Der Funke springt über
Wenn Designerinnen schweißend ihren eigenen Weg gehen

Mit Brenner und Maske: Anna Zimmermann und Hannah Kuhlmann gehören zu einer jüngeren Generation von Gestalterinnen, die die vermeintliche Männerdomäne Metall erobern. Und das Schweißhandwerk dabei spielerisch neu erfinden.
Stellen wir uns eine Werkstatt vor, in der gerade geschweißt wird: Die Funken sprühen, der Brenner leuchtet grell, es zischt und prasselt und raucht, ein beißender Geruch breitet sich aus. An den Wänden stehen schwere Gasflaschen, von der Decke hängt ein Abzugsschlauch. Die Person am Brenner trägt Handschuhe und Maske, um sich vor dem grellen Licht und der Hitze zu schützen. Dann klappt die Person den Kopfschutz hoch, um eine kurze Pause zu machen. Wen sehen wir? Eine junge Frau mit großer Brille, die langen blonden Haare zum Pferdeschwanz gebunden. Überrascht? Vielleicht. Denn Schweißen wird immer noch als Männerdomäne wahrgenommen, als Arbeit für starke Kerle, als eine der letzten Bastionen des Machismo im Handwerk.
Anna Zimmermann arbeitet daran, diese Bastion einzureißen: Die Wiener Designerin hat The Feminist Welding Club initiiert, um Frauen, genderqueeren Menschen und Transpersonen das Schweißen beizubringen. Zimmermann bietet in Wien regelmäßig Kurse an, in denen sie die Grundlagen der verschiedenen Techniken vermittelt. Auch bei der diesjährigen Vienna Design Week war sie mit dabei: Auf dem Gelände der Festivalzentrale hatte sie eine temporäre Werkstatt eingerichtet und gab Unterricht. Ursprünglich entwickelt hatte Zimmermann das Projekt für ihren Masterabschluss 2024 an der Londoner Hochschule Royal College of Art: Sie erlernte das Schweißen, unterrichtete und erforschte Genderfragen im Handwerk.
Nackte Frauen in der Werkstatt
Es waren die Pin-up-Kalender, die das Projekt provoziert hatten. Bereits vor ihrem Masterstudium in London hatte sich Anna Zimmermann mit Stahl und Aluminium als Material für ihre Entwürfe beschäftigt. So etwa 2022 für das Format „Passionswege“ der Vienna Design Week: In Zusammenarbeit mit dem Wiener Lüsterhersteller Bakalowits entwickelte sie eine Serie von Objekten wie Wandhaken, Ablagen und Schalen aus Metall. Doch immer, wenn sie in eine Metallwerkstatt kam, egal ob in Österreich oder in ihrer Schweizer Heimat, schauten sie leicht bekleidete oder nackte Frauen von den Wänden an.
„Ich war die einzige Frau und stand vor diesen nackten Frauen“, erinnert sie sich. Die Mitarbeiter der Werkstätten hätten nicht gewusst, wie sie mit ihr umgehen sollten. Die Unsicherheit übertrug sich auf Zimmermann, die das Gefühl hatte, eine Rolle spielen zu müssen. „Entweder musste ich das nette, naive Mädchen sein oder ich musste betont stark auftreten. Aber ich konnte nie einfach normal freundlich sein“, so die Designerin weiter.
Kaum in London angekommen, ließ sie sich von den Technikern in der Metallwerkstatt der Hochschule das Schweißen beibringen. Was als Experiment startete, um sich selbst zu beweisen, dass sie auch als Frau ein Männerhandwerk ausüben kann, entwickelte sich schnell zu einem größeren Projekt. Zimmermann gründete den Welding Club und bot erste Kurse an. Für die Masterarbeit konzipierte sie einen Pausenraum für eine Werkstatt, für den sie die Ausstattung entwarf und aus Metall selbst herstellte. Auch Kursteilnehmerinnen steuerten Objekte bei. An der Wand hing ein Kalender namens Welding Girls mit Porträts der Teilnehmerinnen in voller Schweißmontur.
Eine befreiende Erfahrung
Auch Hannah Kuhlmann kennt die Situation als Frau alleine unter Handwerkern: „Während meines Studiums war die Metallwerkstatt fast ausschließlich von Männern besetzt. Für mich war es anfangs irritierend, als Frau in einem Raum zu arbeiten, in dem ich mich automatisch als Ausnahme fühlte“, sagt die Kölner Designerin. „Diese Fremdheit hat mich jedoch eher motiviert, den Ort und das Handwerk für mich selbst neu zu definieren – und genau dadurch eigene, unabhängige Wege zu entwickeln.“
Kuhlmann entwirft Leuchten, Möbel und andere Objekte, die hauptsächlich aus Stahl bestehen und die sie in ihrer eigenen Werkstatt in Köln herstellt. Aus dem scheinbar männlichen Material formt sie etwa Leuchten in Blumen-, Stern- oder Herzform. Sie startete mit einem eintägigen Schweißkurs, alles Weitere habe sie sich autodidaktisch beigebracht. „Vor allem durch Videos, Beobachten und Ausprobieren. Diese Erfahrung hat in mir die Überzeugung bestärkt, dass man sich fast alles aneignen kann, wenn man sich der Herausforderung einmal stellt“, sagt die 36-Jährige. Sie beobachtet, dass sich immer mehr Gestalterinnen an Metallarbeiten wagen und sich das zutrauen. Für sie selbst hatte die Erfahrung, eine angeblich komplizierte Technik zu meistern, etwas Befreiendes.
Schweißnähte als Ornament
Anna Zimmermann hat den Einstieg ins Metallhandwerk ebenfalls als Selbstermächtigung erlebt. „Sagen zu können, hey, ich kann das auch. Damit habe ich ein Gefühl von Machtlosigkeit überwunden“, erklärt die Designerin. Das habe ihr viel Selbstbewusstsein gegeben. Ein wichtiger Aspekt des Projekts: Zimmermann vermittelt das Schweißen auf ihre Art. Die Sicherheit bei der Arbeit müsse gewährleistet sein und die Nähte müssen halten. Aber darüber hinaus erlaubt sie sich selbst und den Teilnehmer*innen der Kurse die Freiheit, Dinge anders zu machen, als sie herkömmlich gemacht werden.
„Für mich ist es ein Experimentierfeld. Es gibt mir viel Inspiration für neue Formensprachen“, so die Schweizerin weiter. Die perfekt ausgeführte Schweißnaht verliert in diesem Kontext an Bedeutung. Eine Naht kann sich zum Ornament verselbstständigen und die Oberflächen der Objekte als dekoratives Muster überziehen. Das Klischee, Metall sei ein hartes und schwierig zu bearbeitendes Material, hat sie auch widerlegt. „Ich habe früher mit Keramik gearbeitet. Das konnte frustrierend sein“, sagt sie. „Metall hingegen ist sehr vergebend. Wenn ein Loch oder eine Delle entsteht, gibt es immer Möglichkeiten, das zu reparieren. Ein Loch kann man wieder zuschweißen, eine Delle aufpolieren. Wenn man damit umzugehen weiß, ist Metall ein sehr weiches und formbares Material.“
Anna Zimmermann
annazimmermann.euStudio Kuhlmann
hannahkuhlmann.hkMehr Stories
Revival der verlorenen Formen
Besuch der Ausstellung Fragmenta in einem Steinbruch bei Beirut

