Born in Beirut
Fünf Designpositionen aus dem Libanon
Auch wenn einige libanesische Designer*innen inzwischen im Ausland leben und arbeiten – ihrer Heimat bleiben sie stets eng verbunden. Sie spielt eine zentrale Rolle in fast allen ihrer Entwürfe, sei es thematisch oder rein formal. Wir stellen fünf spannende Designpositionen vor.
Libanesische Gestalter*innen sind in der ganzen Welt gut vernetzt. Das liegt zum einen daran, dass viele von ihnen während des Bürgerkriegs mit ihren Familien nach Kanada, Frankreich oder Großbritannien emigrierten, den Kontakt zur Heimat aber nie verloren. Und auch daran, dass viele von ihnen seit der großen Explosion im August 2020 keine Zukunft mehr im Libanon sehen – der wirtschaftlich verheerenden Situation und der politisch chaotischen Verhältnisse wegen. Doch egal, mit wem wir auf unserer Reise in den Libanon gesprochen haben, jeder verarbeitet Herkunft, Erlebnisse und Traditionen des Landes auf seine ganz eigene Weise. Die Kreativität im Libanon ist trotz der widrigen Umstände ungebrochen – das zeigt die Grande Dame des libanesischen Designs Nada Debs ebenso wie viele junge Designtalente.
Nada Debs: Die Grande Dame des libanesischen Designs
Das Studio von Nada Debs, das zugleich Showroom für ihre Entwürfe ist, liegt unmittelbar hinter dem Hafen im Kreativviertel Gemmayzeh, das durch die Explosion stark zerstört würde, genau wie das Studio der Designerin. Das hat sie nicht davon abgehalten, alles an gleicher Stelle wieder aufzubauen. Vor dem Eingang ist eine schwarze Schriftzeile auf die Hauswand gedruckt: „Our Space is destroyed but we are not.“ Und darüber steht in roter Schrift, einen Hoffnungsschimmer verbreitend: „Restored.“ Nada Debs verwandelte die Katastrophe sogar in zwei handfeste Produkte: Die Schale Keepingittogether ist aus Glasscherben gefertigt, die durch die Explosion überall in ihrem Studio verstreut herumlagen. Ein Sideboard integriert kunstvoll Intarsien, die aus den kaputten Holzfensterrahmen gefertigt wurden.
Im November feiert Debs während der Dubai Design Week den 20-jährigen Geburtstag ihres Studios mit einer Präsentation auf der Messe Downtown Design. Es gibt eigentlich nichts, was die umtriebige Gestalterin noch nicht entworfen hat: Ihr Portfolio umfasst Möbel wie Sessel, Sideboards und Tische ebenso wie Accessoires in Form von Teppichen, Schalen und Tabletts. Außerdem arbeitet Debs – auch von Dubai aus – als Interiordesignerin für Privatkund*innen, politische Institutionen und die Hospitality-Branche. Nada Debs' Produktentwürfe entstehen zwar vorrangig für ihr eigenes Label, aber auch für internationale Unternehmen wie Cosentino, Fratelli Rossetti, Jotun und Ikea. Außerdem kooperiert sie mit (Non-Profit-)Initiativen wie House of Today, Exil Collective und Irthi – immer mit starkem Bezug zu den handwerklichen Traditionen des Libanons und seiner arabischen Nachbarländer. Aufgewachsen in Japan, war sie die erste Designerin im Libanon, die handwerkliche Produkte mit zeitgenössischem Design verknüpfte und so den Weg für nachfolgende Designer*innen ebnete.
Carla Baz: Handwerkliche Raffinesse
Auch die Entwürfe von Carla Baz haben einen starken Bezug zum libanesischen Handwerk, wie sie im Oktober während der von AD Middle East kuratierten Ausstellung The Art of Living in Abu Dhabi mit der Installation Neo-Oriental Boudoir zeigte. Hier demonstrierte sie auch ihre umfassende Ausbildung in verschiedenen gestalterischen Disziplinen: Sie studierte Interiordesign in Paris sowie Produktdesign an der ECAL in Lausanne und arbeitete für Gestalterinnen wie Zaha Hadid und Vivienne Westwood. Nachdem sie ihr eigenes Studio zunächst in Beirut gründete, entwirft sie inzwischen von Dubai aus, wo viele libanesische Designer*innen ansässig sind. Die Produkte der Mittdreißigerin werden jedoch in ihrem Heimatland handgefertigt, so beispielsweise die elegant-reduzierte Wandleuchte Oyster aus Messing und satiniertem Glas. Ebenfalls aufwendig und kunstfertig in der Herstellung ist die Tischleuchte Monarch, die durch die Verwendung von Natursteinen wie Guatemala Verde, Rosso Alicante und Tala Marron für die Basis sehr opulent wirkt.
