Stories

Materialexperimente, Zukunftsvisionen und Teenagerträume

Die Highlights der 3daysofdesign in Kopenhagen

Immer größer, immer voller, immer „nachhaltiger": Unter dem Motto „Dare to Dream“ beeindruckten die 3daysofdesign in diesem Jahr mit einer Fülle an Veranstaltungen, Locations und Inszenierungen, die sich über ganz Kopenhagen erstreckten. Mehr als 400 Designlabels, Gestalter*innen und Ausstellungen gab es in der dänischen Metropole zu entdecken.

von Kathrina Horstmann, Norman Kietzmann, May-Britt Frank-Grosse, 24.06.2024

„An den 3daysofdesign kommt man nicht mehr vorbei.“ Dieser Satz war während des Kopenhagener Festivals oft zu hören. Besucher*innen aus aller Welt, die zum Teil eine lange Anreise auf sich genommen hatten, bestätigten, dass sich das Event in Europa einen Rang direkt hinter der Mailänder Designwoche erarbeitet hat. Dabei waren die Themen weniger divers, traten die Marken fokussierter auf als in der italienischen Metropole. Ganz im Sinne des selbstgesetzten Ziels der dänischen Hauptstadt, bis 2025 klimaneutral zu werden, präsentierten sie Möbel, die aus unterschiedlichen Gründen zukunftsfähig sein sollen. Ernste Themen wie Materialsubstitution, Langlebigkeit oder Recycelbarkeit der Produkte waren – auch sehr dänisch – mit einem erfrischenden Grundoptimismus gepaart.

Reduziert auf das Wesentliche
Nördlich der von Cobe vor einigen Jahren neu gestalteten U-Bahn-Station Nørreport liegt der Showroom von Dinesen. In diesem Jahr feierte der dänische Hersteller von Premiumböden die 30-jährige Zusammenarbeit mit John Pawson. Anlässlich des Jubiläums wurde in einem Apartment hinter dem Showroom eine neue, sehr minimalistische Möbelkollektion des britischen Architekten vorgestellt, bestehend aus Esstisch, Bank und Hocker sowie Wohnzimmersofa, -sessel und -tisch. Auch die Ausstellung SMULD im straßenseitigen Galerie-Bereich des Showrooms konzentrierte sich auf das Wesentliche. Sie zeigte das Ergebnis einer Kollaboration mit Kim Lenschow und Bonnie Hvillum von Natural Material Studio. In einer räumlichen Anordnung wurden vier architektonische Materialstudien mit unterschiedlichen Eigenschaften präsentiert, die auf natürlichem Holzbindemittel und Sägemehl aus dem Werk des Herstellers in Jels basieren: ein flexibles Material, das textile Eigenschaften hat, eines, das als Holzfaserisolierung eingesetzt werden könnte, ein lichtdurchlässiges Material und eine Strukturfaserplatte für den Innenausbau. Die Ergebnisse stellen einen Zwischenstand dar und sollen, laut Hvillum und Lenschow, in den nächsten Jahren zur Marktreife weiterentwickelt werden.

Eine nachhaltige Zusammenarbeit
Während der 3daysofdesign hat ateljé Lyktan in einem historischen Gebäude aus dem 18. Jahrhundert in der Bredgade die neue Büroleuchte Superdupertube und ein speziell dafür geschaffenes Material vorgestellt. Vorausgegangen war die Idee, einen Leuchtenklassiker aus den Siebzigerjahren – die Supertube – zeitgemäß zu adaptieren. Als Substitut zum bisher verwendeten Aluminium entwickelte der schwedische Leuchtenhersteller gemeinsam mit einem interdisziplinären Team von Snøhetta ein biologisch abbaubares Polymer, das aus Zuckerrohr gewonnen und mit Hanffasern verstärkt frei von fossilem Öl oder Gas ist. Dieses Material soll nicht nur die CO2-Emissionen um über 50 Prozent reduzieren, sondern lässt sich auch problemlos in das bestehende Extrusionsverfahren von ateljé Lyktan integrieren. Darüber hinaus soll der nachhaltige Biokunststoff auf Hanfbasis auch für andere Unternehmen nutzbar sein – Stichwort: Open Source.

Die fabelhafte Welt des Bambus
Versteckt zwischen Helden- und Götterskulpturen im Lapidarium der Könige präsentierte Jianze neben neuen Produkten auch das Chinese Bamboo Research Project. Seit Sommer 2023 untersucht der finnische Gestalter Ville Kokkonen zusammen mit dem jungen Designlabel aus Hangzhou, wie man chinesischen Bambus als umweltfreundliche Alternative zu herkömmlichen Harthölzern für die Möbelherstellung nutzen kann. Gezeigt wurden verschiedene Bambusarten, die sich in Muster, Färbung, Stärke und Form stark unterschieden. Darunter befanden sich Stäbe mit gepunktetem Leopardenmuster, nahezu schwarzen Färbungen und dicken, voluminösen Wuchsarten, um die Vielfalt dieses Werkstoffs zu veranschaulichen. Zudem stellte Jianze zwei Prototypen von Ville Kokkonen vor: eine Stehleuchte und einen Lounge Chair, die aus der massiven Bambusart Zong Zhu gefertigt wurden und mit einem traditionellen Zapfensystem verbunden sind.

