Creative Britannia
Unterwegs auf der London Craft Week und Clerkenwell Design Week

Kleinere, oft lokal ausgerichtete Designfestivals sind auf dem Vormarsch. Statt mit spektakulären Produktneuheiten und Inszenierungen locken sie das Publikum mit historischen Ausstellungsorten und Design, das auf Zugänglichkeit und Community setzt – gestalterische und handwerkliche Entdeckungen inklusive.
Hört man sich um, so beklagen viele Protagonist*innen aus der Designbranche, dass Großevents wie der Salone del Mobile, der Fuorisalone und die 3daysofdesign an Charme und Kreativität verloren haben, die immer gleichen Namen feiern und in einem kapitalistischen Korsett eingezwängt zu sein scheinen. Nun, auch kleinere Veranstaltungen wie Fiskars Village Art & Design Biennale oder Romanian Design Week sind finanziellen Zwängen unterworfen. Und doch haftet ihnen ein gewisser Indie-Charme an, der Aufbruch verspricht, überraschende Entdeckungen und eine gewisse Leichtigkeit.
Zwei Londoner Events, die unmittelbar hintereinander im Mai stattfanden, könnten gegensätzlicher nicht sein und ergänzen sich gerade deshalb so gut: die von der Michelangelo Foundation geförderte London Craft Week mit handgefertigten Einzelstücken sowie die Clerkenwell Design Week mit großen Designlabels und einigen künstlerischen Interventionen.
Karolina Merska stellt aus Roggenstrohhalmen und Papier traditionelle polnische Pajaki her. Das sind farbenfrohe, sehr dekorative Mobiles, die Lüstern ähneln.
Makers & Community
Die London Craft Week findet über die ganze Stadt verteilt statt – in Showrooms, Werkstätten und Studios oder als kuratierte Ausstellungen. Dazu gesellen sich sogenannte Pavillons, die dem Kunsthandwerk bestimmter Länder gewidmet sind – in diesem Jahr beispielsweise China, Thailand und Saudi-Arabien. Die 11. Ausgabe der London Craft Week verzeichnete rund 400 Veranstaltungen und 1.000 teilnehmende Handwerker*innen, Designer*innen und Maker*innen, wobei der Community-Gedanke großgeschrieben wurde.
So konnte das Publikum an verschiedenen Workshops teilnehmen, die eigenen handwerklichen Fähigkeiten testen und sein Wissen um die Beschaffenheit und das Herstellen der Dinge erweitern. Die polnische Designerin Karolina Merska veranstaltete in ihrem Studio eine Ausstellung und einen Workshop zur Volkskunst Pajaki: kunstvolle Mobiles aus Papier, Stroh und Wollpompons, die historischen Lüstern ähneln und an Weihnachten, Ostern, zu Taufen sowie zu Hochzeiten polnische Häuser und Wohnungen schmücken.
Design aus Korea am Cromwell Place. An dieser Adresse fanden zur London Craft Week mehrere Veranstaltungen statt. Im Bild: Ausstellung Landscape of Materials.
Elegant & raffiniert: englisches Handwerk
An einigen Orten konzentrierten sich die Veranstaltungen der London Craft Week, so beispielsweise in der pittoresken Pimlico Road. Dort reiht sich ein Showroom an den anderen, darunter auch Linley. Hinter dem Store steckt David Albert Charles Armstrong-Jones, 2. Earl of Snowdon, der sich beruflich David Linley nennt. Er ist ein Neffe von Queen Elizabeth II., studierte an der im Parnham House beheimateten School for Craftsmen in Wood und ist seit den Achtzigerjahren als Möbeldesigner mit Fokus auf das Handwerk tätig. Unweit seines eleganten Showrooms war die Galerie von Rose Uniacke eine echte Entdeckung. Die Innenarchitektin schafft mit der kunstvollen Zusammenstellung von ausgesuchten Antiquitäten raffinierte Interiors, die gleichermaßen elegant, behaglich und ruhig sind. Am Cromwell Place im vornehmen South Kensington konnte man in einem typischen Townhouse in Südkorea gefertigte Stücke auf handwerklich hohem Niveau sehen. Bemerkenswert waren die aus feinem Draht geflochtenen Körbe von Woosun Cheon und Gefäße aus Rosshaar von Dahye Jeong.
