Flora und Fauna
Neues von der Design Miami 2024 und Alcova Miami
Auf der Sammlermesse Design Miami 2024 standen Upcycling und raffinierte Stofflichkeit hoch im Kurs. Die Nachwuchsschau Alcova war leider etwas vom Pfad abgekommen. Gleichzeitig setzten viele Marken auf den Charme historischer Art-déco-Villen. Wir haben vor Ort die spannendsten Präsentationen für Sie entdeckt.
In Miami darf alles größer, bunter und lauter sein. Und so lag das Motto fast schon auf der Hand, das Glenn Adamson, Kurator der diesjährigen Ausgabe der Sammlermesse Design Miami, verordnete: Mit dem Leitthema Blue Sky wollte er Sprünge der Fantasie und Kreativität feiern – ganz gleich, ob es sich dabei um Raritäten der Designgeschichte oder Entwürfe heutigen Datums handelt. Die Schau sollte alles versammeln, das von der globalen Design-Community unter dem gemeinsamen Himmel entworfen wurde. Als Location diente erneut ein großes, weißes Zelt, das gegenüber vom Haupteingang des Miami Beach Convention Centers aufgeschlagen war, wo parallel die Kunstmesse Art Basel Miami Beach solvente Sammler*innen anlockte. Diese Ausgabe markierte zugleich ein Jubiläum: Vor genau zwanzig Jahren fand die Design Miami hier zum ersten Mal statt.
Neue Perspektiven
Seitdem hat sich viel verändert. Limitierte Editionen erkunden neue, nachhaltige Produktionsprozesse. Und vor allem: Sie öffnen den eurozentrischen Blickwinkel auf Teile der Welt, die bislang völlig zu Unrecht ignoriert wurden. Das offenbarte sich vor allem am Stand der Galerie æquō, die 2022 von Tarini Jindal Handa in Mumbai gegründet wurde – als erste Designgalerie Indiens. Gezeigt wurden Arbeiten, die eine heutige Ästhetik in traditionellen Techniken indischer Handwerkskunst verwurzeln – so wie beim Flap Chair von Chamar Studio. Dessen Gründer Sudheer Rajbhar verwendet ein selbst entwickeltes Material: ein spezielles Leinengewebe, das mit einer Schicht aus recyceltem Gummi verbunden wird. In Zusammenarbeit mit der Dalit-Gemeinschaft in Dharavi, dem größten Slum in Mumbai, entstand eine Produktlinie, die Gummi und Abfall zu funktionalen Objekten upcycelt. Inspiration fand Sudheer Rajbhar in den blauen Planen, die zum Schutz der Häuser während des Monsuns verwendet werden. Für den Flap Chair wird das Material in ein überdimensional vergrößertes Flechtwerk übersetzt, das eine Ugly-Chic-Attitüde mit satten Farben und einer nicht unwichtigen Portion Boldness garniert.
Materielle Verschiebungen
Auch am Stand der Carpenters Workshop Gallery wurde Upcycling zur Kür erhoben: von neuen Leuchten aus der von Nacho Carbonell gestalteten Serie Cocoon bis hin zu den Möbeln von Vincenzo De Cotiis aus wiederverwertetem Fiberglas und Beton. Das Ergebnis sind Objekte, die zwischen den Zeitebenen oszillieren. Sie könnten aus einer fernen Zukunft stammen oder bereits seit Jahrtausenden irgendwo vergraben im Erdboden geschlummert haben. Ein Hingucker am selben Messestand war der Windy Chair von Yinka Shonibare. Er erweckt die Illusion, als würde eine Stoffbahn von einem Windstoß in dynamische Bewegung versetzt, obwohl das aus Aluminium und Stahl gefertigte Objekt in Wirklichkeit mit schwergewichtigen Fakten aufwartet. Die Oberfläche ist mit farbenfrohen, verspielten Mustern überzogen, die von jenen Wachsstoffen inspiriert sind, die holländische Kolonialhändler im 19. Jahrhundert von Indien nach Afrika exportierten und die dem Kontinent eine bis heute nachwirkende modische Identität gaben.
Zweidimensional oder dreidimensional
Apropos Stoff: Die Materialität war auffällig präsent – auf der Art Basel ebenso wie auf der Design Miami. Besonders hoch im Kurs standen textile Wandarbeiten, die aus der Fläche heraus räumliche Dimensionen erkunden. Untitled XVI: Overlooking the Water heißt die Arbeit der Chicagoer Designerin Jacqueline Surdell, die am Stand der Mindy Solomon Gallery gezeigt wurde. Fragmente erwecken Assoziationen an verrottete Fischernetze. Wer will, kann ebenso Wildblumenbilder oder Prärielandschaften darin entdecken, je nachdem wie stark man sie heran oder von ihnen weg zoomt.
