Der Libanon als Narrativ
Studiobesuch bei Adrian Pepe in Beirut
Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Das hat sich Adrian Pepe gedacht und ist vor acht Jahren aus seiner Heimat Honduras kurzerhand nach Beirut gezogen. Von dort aus arbeitet er als Textildesigner und ist dafür tief in die Kulturgeschichte des arabischen (Awassi-)Schafs eingetaucht. Aus dessen Wolle fertigt er kunstvolle Wandbehänge mit poetischen Motiven – Einzelstücke, die in Galerien für einige Tausend Euro verkauft werden.
Wir sind in Achrafieh unterwegs, einem idyllischen und atmosphärischen Stadtteil von Beirut, in dem viele Intellektuelle und Kreative leben. Hier stehen opulente, halb verfallene Häuser aus der Jahrhundertwende und Bauhaus-Trouvaillen mit dekorativen Fensterbändern und riesigen Dachterrassen. Es gibt Hipster-Cafés, kleine Designshops, Galerien und ramponierte, aber fahrtüchtige Oldtimer. Vor einem Frühstückscafé mit libanesischen Köstlichkeiten treffen wir Adrian Pepe, der uns entgegengehumpelt kommt. Der Textildesigner hat sich einen Fuß gebrochen und benutzt nun die alten Holzkrücken, die er vor einiger Zeit in einem Antikhandel gefunden hat. Nachdem wir einen türkischen Kaffee getrunken und das typische libanesische Fladenbrot gegessen haben, nimmt uns Adrian mit in seine Wohnung, die sich in einem Gebäude aus den Sechzigerjahren befindet, wie es typisch ist für Beirut.
Leben nach der Explosion
Die Wohnung hat er gerade erst mit seinem Partner, dem Fotografen Dia Mrad, bezogen und noch wirkt alles provisorisch. Überall hängen Dia Mrads inzwischen berühmte Fotos im Großformat an den Wänden und erinnern mit ihren eindrücklichen Motiven – die beschädigten Getreidesilos und fensterlose Gebäudefassaden – daran, dass die Stadt im August vor zwei Jahren ein Unglück ereilte, von dem sie sich noch nicht wieder erholt hat. Im Hafen von Beirut explodierten rund 2.700 Tonnen falsch gelagertes Ammoniumnitrat und legten die halbe Stadt in Schutt und Asche. Über 200 Menschen starben, Tausende wurden verletzt und Hunderttausende verloren ihre Wohnungen – mitten in einer schon damals tiefgreifenden Wirtschaftskrise und der Pandemie. Auch Adrian Pepes damalige Wohnung wurde verwüstet, doch glücklicherweise blieb er unverletzt. Während viele die Stadt nach der Explosion verlassen haben, ist er geblieben. Er mag sein Leben hier, spricht inzwischen Arabisch und lässt sich selbst von den Widrigkeiten des Alltags, zu denen auch stundenlange Stromausfälle gehören, nicht beirren.
Weltenwanderer
Adrian Pepe stammt eigentlich aus Honduras und hat am US-amerikanischen Savannah College of Art and Design den Studiengang Design for Sustainibility absolviert. „Ich habe mich schon während meines Studium auf die Arbeit mit textilen Fasern fokussiert und die Geschichten dahinter erkundet“, erzählt der 37-Jährige. Durch einen Zufall konnte er sein Wissen vertiefen, indem er einem Freund half, der für eine Fashion Show an Entwürfen aus Fellen arbeitete. „Ich habe vor allem auch den physischen Prozess der Herstellung genossen“, sagt Adrian Pepe. Danach arbeitete er für den amerikanischen Möbelhersteller BDDW und tauchte immer tiefer ein in die Welt der Materialien – von Leder bis hin zu Holz. „Dort lernte ich sehr viel über Herstellungstechniken – ausgehend vom Rohmaterial, das immer auch als Narrativ diente“, erzählt er. Als eine befreundete Designerin ihn dann vor acht Jahren fragte, ob er nicht ihren Job als Creative Director im Textilstudio Bokja in Beirut übernehmen wollte, zögerte Adrian Pepe nicht lange und zog kurzerhand in den Libanon – ohne jemals zuvor dort gewesen zu sein. Und gab sich selbst neun Monate Zeit, um das Leben dort auszuprobieren. Währenddessen vertiefte er sein textiles Know-how und war bald Teil der Designszene der Stadt. „Man lernt hier sehr schnell Leute kennen“, erzählt er. Für ihn war 2018 das Jahr, in dem Beirut so richtig zum Leben erwachte. „Damals kamen viele junge Libanesen aus dem Ausland zurück und eröffneten hier Studios und Shops“, erinnert er sich. „Es tat sich sehr viel, bis die Wirtschaftskrise voll zuschlug und durch die Explosion 2020 alles zum Stillstand kam.“
In die Welt hinaus
Seit einiger Zeit arbeitet Adrian Pepe von seinem Wohnstudio in Achrafieh aus als freier Textildesigner. Er stellt handgefertigte Einzelstücke her – bisher vor allem textile Wandbehänge, die in Galerien inzwischen für einige Tausend Euro verkauft werden. Damit hat sich der Designer einen Namen gemacht, auch über den Libanon hinaus. Er ist in Ausstellungen präsent wie demnächst auf der Dutch Design Week in Eindhoven oder erhält Stipendien wie das Design Fellowship der Marzona Stiftung Neue Saalecker Werkstaetten in Naumburg. Internationale Präsenz und Vernetzung ist für Adrian Pepe – wie für sämtliche libanesische Designer – extrem wichtig, denn der eigene Markt ist durch die andauernde wirtschaftliche und politische Krise nahezu komplett weggebrochen.
