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Meister der Zweitnutzung

Neues Design aus alten Möbeln von Girsberger Remanufacturing

Mit „Upcycling by Design“ gehen der Designer Björn Ischi und der Schweizer Möbelhersteller Girsberger innovative Wege. Die neue Marke versteht sich als ein Designlab und ein Plädoyer für hochkarätiges neues Design aus ungenutzten alten Möbeln.

von Kathrin Spohr, 21.06.2022

„Alle reden von Nachhaltigkeit. Wir in der Regel nicht“, erklärt das Schweizer Möbelunternehmen Girsberger. „Weil wir in Bezug auf Ökologie und Qualität schon immer hohe Maßstäbe an unser Handeln gelegt haben.“ Bereits seit 2007 nimmt der Hersteller von Büro-, Objekt- und Wohnmöbeln an einem zertifizierten Umweltmanagementsystem nach EN ISO 14001 teil, das dazu verpflichtet, die Umweltleistung kontinuierlich zu verbessern. Und seit 2015 ist die gesamte Produktion zu 100 Prozent klimaneutral. Girsberger wurde daher bereits mit der Auszeichnung Ecovadis Gold geehrt.

Fachgerechte Instandsetzung
Als Unternehmen in Familienbesitz entwickelt und produziert Girsberger seit über 130 Jahren eigene Tisch- und Stuhlkollektionen. Fundierte Materialkenntnisse, handwerkliches Können und modern eingerichtete Werkstätten bilden die Grundlage für jeden Fertigungsschritt. Dazu zählte auch längst die Sanierung abgenutzter Möbel. Ein Angebot, das Girsberger 2006 in den neuen Geschäftsbereich Girsberger Remanufacturing überführte, um die Kreislaufwirtschaft zu intensivieren. Die Idee: Gebrauchte Möbel aller Art sollen nicht mehr entsorgt werden, sondern durch professionelle Aufarbeitung und vollständige Wiederinstandsetzung länger in Gebrauch bleiben oder sogar erweiterte Eigenschaften erhalten.

Möbel bewahren
Viele namhafte Kunden haben den Service seit dem Start in Anspruch genommen. Etwa das Kultur- und Kongresszentrum Luzern, dessen Architektur von Jean Nouvel stammt, hat seine Bestuhlung komplett durch Girsberger sanieren lassen. Auch für Kirchen, Museen, Konzerthallen, Universitäten, Restaurants und Cafés gibt es unterschiedliche Aufarbeitungen von Tischen und Stühlen. Egal, ob man aus ästhetischen Aspekten am bestehenden Mobiliar festhalten möchte und die Möbel im Zuge einer Modernisierung eine neue Farbe, bessere Scharniere oder bequemere Polster brauchen. Oder ob es um einen Beitrag zur Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung geht. Es ist nicht nur sinnvoll, Mobiliar hoher Qualität zu erhalten. Es lohnt sich auch finanziell, dieses in großen Stückzahlen fachgerecht instandzusetzen: Die Kosten sind bis zu 50 Prozent geringer als die Entsorgung und der Kauf neuer Möbel.

Second Life mit hohem Designanspruch
Beim traditionsreichen Unternehmen Girsberger geht es darum, die Anforderungen der Zukunft stets im Blick zu haben und Lösungen zu bieten: So ist es kein Wunder, dass nun mit dem erweiterten Leistungsumfang Upcycling ein weiterer, innovativer Weg eingeschlagen wird.
Das Prinzip des Upcyclings ist bekannt: Vermeintlich Wertloses wird durch Umnutzung, Veränderung wieder wertvoll gemacht. Meistens sieht man den Produkten einer Weiterverwendung ihr „second life“ jedoch an, was sie unattraktiv machen kann. Genau da knüpft Upcycling by Design an. „Bei unseren neu gestalteten Produkten überzeugen die Neu-Ästhetik, die Qualität, die hochwertige Gestaltung und Verarbeitung. Keinerlei Anzeichen von „shabby chic“. Die Kunden entwickeln einen positiven Bezug. Erst auf den zweiten Blick entdecken sie, dass für die Möbel ein bestehender Rohstoff zweitverwertet wurde“, erklärt Björn Ischi. Der Schweizer Designer kooperiert schon lange mit Girsberger. „Ich hatte ein Möbelprojekt aus Altpapier initiiert. Wir haben sehr gut zusammen agiert. Daraufhin kam Girsberger mit der Idee auf mich zu, aus alten Tischen neue Klapptische zu gestalten. Das war der Start für Upcycling by Design.“

Klapptische mit Wohlfühlkante
Bei dem Projekt wurden 850 alte Schreibtische aus dem Fundus eines Unternehmens auseinandergenommen, die sonst in der Müllverbrennung gelandet wären. Die Tischplatten aus schwarzem MDF wurden filetiert und zu einem neuen Möbel weiterentwickelt. Es entstanden transportable Tische fürs Homeoffice mit ergonomisch und haptisch angenehmer Kante. „Unter anderem haben wir eine Rundung eingefräst, auf der man die Unterarme zum komfortablen Arbeiten an der Tastatur bequem ablegen kann. Ein Zusatz, der das Produkt nochmals aufwertet“, so Ischi. Das Tischgestell besteht aus Rundrohr. Passend zur Platte wurde es türkis und mattschwarz pulverbeschichtet und durch einen Aufsatz aus gleichem Material ergänzt. Dieser dient als „Reling“, um Notizen oder Accessoires zu fixieren.

