Best-of Euroluce 2023
Die Materialisten – neue Leuchten aus Mailand

Nachdem jahrelang technische Raffinessen gefeiert wurden, kehren Wohnlichkeit und Wärme zurück ins Leuchtendesign. Dabei stehen Materialien im Fokus der Gestaltung – das war in Mailand überall zu sehen. Unsere Rundschau zeigt gerippte Lycra-Überzüge, massives Nussbaumholz, sinnliche Keramik und kunstvolle Glasobjekte, die das Handwerk feiern. Plus eine Bildergalerie mit 74 Fotos.
Parallel zur 61. Ausgabe des Salone del Mobile fand im April in Mailand die Euroluce statt. Die 31. Edition der Licht- und Leuchtenmesse war – wie erwartet – vor allem ein Schaulaufen der italienischen Hersteller wie Flos, Foscarini und Artemide. Dazu gesellten sich kleinere internationale Brands wie Vibia, Ingo Maurer, Michael Anastassiades, Brokis, Bomma und ELOA. Die Leerstellen in den vier Hallen hatte der Veranstalter geschickt mit verschiedenen Ausstellungen wie „City of Lights“ kaschiert. Ein vom italienischen Architektur- und Ingenieurbüro Lombardini22 entwickeltes neues Hallenlayout in Form eines unregelmäßigen, frei geformten Rings bot mehr Abwechslung als das herkömmliche Schachbrettformat. Mit rund 307.000 Besucher*innen verzeichnete der Salone del Mobile ein Besucherplus von 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr, als die Messe noch unter den Auswirkungen der Pandemie litt.
Studiopepe, Stick, Contardi. Foto / Copyright: Hersteller
Nicht im luftleeren Raum
Zwar spielen technische Innovationen auch bei Leuchten für das private Wohnen eine wichtige Rolle, doch sie treten zunehmend in den Hintergrund. Vielmehr geht es bei den meisten Herstellern darum, ein behagliches und warmes Ambiente zu erzeugen. Das funktioniert mithilfe der Formgebung vor allem über haptisch und ästhetisch ansprechende Materialien. Neben Holz und Glas, die Klassiker im Leuchtendesign sind, kommt zunehmend auch Keramik und Porzellan zum Einsatz – ein Trend, den man auch im Möbeldesign beobachten kann. Schließlich wird alles eins und muss zueinander passen, Möbel und Textilien ebenso wie Teppiche, Leuchten und Accessoires. Wenig überraschend also, dass längst auch klassische Leuchtenhersteller auf Interiortrends reagieren, haben sie in den letzten Jahren doch zunehmend Konkurrenz bekommen von Brands, die zuvor keine Leuchten entwickelt haben.
Ron Arad, Cono di Luce, Lodes. Foto / Copyright: Hersteller
Eine glasklare Sache
Glas ist immer noch das Material der Stunde, wenn es um dekorative Leuchten geht. Das zeigten auf der Euroluce italienische Hersteller wie Venini und Fontana Arte, aber vor allem tschechische Unternehmen. Lasvit ist in der Lage, technisch und handwerklich komplexe Entwürfe in Glas umzusetzen, wie die neue Steh- und Hängeleuchtenserie von Yabu Pushelberg zeigt. Das klare Außengehäuse der Kollektion Miles birgt im Inneren ein weiteres, geriffeltes Glaselement. Lasvit arbeitet vorrangig im Projektgeschäft und stattet beispielsweise Luxushotels mit Sonderanfertigungen aus. So zog am Messestand das Lichtobjekt Cloud von Artdirektor Maxim Velčovský alle Blicke auf sich und wurde noch während der Veranstaltung verkauft.
Lucie Koldova, Overlay, Brokis. Foto / Copyright: Martin Chum
Ebenfalls auf handwerklich höchsten Niveau gefertigt ist die Leuchtenserie Buoy, die Václav Mlynář für Bomma entworfen hat. Der Artdirektor des böhmischen Glasherstellers setzt auf strenge Geometrien, die durch große klare Leuchtenkörper unterstrichen werden. Ebenfalls in Tschechien werden die Leuchten von ELOA gefertigt. Simone Lüling war mit ihrem Label zum ersten Mal auf der Euroluce präsent, bisher hatte die Schweizer Unternehmerin ihre Leuchten auf der Pariser Messe Maison & Objet gezeigt. Die Investition sei auch bei einem kleinen Messestand von 30 Quadratmetern beachtlich gewesen, sagt sie. Es habe sich aber gelohnt, denn bereits in den ersten Messetagen sei das Interesse an ihren Leuchten groß gewesen. Neben den neuen opaken Farben Salbei, Flieder und Flamingo zeigte Lüling erstmals Leuchten in konvexen Formen sowie eine Konfiguration in Form einer Spirale. ELOA profitiert sicherlich davon, dass in Tschechien mundgeblasene Leuchten seit einigen Jahren auf dem Vormarsch sind.
