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Dramatische Inszenierungen auf der Milan Design Week 2025

Auf der Milan Design Week 2025 wurden Neuheiten zunehmend in aufwendig inszenierten Raumwelten präsentiert – zwischen cineastischer Atmosphäre, Theaterkulisse und kontemplativem Spektakel. Während Paolo Sorrentino auf der Messe für Aufsehen sorgte, übten sich Mailänder Interiordesigner als Regisseure.

16.04.2025

Die Mailänder Designwoche wird jedes Jahr zu einer größeren Herausforderung. Nicht nur für die Besucher*innen, die in diesem Jahr allein auf dem FuoriSalone in der Stadt 1.066 gelistete Veranstaltungen besuchen konnten. Auch für die Unternehmen ist das Überangebot keine einfache Voraussetzung. Wie soll man die Neuheiten unter so viel Konkurrenz hervorheben? Wie den Blick auf die eigenen Botschaften lenken? Zum Glück gibt es die Idee der Design-Apartments oder Orte für Gemeinschaftsausstellungen, wo sich mehrere Labels präsentieren und damit – hoffentlich – mehr Aufmerksamkeit auf sich lenken können.

Doch wer die finanziellen Mittel hat, tut sich mit immer spektakuläreren Inszenierungen hervor. Interiordesigner*innen gab das auch in diesem Jahr wieder die Möglichkeit, aufsehenerregende Rauminstallationen zu entwickeln, bei denen das Produkt mitunter fast keine Rolle mehr spielte. Von cineastischen Gefühlsräumen bis zu theatralischen Vorstellungen: Wir haben vier besonders dramatische Darbietungen hier für Sie zusammengestellt.

Paolo Sorrentino: Hoffnungsvolles Warten
„Die süße Erwartung“ (La dolce attesa) hieß die Installation des Regisseurs Paolo Sorrentino, die auf dem Mailänder Messegelände akustisch bereits von Weitem Besucher*innen anlocken konnte. Ein lauter, dumpfer, repetitiver Herzschlag begleitete das Anstehen vor dem Pavillon. Nur zwei Personen durften gleichzeitig den komplett in rote Farbe getauchten Raum betreten und auf großzügigen Sitzschalen Platz nehmen. Es gab keine Ecken, nur abgerundete, sanfte Formen, die wirkten, als würden sie alles einschließen und einhüllen. Mit einer langsamen, bedächtigen Geschwindigkeit bewegten sich die Möbelstücke an einer Skulptur in der Mitte des Raums vorbei: Ein gläsernes, überdimensioniertes Kaleidoskop drehte sich langsam um die eigene Achse und gab den Blick frei auf ein riesiges, anatomisch korrektes Herz.

Die Installation, die Sorrentino gemeinsam mit der Szenografin Margherita Palli und dem Soundkünstler Max Casacci umgesetzt hat, sollte das Warten symbolisieren und in eine positive Bahn lenken. Die Herzschläge füllten den größtenteils leeren Raum aus und verdeutlichten das Gefühl der Ungeduld, aber zeigten gleichzeitig das Potenzial auf. In diesem Moment kommt die Süße aus dem Titel der Ausstellung ins Spiel. Warten birgt nämlich auch Möglichkeiten zur Weiterentwicklung und Transformation, zu guten Nachrichten und Veränderungen. Ängste und Unsicherheiten weichen Erneuerung und Regeneration. Jede Sekunde, die vergeht, und jeder Herzschlag könnte ein Schritt in Richtung einer besseren Zukunft sein. (as)

Dimorestudio: Die erste Nacht der Stille
In der Innenstadt debütierte Dimorestudio mit einer filmisch angelegten Rauminstallation. Die Gründer Britt Moran und Emiliano Salci hatten dafür den Mailänder Sitz des Traditionsunternehmens Loro Piana in der Via Moscova in eine Mise en Scène verwandelt. Der Auftakt der Inszenierung spielte in einem Kinofoyer, das opulent mit roten Samtvorhängen, Teppichen mit Leopardenmuster und ausladenden Sesseln ausgestattet war. An der Wand kündigte ein Plakat mit dem Bild einer modernistischen Villa den Film La Prima Notte di Quiete an – eine Anspielung auf das gleichnamige Werk von Valerio Zurlini aus dem Jahr 1972, das in der deutschen Fassung Oktober in Rimini heißt. In der neuen Version führte Emiliano Salci Regie, für die Soundkulisse war Nicola Guiducci verantwortlich, DJ und Mitbegründer des legendären Mailänder Nachtclubs Plastic.

