Natur-Seele
Posthumes Geburtstagsgeschenk für Alvar Aalto
Alvar Aalto würde in diesem Jahr den 125. Geburtstag feiern. Sein Faible für organische Formen lebte er im Bauen ebenso wie in der Welt der Möbel und des Interieurs aus. Am 27. Mai wurde nun das neue Aalto2 Museum im finnischen Jyväskylä eröffnet.
„Nichts, was alt ist, kann wiedergeboren werden. Aber es wird auch nicht ganz verschwinden. Und das, was einmal war, kehrt immer in einer neuen Form zurück“, schrieb Alvar Aalto im Jahr 1921. Auch Architektur hat häufig mehr als nur ein einziges Leben. In der 145.000-Einwohner*innen-Stadt Jyväskylä sind zwei Gebäude – das Alvar Aalto Museum (1973) sowie das ebenfalls von ihm entworfene Keski-Suomen Museo (1961) – saniert und zu einem neuen, zusammenhängenden Ausstellungszentrum verbunden worden. Genau diesen Wunsch hatte Aalto (1898-1976) selbst noch zu Lebzeiten geäußert, jedoch wurde das Vorhaben zunächst nicht umgesetzt.
Thematische Verbindung
Den Übergang zwischen beiden Häusern markiert ein Neubau von A-Konsultit Architects aus Helsinki. Er nimmt das gemeinsame Foyer, einen Museumsshop sowie ein Café auf und soll als „gemütliches Wohnzimmer“ den Besucher*innen den Zugang erleichtern. Auf einer Fläche von 5.000 Quadratmetern können im Aalto2, so der Name des neuen Museums, nun deutlich größere Ausstellungen und Veranstaltungen angeboten werden. Auch thematisch sollen durch die Verschmelzung beider Häuser – dem Architektur- und Designmuseum auf der einen und dem Geschichts- und Heimatkundemuseum auf der anderen Seite – neue Wechselwirkungen entstehen.
Bejahung des Neuen
Alvar Aalto bildet die verbindende Klammer gleich auf mehreren Ebenen. Er war nicht einfach „nur" ein Architekt in Finnland. Er hat die Identität des erst 1917 gegründeten Landes entscheidend geprägt. Über 200 Bauprojekte sind in den Zwanziger- bis Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts fertiggestellt worden. Für 300 weitere liegen die Ideen und Pläne noch immer in den Schubladen. Die Moderne wurde in Finnland nicht als eine Bedrohung der bürgerlichen Gesellschaft empfunden, sondern vielmehr zur Staatsraison erhoben. Das zeigte sich im Bauen wie im Wohnen. In der Bejahung des Neuen glaubten die Finn*innen ihre eigene Nationalität zu finden. Und genau dabei sollten die Entwürfe von Alvar Aalto eine ganz entscheidende Rolle spielen.
Zweite Natur
Er hat als Gestalter das Heimatgefühl geprägt. Umgekehrt haben Natur und Landschaft in seiner Arbeit unverkennbare Spuren hinterlassen. Gebäude wie das Paimio Sanatorium (1933) oder die Villa Mairea (1939) verkörpern ein meisterhaftes Zusammenspiel organischer Räume, Formen und Materialien. Aalto, der ein starkes Interesse an Kunst, Theater und Medien hatte, nannte sich selbst einen „chef d’orchestre", der alle Kunstformen zu einem harmonierenden, symphonischen Ganzen verband. Besonders deutlich wird dieser Ansatz in Bauten wie der Bibliothek in Vyborg (1927-1935) oder dem Kulturzentrum in Wolfsburg (1958-1962). Von Türklinken über Lichtelemente bis zu Einbaumöbeln entwarf Aalto oftmals auch die kleinsten Details. Architektur, Interieur und Design bildeten ein Gesamtkunstwerk, das den Menschen als „zweite Natur“ umgeben sollte.