Haptische Oberflächen
Zum Werkstoff Glas gesellen sich weitere natürliche Materialien mit haptischen und ästhetischen Vorzügen. Gleich zwei große italienische Hersteller präsentierten Leuchten, die zumindest teilweise aus Keramik gefertigt sind. Andrea Anastasio hat mit Fregio für Foscarini eine Wand- und Hängeleuchte entworfen, deren architektonisch reduzierte Form auf ein verspieltes Blumenrelief in glasierter Keramik trifft. Hergestellt in der historischen Werkstatt Gatti in Faenza, ist die ungewöhnliche Leuchte aus einem Forschungsprojekt entstanden, das den Zusammenhang von Licht und Volumen untersuchte. „Jahrhunderte lang schmückten diese Basrelief-Paneele die Innenräume von Häusern und Palästen, bis sie mit dem Aufkommen der Moderne verschwanden“, sagt der Designer. „Das Flachrelief lebt vom Licht, sonst verschwindet sein Volumen.“
Ronan Bouroullec, Ceramique, Flos. Foto / Copyright: Hersteller
Auch Ronan Bouroullec hat sich mit dem Material Keramik auseinandergesetzt und für Flos die Tischleuchte Céramique entworfen. Sie ist mit einer bleifreien, kristallinen Glasur versehen und in drei Farben erhältlich. „Bei Keramik geht es um Verlangen, Sinnlichkeit“, sagt der französische Designer. „Ich denke, dass sich meine Arbeit zunehmend in diese Richtung bewegt – Objekte zu produzieren, die zwar funktional sind, aber nach einer Art Eleganz und Vergnügen suchen.“ Ebenfalls elegant und sinnlich zeigen sich zwei Leuchten von deutschen Designer*innen. Während Christian Haas für Classicon eine reduzierte Tischleuchte aus Eschen- und Nussbaumholz entworfen hat, überraschte Meike Harde mit der Leuchtenkollektion Knit für Vibia. Hier kommt ein in Rippen gestrickter Lycra-Überzug zum Einsatz. „Ein Teil des Forschungsprozesses war es, verschiedene Maschentypen zu testen und zu beobachten, wie das Licht hindurchscheint, wie es sich an der Oberfläche spiegelt“, sagt die Designerin.
Harri Koskinen, Souffle d'Hermès, Hermès Maison. Foto / Copyright: Maxime Verret
Entdeckungen auf Nebenschauplätzen
Neben der Messe waren es die Showrooms und Ausstellungsorte in der Stadt, an denen es die interessantesten Leuchten zu entdecken gab, darunter viele handgefertigte Objekte. Hermès Maison zeigte in La Pelota einen Entwurf von Harri Koskinen. Der finnische Designer hat als Artdirektor für Iittala gearbeitet und gilt als ausgewiesener Spezialist im Entwerfen von kunstvollen, handwerklich diffizilen Glasobjekten. Für das Pariser Luxuslabel hat er sich mit Souffle d’Hermès eine Kollektion von LED-Tischleuchten ausgedacht, die durch in Frankreich mundgeblasene, massive Glaskuppeln auffallen, die in drei subtilen Farben schimmern.
Installation von Lindsey Adelman in Alcova. Foto / Copyright: Hersteller
Die meisten experimentellen Leuchten, die abseits der großen Herstellernamen entstanden sind, konnte man während des Fuorisalone an den Ausstellungsorten Alcova und LABÒ Milano entdecken. So kombiniert Dechem Studio aus Prag bei seinem Kronleuchter Tésera mundgeblasenes Glas mit feinen Wollfäden, während das französische Studio Unknown Untitled mit seinem Entwurf Tiles eher praktisch ausgerichtet ist. Es zeigte in Alcova eine Wandleuchte, die sich nahtlos in eine Fliesenwand mit weiteren Tools wie Aufhängern einfügt. Ein paar Schritte entfernt zog das in Eindhoven ansässige Studio Thier & van Daalen alle Aufmerksamkeit auf sich. Und zeigte, dass Designer*innen sich heute spielerisch zwischen Klein- und Serienproduktion bewegen. Während das niederländische Designerpaar mit Vapour für Hollands Licht eine Leuchte in Serienproduktion hat, verkaufen sie ihre Wand- und Hängeleuchten aus mundgeblasenem Glas in kleinen Shops und über ihre Website. Die leuchtenden Farbkleckse passten auch ziemlich gut in das raue Industrie-Ambiente der ehemaligen Großschlachterei Ex-Macello und so konnten sich Thier & van Daalen über fehlendes Interesse nicht beklagen.
Installation von Ingo Maurer an der Porta Romana. Foto / Copyright: Giuliano Koren
Mehr Stories
Zwischen Zeitenwende und Tradition
Unsere Highlights der Munich Design Days und des Münchner Stoff Frühlings