Eine Besonderheit des libanesischen Designs liegt darin, dass nur wenige Gestalter*innen für massenproduzierende Hersteller arbeiten. Auch deshalb, weil es im Libanon keine international relevanten Möbelhersteller gibt und individuelle handwerkliche Arbeiten noch relativ günstig ausgeführt werden können. Libanesische Designer*innen wie Carla Baz fertigen ihre Entwürfe mehrheitlich für bestimmte Interiorprojekte oder verkaufen sie direkt über das eigene Label oder in Kooperation mit internationalen Designgalerien wie Nilufar und Carwan.
Carlo Massoud: Der Extravagante
Auch der in Beirut ansässige Designer Carlo Massoud bietet seine Entwürfe über Nilufar Gallery und Carwan Gallery an. Als wir ihn in seiner Wohnung im Beiruter Intellektuellenviertel Achrafieh besuchen, die ihm zugleich als Studio dient, zeigt er uns Stücke aus der Elephant Collection. Tisch und Sideboard sind klobig und in auffälligem Gelb gehalten. Aus Leichtbeton gefertigt, ist die Kollektion während des Lockdowns in Zusammenarbeit mit seiner Schwester Mary-Lynn Massoud entstanden, die in dem Viertel Gemmayzeh auch ein eigenes Keramikstudio betreibt. Oft fertigt sie die Objekte, die in Zusammenarbeit mit ihrem Bruder entstehen, im Miniaturformat aus Ton.
Die gute Vernetzung der libanesischen Gestalter*innen untereinander ist ein Kernmerkmal des zeitgenössischen libanesischen Designs. So hängt ihm Studio von Carlo Massoud ein handgefertigter Wollwandbehang seines Freundes und Kollegen Adrian Pepe, der seinerseits gerade für ein Projekt mit Nada Debs kooperierte. Wie Nada Debs arbeitet auch Massoud eng mit libanesischen Handwerker*innen zusammen. Daran schätzt er insbesondere, neue Herstellungstechniken zu entdecken, erzählt er. Bevor er 2013 sein eigenes Studio gründete, studierte Massoud an der ECAL in Lausanne und arbeitete in New York für den Architekten Nasser Nakib an Interiorprojekten im High-End-Bereich.
Tessa & Tara Sakhi: Wenn Design auf Kunst trifft
Ebenfalls in Beirut gründeten die Schwestern Tessa und Tara Sakhi vor sechs Jahren ihr interdisziplinäres Architektur- und Designstudio T Sakhi. Seit einiger Zeit arbeiten sie vorrangig von Venedig aus, wo sie auch zwei ihrer aktuellen Projekte präsentierten. Für internationale Aufmerksamkeit sorgte ihre Installation Letters from Beirut auf der Architekturbiennale 2021, die aus 2.000 in verschiedenen Sprachen handgeschriebenen Briefen und Sätzen bestand. Sie referenzierten allesamt auf die derzeitige politische, wirtschaftliche und soziale Situation im Libanon. „Resilienz“ stand dort geschrieben oder „Beirut tötet“.
Zur Italian Glass Week zeigten die Schwestern ihre Installation I hear you tremble in einer Kirche auf der venezianischen Insel Murano. Seit 2017 experimentieren sie mit dort ansässigen Glasbläser*innen, um neue Texturen herzustellen, indem sie dem Glas beispielsweise Metall in verschiedenen Aggregatszuständen beimischen. So entstehen Glasoberflächen, die beinahe wie erstarrte Lavamassen wirken. Experimentell ist auch ihre Herangehensweise an die Serie von Beistelltischen, deren Name Reconciled Fragments darauf hinweist, wie sie hergestellt werden: In Beiruter Fabriken gesammelte Stein- und Metallstücke werden dekorativ in eine Holzform angeordnet und anschließend mit einer farbigen Harzmasse übergossen, so dass daraus eine individuelle Tischplatte entsteht.
Khaled El Mays: Sophisticated Design
Khaled El Mays studierte am New Yorker Pratt Institute und arbeitet von Beirut aus in den Bereichen Möbeldesign, Innenarchitektur und Grafikdesign für sein eigenes Label Atelier Khaled El Mays. Auch in diesem Jahr präsentierte der libanesische Designer seine extravaganten Entwürfe während des Mailänder Fuori Salone im Nilufar Depot. Die Möbel sind echte Statement-Stücke, was insbesondere bei den psychedelisch gemusterten, speziell angefertigten Bezugsstoffen der organisch geformten Sitzmöbel zum Ausdruck kommt. In einem weiteren Raum wurden Möbel gezeigt, die El Mays schon letztes Jahr in Mailand vorgestellt hatte und die um das Thema „Flora und Fauna“ kreisen. Sie werden von libanesischen Handwerker*innen in der Bekaa-Ebene gefertigt – aus natürlichen Materialien wie Holz, Leder und Bast, die allesamt sehr haptische Qualitäten haben. Dabei stechen insbesondere die Stücke ins Auge, die mit Bastfransen versehen einen sehr spielerischen Moment bergen.