Spiel mit der Wahrnehmung
Ein Ort, der durch Mund-zu-Mund-Propaganda zu einem der Festival-Highlights avancierte, war der neue Sitz des vor fünf Jahren gegründeten Farbherstellers St. Leo in Nordhavn. Er befindet sich in einem der wenigen historischen Gebäude des modernen Stadtteils und wurde erst kürzlich vom Designstudio Space Copenhagen renoviert. Während in der ersten Etage des alten Warenlagers der Showroom des Labels untergebracht ist und dessen Angebot an Farben und Gipsen aus Mineralien und organischen Pigmenten präsentiert, wird das Erdgeschoss als Galerie genutzt. Eingeweiht wurde diese mit der Installation The Real and Concrete von Rafael Prieto. Der in Mexiko-Stadt und New York lebende Kreativdirektor setzte sich mit traditionellen Vorstellungen von Substanz und Realität auseinander und stellte die Wahrnehmung der Besucher*innen infrage. Was wie Geäst anmutete, entpuppte sich als verführerische Schokolade in unterschiedlichen Nuancen. Naschen durfte man die süße Substanz sogar auch.

Blick in die Zukunft
In einer Dachgeschosswohnung unweit vom Schloss Amalienborg präsentierte die Plattform House of Nordic Design die Ausstellung NoDe. Die Kuratorin Natalia Sánchez wählte aus 140 Bewerbungen 28 junge Gestalter*innen aus Norwegen, Dänemark, Finnland, Schweden und Japan. „NoDe ist eine Erkundung dessen, was noch kommen wird“, sagt die Gründerin von House of Nordic Design. Der asymmetrische Bent Line Chair von Stine Mikkelsen aus gebogenem Stahlrohr wirkt, als hätte man die Bauhaus-Klassiker in einen postmodernen Mixer getan und so lange zentrifugiert, bis ihnen alles Starre und Steife ausgetrieben wurde. Vene 02 von Shunsuke Koya ist eine zwei Meter lange Bank, die mit dem Ziel entworfen wurde, den Materialverbrauch zu minimieren. Inspiration fand der japanische Designer in der schlanken Rumpfstruktur von Rennkajaks.

Wovon Teenager träumen
Wie wollen wir morgen leben? Diese Frage beantwortet aktuell das Danish Architecture Center – aus der Perspektive von Jugendlichen. Teenage Dreams heißt die Ausstellung, die noch bis zum 5. Januar 2025 in Kopenhagen zu sehen ist. Dabei können die Besucher*innen in drei Räume eintauchen. Die Installation Recharge vom Designbüro Our Shift erinnert an ein Patchwork aus Zelten mit integrierten Leuchten, Selfie-Bühnen und Stofftieren. Der zweite Raum steht unter dem Motto Fluidity (Design: Natural Material Studio). Dort laden neue biogenetische Materialien zum Berühren ein. Der dritte Raum Transitions (Design: Krøyer-Sætter-Lassen) widmet sich der Balance zwischen Online- und Offline-Sein für eine Generation, die von Anfang an mit Smartphones aufgewachsen ist. „Teenager reagieren nicht nur schneller auf die Veränderungen unserer Zeit, sondern haben auch die Aufgabe, unsere Zukunft zu gestalten. Deshalb ist es wichtig, sich Gedanken darüber zu machen, wie die physische Umgebung Träume widerspiegeln kann, die Teenager angesichts der massiven Veränderungen haben, mit denen sie konfrontiert sind“, sagt Pernille Stockmarr, Senior-Kuratorin am Danish Architecture Center.

Materialexperimente auf dem Werftgelände
Eine kurze Bootsfahrt von der königlichen Bibliothek Den Sorte Diamant entfernt liegt die Halbinsel Refshaleøen. Auf dem Gelände einer ehemaligen Werft sind heute unter anderem die Kreativbranche und Handwerksunternehmen ansässig. Student*innen wohnen in Containern direkt am oder auf dem Wasser und im Sommer hat sich die Outdoor-Location Reffen zum beliebten Ausflugsziel entwickelt. In einem der einstigen Werftgebäude kuratierte die dänische Architektin Frederikke Aagaard die Ausstellung Transcendence mit einem Fokus auf zirkuläres Design und innovative Materialien. Neben etablierten Möbelunternehmen wie dem deutschen Hersteller Zeitraum, der eine rustikale Tisch- und Stuhlserie aus zertifiziertem Holz zeigte, waren vor allem kleine Labels und Start-ups in der Halle vertreten. Das 2016 gegründete Designstudio Sheyn aus Wien produzierte vor Ort am 3-D-Drucker schillernde Vasen aus PLA, einem biologisch abbaubaren Kunststoff, der aus Maisstärke oder Zuckerrohr hergestellt wird. Das finnische Start-up Wuud, das erst im vergangenen Jahr ins Leben gerufen wurde, stellte ein Herstellungsverfahren vor, mit dem Holzplanken aus Birke nur mit Druck und Dampf ein dauerhaftes 3-D-Dekor erhalten. Seit 2024 gibt es das schwedische Label Fabric Forest, das eine Kollektion von Kissen, Teppichen und Möbeltextilien aus Papier präsentierte. Die finnische Designerin Mari Koppanen, die sich der künstlerischen Erforschung von Biomaterialien widmet, stellte in Kopenhagen Leuchten und andere Objekte aus Zunderschwamm vor. Das weitgehend in Vergessenheit geratene Material wirkt wie eine Kreuzung aus Wildleder und Filz und hat eine sehr weiche Haptik.

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