Neue Atmosphären
Berliner Architekt Christopher Sitzler gewinnt Best of Interior Award 2025

Innovation als Erfolgsrezept
Bauwerk Parkett feiert 90-jähriges Jubiläum

Räume, die sich gut anfühlen
Mit Wohnpsychologie und Palette CAD schafft Steffi Meincke Räume mit Persönlichkeit

Von der Bank zum Baukasten
COR erweitert die Möbelfamilie Mell von Jehs+Laub

Eine Bühne für junge Talente
Maison & Objet feiert 30 Jahre und setzt auf Nachwuchs

Flexibilität in der Gestaltung
Beispielhafte Projekte setzen auf Systembaukästen von Gira

MINIMAL MASTERS
Wie die Shaker mit klaren Werten und asketischem Stil das Design prägen

Schatz in der Fassade
Warum der Austausch historischer Kastendoppelfenster ein Fehler ist

Von rau bis hedonistisch
Wie verändert die Kreislaufwirtschaft das Interiordesign?

Neue Impulse setzen
DOMOTEX 2026 präsentiert sich mit erweitertem Konzept

Der Stuhl, der CO₂ speichert
Mit einer Sitzschale aus Papier setzt Arper neue Maßstäbe für nachhaltige Materialien

Digitale Werkzeuge in der Innenarchitektur
Wie ein Schweizer Büro Planung, Präsentation und Produktion verbindet

Natursteinästhetik in Keramik
Fünf neue Oberflächen erweitern das Feinsteinzeug-Programm des Herstellers FMG

Creative Britannia
Unterwegs auf der London Craft Week und Clerkenwell Design Week

Auf stilvoller Welle
Ikonische Tischserie wave für exklusive Objekteinrichtungen von Brunner

Spektrum der Ruhe
Wie nachhaltig sind farbige Möbel?

Rauchzeichen aus dem Abfluss?
Wie Entwässerungstechnik zur Sicherheitslücke beim Brandschutz werden kann

Design als kulturelles Gedächtnis
Ausstellung Romantic Brutalism über polnisches Design in Mailand

Alles Theater
Dramatische Inszenierungen auf der Milan Design Week 2025

Zurück zur Kultiviertheit
Neues vom Salone del Mobile 2025 in Mailand

Dialog der Ikonen
Signature-Kollektion JS . THONET von Jil Sander für Thonet

Leben im Denkmal
Ausstellung Duett der Moderne im Berliner Mitte Museum

Mission Nachhaltigkeit
Stille Materialrevolutionen bei Vitra

Zwischen Zeitenwende und Tradition
Unsere Highlights der Munich Design Days und des Münchner Stoff Frühlings

Spiel der Gegensätze
Best-of Outdoor 2025

Outdoor mit System
Clevere Lösungen für Außenbereiche von Schlüter-Systems

ITALIENISCHE HANDWERKSKUNST
Mit Möbeln, Leuchten und Textilien gestaltet SICIS ganzheitliche Wohnwelten

Glas im Großformat
Das Material Vetrite von SICIS bringt Vielfalt ins Interior

Surrealistische Vielfalt in Paris
Highlights von der Maison & Objet 2025