Sinnliche Strukturen und Texturen bestimmen auch die Arbeiten von Erik Speer, die am Stand der New Yorker Galerie Todd Merrill Studio zu sehen waren: Der in New Mexico geborene und aufgewachsene Gestalter ist passionierter Taucher und hat seine Erfahrungen in der Unterwasserwelt in textile Wandreliefs sowie in plastische Stoffstrukturen übertragen, die die Rückseiten zweier Sessel mit dem Titel Sit Down / Do Nothing Swivel Chair zieren. Handwerkstechniken wie Häkeln, Stricken, Filzen und Weben werden zu reliefartigen Strukturen verbunden, die sich nicht nur betrachten lassen, sondern auch mit taktiler Raffinesse punkten. Eine Rückkopplung in der Zeit vollzog die Galerie Boccara mit historischen Wandteppichen von Sonia Delaunay, Alexander Calder oder Fernand Léger.
Textile Oberflächen
Vortrefflich verspielt gehen die Haas Brothers ans Werk, die zusammen mit der New Yorker Galerie R & Company neue Werke zeigten. Dabei werden die Dimensionen durchaus üppiger betrachtet. Die Leuchte The Strawberry Tree ist tatsächlich in der Größe eines Baums gehalten – und wurde aus Platzgründen außerhalb des Messestands auf einer Freifläche präsentiert, wo sie viele Besucher*innen zu kurzem Innehalten und zur Konversation animierte.
Den von der Design Miami verliehenen Preis für den besten Messestand konnte die New Yorker Galerie Friedman Benda für sich entscheiden. Höhepunkt war ein Möbelensemble des mexikanischen Architekten Javier Senosiain, der in den Achtzigerjahren mit der Casa Orgánica Ruhm erlangte – einem Bau mit gänzlich fließenden Konturen, der von einer Erdnussschale inspiriert wurde. Nun präsentierte er einen Esstisch mit Hockern, eine Pflanzenschale, einen Spiegel sowie eine skulpturale Sitzbank, die mit farbenfrohen Mosaiksteinen überzogen sind und den Oberflächen einen flirrenden Effekt verleihen. Im Falle der Bank vollziehen die Farben einen rötlich-gelben Verlauf, der Assoziationen an eine Flamme erweckt.
Verpuffte Prägnanz
Auch die Mailänder Designschau Alcova war wieder präsent. Diesmal bespielte sie mit dem River Inn das älteste Hotel von Miami. Die Hochhäuser von Downtown liegen nicht weit entfernt. Dennoch wirkt der Ort am Miami River der Großstadthektik seltsam entrückt. Fünf Holzhäuser in Pastellfarben gruppieren sich um einen zentralen Platz, der vor allem an den Previewtagen als kommunikativer Spielplatz seine Rolle erfüllte. Viele sinnliche Erfahrungen begleiteten die Präsentationen: Gerüche oder Variationen der Luftfeuchtigkeit wurden bei einigen Installationen miteinbezogen. Dennoch war der Eindruck trotz erheblicher Farbinfusionen fade. Generisch und lustlos wirkten die Arbeiten. Manche agierten auf einem Level, das man eher bei studentischen Ausstellungen erwarten würde als bei einem solch prominenten Auftritt. Bühne verpflichtet, erst Recht in Miami.
Faszination der Tierwelt
Alcova war nicht die einzige Designschau, die sich dem Zelt der Design Miami entzog. Das italienische Möbellabel Tacchini bespielte mehrere Räume einer Villa, die den Betreiber*innen des US-Möbelimporteurs M2L gehört. Es handelt sich dabei um ein Art-déco-Juwel in Mid-Beach, wo die Möbel in reale Wohnsituationen eingebunden werden konnten. Teppiche von CC-Tapis rundeten den Auftritt ebenso ab wie Outdoor-Möbel von Sebastian Herkner für Ames, die den Pool umrundeten. Einen charmanten Auftritt meisterte auch das Label Man of Parts in einer Villa seines Gründers Stephan Weishaupt: Dort konnten die Besucher*innen im Garten mit eindrucksvollen tropischen Pflanzen entspannen.
Dass neben der Flora ebenso die Fauna von Interesse ist, zeigte Jaime Hayon. In den Räumen der Mindy Solomon Gallery im Stadtteil Little River präsentierte der Spanier die Ausstellung Bestial – nicht mir Designobjekten, sondern ausschließlich mit Gemälden und Skulpturen. „Ich hebe die entscheidende Rolle hervor, die Tiere in der Kunstgeschichte gespielt haben, indem sie Emotionen und menschliche Erfahrungen in allen Zivilisationen symbolisieren“, so Hayon. „Von den Ägyptern, die Tiere in ihren Göttern vermenschlichten, bis hin zu Künstlern wie Picasso, Dalí und Rousseau drücken Tiere Stärke, Wut und Leidenschaft in unserem täglichen Leben aus.“ Der Ausflug in die Kunst hat ihm gutgetan, auch wenn er beteuert, dass im nächstes Jahr wieder zahlreiche Designprojekte in der Pipeline stehen. Doch eine Trennung der Disziplinen ist in Miami ohnehin obsolet. Unter einem offenen, blauen Himmel kommt alles zusammen.