Was passiert, wenn die Ästhetik einer Mode-Puristin und ein legendärer Stuhlklassiker aufeinandertreffen? Das deutsche Möbelunternehmen Thonet hat gemeinsam mit der „Queen of Less“, der Modedesignerin Jil Sander, den ersten Freischwinger der Designgeschichte neu eingekleidet.
Die grundlegende Idee zum S 64 stammt aus den 1920er-Jahren, als Mart Stam einen freitragenden Stuhl ohne rückwärtige Beine aus Gasrohren entwickelte. Weil das Gestell seines Pioniermöbels noch keine Rundungen aufwies, war es allerdings wenig nachgiebig. Sein Gestalterkollege Marcel Breuer entwickelte das Prinzip weiter und verfeinerte Flexibilität und Ergonomie durch Biegungen und eine Sitzfläche aus Wiener Geflecht. Seit fast hundert Jahren wird Breuers Freischwinger bei Thonet kontinuierlich produziert. Im Laufe der Zeit gab es einige Anpassungen in Material, Technik und Komfort, um Haltbarkeit und Stabilität zu optimieren, aber keine Veränderungen in Form und Design. Auch Jil Sander ist eine Legende: So wie Dieter Rams für das deutsche Industriedesign steht, prägte Sander beispielhaft die Mode made in Germany. Als Perfektionistin mit kompromissloser Konsequenz entwarf Sander zeitlos elegante Schnitte mit klaren Silhouetten, hohen handwerklichen Ansprüchen und monochromen Farbkonzepten. Über ihre Entwürfe sagte sie einmal, sie seien „nicht modisch, sondern modern“ – und damit ist wohl auch die Schnittmenge zur Bauhaus-Moderne bestens eingefangen.
Designtransfer in die Gegenwart
„Design und Architektur haben mich schon immer beeinflusst“, erklärt die Hamburgerin. Die Zusammenarbeit mit Thonet und die Auseinandersetzung mit dem S 64 von Breuer ist eine Fortführung ihrer Arbeitsweise und Designphilosophie. Mit Thonet verbinden sie gemeinsame Werte wie der hohe Anspruch an Material, Verarbeitung und Langlebigkeit. „Ich wollte den Klassiker nicht neu erfinden, mir geht es um die Veredelung“, sagt Sander. Indem sie das bewährte Design mit ihrer Handschrift interpretiert und individualisiert, erweitert sie den Charakter des Sitzmöbels um weitere Facetten. Ihre Interventionen sind visuell dezent, basieren aber auf einer tief reichenden Auseinandersetzung mit traditionellen sowie zeitgenössischen Fertigungsverfahren und Handwerkstechniken. Dazu gehören die Hochglanzlackierung von Steinway-Flügeln, die Lederpolsterung britischer Automobilinnenräume und die matte Nickel-Silber-Oberfläche von Architekturelementen, die Sander selbst gerne für die Einrichtung ihrer Flagship-Stores verwendet.
Mit Liebe zum Detail und Handwerk
Über ihre strategische Herangehensweise sagt Sander: „Wir haben uns zuerst intensiv mit der Vergangenheit auseinandergesetzt und uns im Frankenberger Werk und den Archiven umgesehen. Ich habe dann zielstrebig entschieden, dass wir die Metall-Chrom-Geschichte ändern und beim Leder wusste ich, dass es matt sein sollte. Im Prozess haben wir alle Elemente immer wieder verändert und aufeinander abgestimmt.“ Zwei Serien hat Jil Sander nach intensiver Recherche und einem präzisen Entwicklungsprozess mit Thonet lanciert. Bei Nordic treffen Holz und ein mattes Nickelsilver aufeinander, Serious setzt mit Bordeauxrot, Tiefblau, Olivgrün und Schwarz auf Farbharmonie und Oberflächenkontraste. Das Gestell ist mit einer dunklen Nickelschicht in Anthrazit verchromt und wird mit hochglänzenden Arm- und Rückenlehnen sowie Sitzflächenrahmen kombiniert. Dafür werden die Holzelemente mehrfach lackiert, abgeschliffen und poliert, bis sie das Licht so stark reflektieren, dass visuelle Tiefe entsteht. Alternativ zu den leicht schimmernd changierenden Lederbezügen kann auch das schwarz eingefärbte Rohrgeflecht Dark Melange gewählt werden.
Poesie und Purismus
Die Serie Nordic kommt inklusive eines hellen Rohrgeflechts, das alternativ zu den pudrig-matten Naturlederbezügen gewählt werden kann und optimal mit dem changierenden Metallgestell in mattem Nickelsilver harmoniert. Nachdem Jil Sander die beiden Stuhlprogramme fertiggestellt hatte, entschloss sich Thonet, sie durch entsprechende Tische zu ergänzen. Der klassische Stahlrohr-Satztisch B 97 wurde 1933 von Marcel Breuer entworfen und nutzt die offene Seite seiner Freischwinger-Konstruktion als funktionalen Vorteil. Sie können über den Sofa-, Sessel- oder Bettrand gezogen werden – und sind jetzt auch als Mitglieder der Sander-Möbelfamilie erhältlich. „Ich suche ein Ergebnis, das selbstverständlich und nicht angestrengt wirkt. Die Signature-Kollektion wirkt, als hätten wir Breuers Freischwinger nur gründlich poliert. Man erkennt ihn trotz Überarbeitung sofort wieder“, fasst Jil Sander zusammen.
Thonet
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