Heilende Räume
Anstatt sich mit den Techniken seiner Zeit zufriedenzugeben, sah Alvar Aalto auch den Fertigungsprozess als eine Gestaltungsaufgabe. Bestes Beispiel sind seine Möbel aus gebogenem Schichtholz, die eine organisch-fließende Formensprache in serieller Fertigung erlaubten. Der Anstoß für die Auseinandersetzung mit Holz kam durch das erste große Bauprojekt, das Aalto 1929 bis 1933 zusammen mit seiner Frau Aino unweit der südfinnischen Stadt Turku plante. Das von dichten Kiefernwäldern umringte Sanatorium von Paimio. Antibiotika standen zu jener Zeit noch nicht zur Verfügung. Also hoffte man bei der Tuberkulose-Behandlung auf die heilende Wirkung von Licht, Sonne und Natur – wofür die Aaltos im Stile der Moderne die passenden Räume gestalteten. Die Architektur wurde von ihnen als „medizinisches Instrument“ verstanden, das die Heilung unterstützen sollte.
Plastische Verformung
Für das Hospital sind zahlreiche Möbel und Objekte entstanden, darunter der berühmten Paimio-Sessel (1932). Die Kufen und Armlehnen formen zwei umlaufende Schichtholz-Ringe, die Sitzfläche und Rückenlehne galant zum Schweben bringen. Um das Möbel in Serie zu produzieren, gründete Alvar Aalto 1935 gemeinsam mit seiner Frau Aino, der Mäzenin Maire Gullichsen und dem Kunsthistoriker Nils-Gustav Hahl das Unternehmen Artek. Im Unterschied zum klassischen Thonet-Bugholzverfahren kommt bei der von Aalto entwickelten Technik kein Vollholz zum Einsatz. Stattdessen werden dünne Holzfurniere zu Schichtholz verleimt und mit einer 100 Grad Celsius heißen Metallpresse plastisch verformt. Der Hocker 60 (1929) mit seinen drei markant gebogenen, L-förmigen Füßen avancierte zu einem der meistverkauften und zugleich auch meistkopierten Entwürfe der Designgeschichte.
Kulinarische Verbindung
1937 richteten Alvar und Aino Aalto mit der Textildesignerin Dora Jung das stilprägende Restaurant Savoy in Helsinki ein. Zahlreiche Möbel und Leuchten sind parallel bei Artek in Produktion gegangen – wie die Pendelleuchte A330 Golden Bell oder der Servierwagen 901. Am bekanntesten ist jedoch die Savoy Vase mit ihren sanft abgerundeten Konturen. Der Entwurf ging 1936 aus einem Wettbewerb des Glasherstellers Karhula-Iittala hervor und wurde ein Jahr später auf der Weltausstellung in Paris gezeigt. Bis heute ist die Vase auf jedem Tisch des Savoy-Restaurants zu finden, das sogar die Rechte an dem von Iittala produzierten Glasobjekt erworben hat. Auch hier ist der Einfluss der Natur spürbar, mutet die Vase in der Draufsicht doch wie eine Amöbe oder ein abstrahierter See an.
Reisen nach Italien
Wie souverän der Sprung zwischen großem und kleinem Maßstab gelang, zeigt das Stoffmuster Siena (1954), das bis heute Handtücher, Tischdecken, Kissen und andere Textilprodukte von Artek ziert. Der Name ist kein Zufall. Schließlich war Alvar Aalto bekennender Italien-Freund, der das Land privat wie beruflich oft bereiste. In der mittelalterlichen Fassade des Doms von Siena fand er schließlich die Inspiration für das Stoffmuster. Seine Affinität zur mediterranen Kultur offenbarte sich auch in seinem berühmtesten Gebäude, der 1971 fertiggestellten Finlandia Halle in Helsinki. Die Fassade wurde mit Platten aus Carrara-Marmor verkleidet, die eigens aus den Steinbrüchen in der Toskana in den hohen Norden verschifft wurden.
Menschliche Dimension
Der weiße Stein wirkt wie ein Echo auf Schnee und Eis, die das Gebäude in der langen Winterzeit bedecken. Im Laufe der Jahre brachte die Kälte immer mehr Marmorplatten zum Zerbersten und sorgte dafür, dass die Fassade ausgetauscht werden musste. Doch Aalto war eben kein reiner Funktionalist, sondern ein Ästhet mit feinem Gespür für den menschlichen Maßstab. Er hat seinen Entwürfen durch Sinnlichkeit Seele verliehen. Durch die Verbindung aus Architektur, Design und Interieur schuf eine zweite Natur, die den Menschen umgibt.