, die ihnen unmittelbar zur Verfügung standen: aus lokalen Hölzern wie Kiefer, Ahorn oder Kirschbaum, aus Wolle, Leinen und Leder. Dabei waren ihre Produkte dauerhaft, nachhaltig und robust – und ihre Herkunft so aussagekräftig wie in industriellen Zeiten manches ‚Made in‘: „Shaker“ war eine verlässliche Qualitätsgarantie.

„When We Find a Good Thing, We Stick To It“
Die Idee der Gleichstellung und Gleichberechtigung aller Mitglieder der Gemeinschaft führte zu einem kompromisslos demokratischen Design und einer konsequenten Standardisierung. Die Shaker entwickelten Möbel in Familien: Ein Archetyp wurde durchdekliniert. So gab es ein bestimmtes Stuhlmodell in verschiedenen Ausführungen: mit oder ohne Armlehne, mit Schaukelstufen oder in einer kleineren Variante für Kinder. Die Einrichtung wurde außerdem systemisch gedacht. Das berühmteste Beispiel ist die Shaker-Leiste, ein einfaches Brett mit regelmäßig angeordneten Holzstiften. Das Peg Rail wurde in allen Zimmern und der Werkstatt auf Brusthöhe an die Wand geschraubt. Daran konnten Besen, Kleidung oder Küchenwerkzeuge aufgehängt werden. Zum Putzen wurden Stühle und kleine Möbel an die Haken gehängt, um die Bodenfläche freizuhalten.

„A place for everything and everything in its place.“
Die Shaker waren davon überzeugt, dass Gott auch die unsichtbaren Details sieht. Deshalb wurde jedes Produkt mit großer Präzision und Hingabe konstruiert und gefertigt. Die Shaker-Box, auch Nice Box genannt, ist der Aufbewahrungsklassiker der Shaker. Ein traditionelles Set besteht aus fünf bis neun runden oder ovalen Schachteln, die nach Größe sortiert und durchnummeriert wurden. Wie Matrjoschka-Puppen wurden sie ineinander gestapelt und je nach Bedarf eingesetzt, beispielsweise zur Lagerung von Samen, Tee und Gewürzen, aber auch von Knöpfen, Nägeln oder Garn.

Charakteristisch für ihr Design ist der überlappende Schwalbenschwanzverschluss an der Seite, der entweder mit kleinen Kupfernägeln oder bevorzugt mit Holzstiften fixiert wurde. Die handwerkliche Philosophie war eine möglichst materialreine Konstruktion. Selbst auf Klebstoffe wurde verzichtet; stattdessen wurden die Boxen – aber auch andere Accessoires und Möbel – über Holzdübel, Zapfen und Zinken zusammengehalten. Die Philosophie dahinter war: Wenn ein Teil ersetzt werden muss, soll das ohne Zerstörung des Objekts möglich sein.

„Every Force Evolves A Form“
Die Hochzeit der Shaker endete gegen Ende des 19. Jahrhunderts und im frühen 20. Jahrhundert bestanden nur noch wenige ihrer Gemeinden. Heute gibt es noch zwei aktive Shaker in Maine. Ihr Dorf Sabbathday Lake mit seinen Werkstätten zieht jährlich über 10.000 Besucher*innen an. Dass die Menschen bis heute von dieser vergleichsweise kleinen religiösen Gemeinschaft fasziniert sind, liegt vor allem an ihrem nachhaltigen Einfluss auf die Moderne, den Minimalismus und das skandinavische Design. Während sich die Gemeinschaft der Shaker allmählich auflöste, lebten ihre Ideen und Ideale in anderen Designbewegungen weiter. Das Bauhaus etwa steht für einen klaren formalen Ausdruck und den Verzicht auf Ornament – Prinzipien, die die Shaker bereits ein Jahrhundert zuvor vorgelebt und konsequent in Möbel, Architektur und Alltagsobjekte übersetzt hatten.

Auch Vertreter*innen der „Super Normal“-Bewegung wie Jasper Morrison würdigen die stille Eleganz funktionaler, unaufdringlicher Gegenstände im Sinne der Shaker. Dieter Rams prägte für Braun den Grundsatz „Weniger, aber besser“. Selbst bei IKEA finden sich Reminiszenzen an die Shaker, denn auch das Unternehmen verfolgt das Ideal einer demokratischen Gestaltung. Wie aktuell und vielschichtig ihr gestalterisches Erbe ist, veranschaulicht derzeit die Ausstellung Die Shaker. Weltenbauer und Gestalter im Vitra Design Museum, die historische Objekte mit zeitgenössischen Positionen in Dialog bringt. So zeigen die Shaker eindrucksvoll, wie eine kleine, konsequent lebende Gemeinschaft mit klaren Werten und asketischem Geist nachhaltige Impulse im Design setzen kann.

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Links

Ausstellung

Die Shaker. Weltenbauer und Gestalter

design-museum.de

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