Installation Harmonic Tides des Architekten Arthur Mamou-Mani aus 3D-gedrucktem Bio-Plastik
Ein ganzer Stadtteil im Designfieber
Auch ein schöner Anlass, mal einen anderen Blick auf London zu werfen, ist die Clerkenwell Design Week. Sie ist benannt nach dem gleichnamigen Stadtteil – dort, wo sich der riesige, brutalistische Wohnkomplex Barbican Center und der geschichtsträchtige Smithfield Market befinden, unweit von St. Paul’s Cathedral und Bloomsbury gelegen. Die Clerkenwell Design Week ist kommerzieller als die London Craft Week ausgerichtet – mit Veranstaltungen in rund 160 Showrooms internationaler Hersteller und an einigen historischen Orten.
Erstmals Austragungsort der Clerkenwell Design Week: die Church of Design.
Neu bespielt wurde in diesem Jahr St Bartholomew the Great, die zur Church of Design wurde, ein Kloster aus dem 14. Jahrhundert (The Charterhouse) und Studio Smithfield. Während an einigen der historischen Orte die ausgestellten Produkte zuweilen etwas unmotiviert arrangiert wirkten, waren sie an anderer Stelle einfallsreicher, mehr auf den Ort eingehend kuratiert. Hier ist insbesondere das Old Sessions House zu nennen, wo Hersteller wie String Furniture, Vincent Sheppard und Kasthall auf eine Architektur aus dem 18. Jahrhundert mit bis zu acht Meter hohen, teils überkuppelten Räumen und opulenten Treppenhäusern trafen.
Installation A Week at the Knees von Alex Chinneck
Ein weiteres Highlight der Clerkenwell Design Week war die künstlerische Intervention A Week at the Knees von Alex Chinneck am Charterhouse Square – eine 5,50 Meter hohe Skulptur in Form einer frei stehenden Backsteinfassade, die in einen Bogen übergeht. Obwohl er schon unzählige öffentliche Werke umgesetzt habe, sei er sehr gestresst gewesen von dem Projekt, vor allem als zwischendurch der Spezialkleber ausgegangen sei, erzählte der britische Künstler. Das ist wenig überraschend, wenn man bedenkt, dass die Skulptur aus einer Stahlkonstruktion mit 7.500 Backsteinen, maßgefertigten Fenstern und Türen besteht.
Einer der schönsten Ausstellungsorte der Clerkenwell Design Week war das Charterhouse aus dem 14. Jahrhundert.
Durch Architekturgeschichte wandeln
Wer im Mai in London ist, dem seien unbedingt beide Veranstaltungen ans Herz gelegt, gerade wegen ihrer Gegensätzlichkeit. Auch wenn das englische Handwerk und Design für deutsche Betrachter*innen oft überbordend und zuweilen etwas altmodisch wirken, gibt es in London allenthalben Entdeckungen machen – seien es längst vergessen geglaubte Handwerkstechniken, ungewöhnliche Materialien oder die überraschende Zusammenstellung von Antiquitäten und Designstücken zu eklektischen Interiors. Die Clerkenwell Design Week bietet vor allem die Möglichkeit, englische Hersteller wie Ercol und Craeton zu entdecken. Wer jedoch Neuheiten internationaler Labels sucht, wird enttäuscht. Ganz sicher nicht enttäuschend sind all die historischen Orte wie Kirchen, Klöster und Paläste, in denen viele der Präsentationen beider Veranstaltungen stattfinden. Man wandelte quasi durch Jahrhunderte englischer Architekturgeschichte. Und zwischendurch konnte man in einen Pub einkehren oder bei strahlendem Sonnenschein im Park picknicken.
London Craft Week
londoncraftweek.comClerkenwell Design Week
www.clerkenwelldesignweek.comMehr Stories
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