Das Publikum wurde vom Foyer aus durch zwei weitere, mit roten Samtvorhängen umschlossene Bereiche geführt, bis es in einen großen, verdunkelten Raum gelangte, der sich als Filmset entpuppte. Dort war ein Ensemble aus Garten, Eingang, Ess-, Wohn-, Schlaf- und Badezimmer dargestellt – inszeniert im für Dimorestudio typischen eklektischen Stil: eine Verbindung aus Elementen verschiedener Epochen, Materialien und Atmosphären. Die Räume waren mit Stücken der neuen, für Loro Piana Interiors gestalteten Kollektion von Dimoremilano eingerichtet, der Möbel-, Leuchten- und Objektmarke von Moran und Salci. Gezielte Lichtstimmungen und häusliche Geräusche – das Klingeln eines Telefons, eine mit Wasser überlaufende Badewanne, raschelnde Dattelpalmen – lenkten den Blick subtil von einem Zimmer zum nächsten. Trotz der akustischen Eindrücke erschien das Ambiente verlassen. Herabgefallene Blätter und zerbrochene Teller verstärkten das Gefühl von Melancholie. Am Ende der Dramaturgie blieb noch etwas Zeit, um die gesamte Szenerie auf sich wirken zu lassen. Dann erlosch wieder das Licht und die Zuschauer*innen wurden hinausgebeten – mit dem Nachhall eines Kinobesuchs. (kh)

Formafantasma: Drama im Theater
Das italienische Designstudio Formafantasma war während der Mailänder Designwoche gleich bei mehreren Projekten involviert. Neben der Kuration der Veranstaltung Prada Frames inszenierten Andrea Trimarchi und Simone Farresin im Teatro Lirico Giorgio Gaber die Installation und Theaterperformance Staging Modernity für Cassina. Mit dieser feierte der Möbelhersteller das 60-jährige Jubiläum der Kollektion von Le Corbusier, Pierre Jeanneret und Charlotte Perriand. Sie ist seit 1965 im Programm, als Cassina die Produktionsrechte von der damaligen Inhaberin Heidi Weber erwarb. Das Unternehmen überführte die bis dahin noch handwerklich produzierten Stahlrohrmöbel in einen industriellen Fertigungsprozess und ermöglichte damit ihren weltweiten Erfolg.

Installation und Performance des Jubiläums wurden aufwendig inszeniert. Die Stuhlreihen im Parkett des Theaters waren teilweise mit Plattformen überbaut, deren Böden mit einer Gitterstruktur bedeckt. Orthogonal dazu angeordnet standen die berühmten Stahlrohrmöbel der Kollektion. Den Gegenpol dieses streng euklidischen Raumgefüges bildete zum einen die Natur in Form von Tierattrappen, die sich nicht recht einfügen ließen in das Gerüst. Auch die Performance der Schauspieler*innen (bekleidet von Jil Sander) selbst, die Texte moderner Denker*innen zitierten, störten das rigide Raster. Das Ziel der Inszenierung: Die Ideologie der Moderne wird mit der Natur versöhnt, ein bisschen Chaos kann ihr Erbe schon vertragen. Die Theaterperformance endete dann auch mit der Dämmerung eines neuen Tages, der vom Bühnenraum heraufzieht und sowohl Schauspieler*innen, Möbel, Besucher*innen und die Tiere gemeinsam in einen neuen Tag entlässt. Was sie wohl daraus machen? (mbf)

Studioutte: Intermezzo im Nebel
Das Mailänder Designduo studioutte, hinter dem Guglielmo Giagnotti und Patrizio Gola stecken, hat sich für die Milan Design Week mit dem US-amerikansichen Label Atelier de Troupe und CC-Tapis zusammengetan. Gemeinsam schufen sie mit Intermezzo eine Bühne für ihre Entwürfe, die sich zwischen Theater und Museum bewegte. Eine einladende modulare Sofalandschaft und Sitzmöbel von studioutte in dunklen Farben, die von ebenso modularen Leuchtenelementen von Atelier de Troupe erhellt wurden, versanken in einem sanften Nebel und besinnlicher Hintergrundmusik. Das Licht, das auf den sich langsam ausbreitenden Nebel traf, verlieh der Szene außerdem eine sakrale Atmosphäre. Aber klassische griechisch-römische Skulpturen unterstrichen wiederum den Charakter der musealen Ausstellung. Es sollte ein Raum entstehen, der sich zwischen fortlaufendem Prozess und abgeschlossener Installation befand, und den Besucher*innen die Möglichkeit gab, einzutauchen. Er ließ eigene Interpretationen und Empfindungen zu, während man sich in einem Raum bewegte, der wie eine Film- und Theaterkulisse funktionierte. (as)

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