Schnelle Umsetzung & Co-Creation
Obwohl das skizzierte Vorgehen komplex klingt, war das Projekt innerhalb von wenigen Wochen abgeschlossen. Von der Designidee zum neuen Produkt über den Bau des Prototypen, die Abstimmung mit dem Kunden bis hin zur Herstellung der neuen Möbel. Bei der Verarbeitung hatte die genaue Einhaltung der Designvorgaben höchste Priorität: Alle Arbeitsschritte mussten mit den jeweiligen Handwerkern im Team genau eruiert werden. Die Menge, die Abmessungen des Rohstoffs „Altmöbel“ sind ja begrenzt. Und jeder Bearbeitungsschritt kostet. Ischi: „Es ist eine spannende Herausforderung. Normalerweise macht man einen Entwurf und sucht dann das passende Material aus. Hier ist es genau umgekehrt. Man muss soviel wie möglich von dem alten Material in ein neues Produkt übernehmen. Gleichzeitig möchte man einem hohen Designanspruch gerecht werden, ein Neuaussehen erreichen und die Kunden begeistern.“

Rollkorpus mit Sitz
Ein weiteres Upcycling-Projekt befindet sich gerade in der Umsetzung: Ein Kunde, der einen großen Bestand an alten Möbeln abbauen wollte, stellte Tische, Korpusse und Möbelaufsätze zur Verfügung, um daraus agile, modulare Möbel – möglichst abschirmbare Kurzzeitarbeitsplätze mit Sitzgelegenheit – entwickeln zu lassen. Entstanden ist ein Ensemble aus rollbarem Tisch und stabilem Rollkorpus, auf dem man sitzen kann. „Eine völlig neue Ästhetik. Die Auflage wird noch definiert. Man ist so begeistert, dass wir nun eine ganze Möbelfamilie entwickeln wollen“, erzählt Björn Ischi.

Alles ist anders
Beim „Upcycling“ gelten neue Spielregeln. Es braucht viel Wissen über Materialverarbeitungstechniken und die Bereitschaft, zu forschen. Perfekt für Girsberger. So hat das Unternehmen bereits eine eigene Methodik fürs „Upcycling“ entwickelt. „Wir sprechen dabei nicht mehr von alten Möbeln, sondern von Rohstoffen. Es ist sozusagen ein neuer Typ Lagerware. Man glaubt gar nicht, wie viele Unternehmen Massen von ungenutzten alten Möbeln einlagern. Und damit unnötige Kosten haben“, erklärt Ischi.  Wenn genügend Material vorhanden ist, existiert der aktuell beklagte Rohstoffmangel also eigentlich gar nicht. Höchstens in unseren Köpfen, die auf Neumaterial gepolt sind. Keine Bestellzeiten, kein Materiallieferverzug – kein CO2-Fußabdruck. Die Gesamtkosten vom ersten Design bis zur Produktion sind geringer – jedoch nur, wenn in größeren Stückzahlen hergestellt wird.

Upcycling by Design fordert zum grundlegenden Umdenken auf: Egal ob in der Planung, der Architektur oder in der Immobilienwirtschaft – Kunden werden nicht durch den Möbelkatalog eines Herstellers blättern und Produkte aussuchen. „Es werden neue Möbel erstellt, die haargenau auf die Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten sind. Auch das ist eine völlig neue Vision“, sagt Ischi.

Hybride Weiternutzung
Ob Upcycling by Design-Möbel einen weiteren Upcycling-Prozess mitmachen? Björn Ischi sagt dazu: „Wir arbeiten daran, auch spätere Bedürfnisse mit unserem Konzept zu erfüllen.“ Anders gesagt: Einen Tisch zu einem neuen Tisch zu gestalten, ist nicht so schwer. Spannend wird es, wenn ein Tisch zu etwas ganz anderem werden soll. Inzwischen entwickelt Ischi mit Girsberger aus Restmaterial von alten Tischen neue Leuchten. „Natürlich fanden wir die Idee aus der Designperspektive zunächst fragwürdig. Jetzt sind wir begeistert vom Resultat. Man käme nie darauf, dass es eine Leuchte aus „Abfallmaterial“ ist. Mit dieser Art von hybrider Weiternutzung – das Material eines einzigen Möbels geht in verschiedene neue – schaffen wir inzwischen eine Wiederverwendung von über 90 Prozent.“

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