ITALIENISCHE HANDWERKSKUNST
Mit Möbeln, Leuchten und Textilien gestaltet SICIS ganzheitliche Wohnwelten

Neue Ufer?
Best-of Ambiente 2025

NACHHALTIGKEIT TRIFFT DESIGN
GREENTERIOR by BauNetz id auf dem Klimafestival 2025

Flora und Fauna
Neues von der Design Miami 2024 und Alcova Miami

Materialexperimente, Zukunftsvisionen und Teenagerträume
Die Highlights der 3daysofdesign in Kopenhagen

Grünes Licht für Mensch und Umwelt
Der Leuchtenhersteller TRILUX verfolgt vielfältige Nachhaltigkeitsziele

Ganzheitliches Designverständnis
Sonderpreise für Formafantasma und Vibia Lighting bei den Iconic Awards 2024

Comeback des Lichts
Gute Stimmung auf der Light + Building 2024

Berliner Schalter
Jung-Kollektion von Graft setzt urbane Akzente

Kuratierter Kraftakt
Die Neuheiten der Stockholmer Möbelmesse 2024

Lebendiges Licht
Leuchten aus Papier, Beton oder Glas

Zukunftssichere Beleuchtungssanierung
Maßgeschneiderte Lichtlösungen von TRILUX

Auf Nachhaltigkeit geschaltet
Jung setzt ganzheitlich auf ressourcenschonendes Handeln

Natur-Seele
Posthumes Geburtstagsgeschenk für Alvar Aalto

Technischer Herzschlag
Zum Fuorisalone präsentierte JUNG die temporäre Installation Invisible

Licht im Dschungel
Wie Foscarini die Natur in seinen Mailänder Showroom holt

Starkes Schweden
Neues von der Stockholm Design Week 2023

Adaptives Multitalent
Das Gira System 55 wird 25

In den Kreislauf gebracht
JUNG erarbeitet sich Cradle to Cradle-Zertifizierung für komplexes Produktsortiment

Born in Beirut
Fünf Designpositionen aus dem Libanon

Das einfach intelligente Zuhause
Per Plug-and-play zum Smarthome mit JUNG

Technik-Upgrade für den Wohnraum
News und Trends von der Elektronikmesse IFA

Best-of Leuchten 2022
Von Kunstobjekten, Kronleuchtern & Aha-Erlebnissen

Alles im Fluß
Keramikfieber auf dem London Design Festival 2022

Unknown Unknowns
Die XXIII. Internationale Ausstellung der Mailänder Triennale ist eröffnet

Lockruf des Nordens
Die Neuheiten vom Festival 3daysofdesign in Kopenhagen

Meister der Zweitnutzung
Neues Design aus alten Möbeln von Girsberger Remanufacturing

Die Welt als Bühne
Design-Ausstellung über Aldo Rossi in Mailand

Best-of Maison & Objet 2022
Die Neuheiten der Pariser Einrichtungsmesse