Aus Schafwolle gemacht
„Auf dem Land habe ich die typisch libanesischen Schafe entdeckt und herausgefunden, dass die Wolle einfach weggeschmissen wird“, erzählt Adrian Pepe. Er arbeitet mit der Wolle des Awassi-Schafs, das im arabischen Raum sehr verbreitet ist. Diese alte Rasse ist sehr anpassungsfähig und verträgt auch schwierige Lebensumstände wie hohe Temperaturunterschiede oder ungünstige Futterbedingungen, auch weil sie große Energiereserven im Fettschwanz speichern kann. Das Awassi-Schaf mit seinen langen, herabhängenden Ohren ist mehrfarbig und hat zumeist einen braunen Kopf und braune Beine, die zuweilen auch schwarz sein können. Nur Adrian Pepe und noch zwei weitere Studios verarbeiten die rund 2.000 Tonnen Wolle, die jedes Jahr im Libanon produziert werden. „Wenn man mit Naturfasern arbeitet, dann geht es vor allem um das Narrativ, das man erzählt“, sagt der Designer. Sein Narrativ ist das libanesische Schaf, die libanesische Wolle, das libanesische Handwerk. Dass das Motiv des Schafs stark in der Religion verankert ist und allein in der Bibel über 500 Mal erwähnt wird, fasziniert den Designer.
Überraschende Interpretation traditioneller Handwerkstechniken
Während er seine Stücke zuerst selbst fertigte, hat Adrian Pepe inzwischen vier Mitarbeiter*innen, die seine komplexen Entwürfe von Hand herstellen. Dabei werden verschiedene Techniken eingesetzt, darunter Weben, Filzen und Sticken. Braidings heißt die Serie, die bisher am meisten Aufmerksamkeit erregt hat: Schaffelle mit kunstvoll geflochtenen kleinen Zöpfen. Sie stellen die kulturelle Tradition des Flechtens in den Mittelpunkt und sind zugleich eine kulturübergreifende Reminiszenz an unsere Kindheit. Eigentlich ein Symbol menschlicher Aktivität, verbindet Adrian Pepe das Wollflechten mit Animalität. Die Serie zeigt exemplarisch, wie der Designer arbeitet: handwerklich auf höchstem Niveau, mit einem vertieften Verständnis des Materials und gestalterisch immer mit einem gewissen Überraschungseffekt.
Einfach machen
Adrian Pepe testet die Grenzen des Materials fortwährend aus. So sollen zukünftig nicht mehr nur Wandbehänge entstehen. Er kann sich auch vorstellen, Teppiche zu entwerfen. Allerdings nicht so sehr konventionelle Teppiche aus gewebter, getufteter oder geknüpfter Schafwolle, sondern Teppiche aus einem kompletten, bearbeiteten Stück Fell. Und er denkt über die Gründung eines eigenen Labels für kommerziellere Entwürfe nach, auch um die großen Mengen libanesischer Schafwolle im regionalen Kontext zu verarbeiten. „Das Tolle am Libanon ist, dass man hier die Dinge einfach ausprobieren und umsetzen kann“, sagt Adrian Pepe. „Man hat eine Idee, fängt an zu arbeiten und wartet ab, was passiert.“