Der finnische Designmaterialist
Studiobesuch bei Antrei Hartikainen in Fiskars
Es passiert nicht oft, dass ein Handwerker in der internationalen Designszene für Aufmerksamkeit sorgt. Ohne Studienabschluss als Designer wohlgemerkt. Antrei Hartikainen ist eine Ausnahme. Nachdem er 2023 mit dem Scandinavian Design Award als „Rising Star of the Year“ ausgezeichnet wurde, war klar: Der Mann hat Talent. Wir haben den 33-jährigen Möbeltischler in seinem Studio in Fiskars besucht und wollten von ihm wissen, was das Handwerk mit diesem Erfolg zu tun hat.
Fiskars ist ein kleiner Ort, der rund eine Autofahrstunde entfernt liegt von der finnischen Designmetropole Helsinki. Seit einigen Jahren wohnt Antrei Hartikainen hier, der eigentlich aus Outokumpu im Osten Finnlands stammt. Ursprünglich wollte er nur ein paar Monate bleiben und bei Nikari ein Praktikum machen. Doch die Arbeit bei dem Möbelhersteller gefiel ihm so gut, dass er sich kurzerhand entschied zu bleiben. Bereits 2015 brachte Nikari mit der minimalistischen Garderobe Skandinavia einen seiner Entwürfe auf den Markt und legte den Grundstein zu einer Designkarriere. Er habe damals handwerklich viel ausprobieren können und in seiner Freizeit an freien künstlerischen Werken gearbeitet, erzählt Hartikainen. Nach ein paar Jahren dann wagte er den Sprung in die Selbständigkeit und gründete 2017 sein eigenes Studio – auch mithilfe einiger Arbeitsstipendien.
Ehrgeiziger Leisetreter
Antrei Hartikainen ist keiner, der sich in den Vordergrund drängt – weder als Person noch mit seinen Arbeiten. Doch dass er ehrgeizig und beharrlich ist, wird deutlich, als er aus seinem Leben erzählt. Aufgewachsen in Nordkarelien, kam er schon früh in Berührung mit dem Tischlerhandwerk: Seine Eltern produzierten in der eigenen Manufaktur maßgefertigte (Küchen-)Möbel aus Holz, manchmal arbeitete Hartikainen in den Sommerferien dort. Nach dem frühen Tod des Vaters wurde das Unternehmen verkauft und Hartikainen lernte drei Jahre lang den Beruf des Möbeltischlers. „Mich hat das Material Holz sehr interessiert und ich wollte alles über seine Verarbeitung lernen“, erzählt Hartikainen über seine Lehrzeit. Einmal habe er sogar den zweiten Platz bei den Weltmeisterschaften für Tischler belegt, erinnert er sich. Wir treffen ihn an einem sonnigen Sommertag in seiner Studio-Werkstatt. Die große unscheinbare Halle war ehemals Teil einer Fabrik des Herstellers Fiskars und liegt ein paar Kilometer außerhalb des gleichnamigen Ortes mitten im Wald. Hartikainen teilt sie sich mit anderen Tischler*innen, auch die kostspieligen Maschinen nutzen sie zusammen.
Von der Werkstatt in die Finnair Lounge
Überall liegen Werkzeuge und Zeichenutensilien herum, dazwischen türmen sich Holzvorräte und andere Materialien. In einem raumhohen Regal stapeln sich Entwürfe des Designers wie die Glasvasen aus der Kollektion Melt, davor stehen die wuchtigen Spiegel aus der Serie Uurre – allesamt aus Holz. Ebenfalls aus Hartikainens Lieblingsmaterial gefertigt ist ein großer, organisch geformter Tisch im Eingangsbereich der Werkstatt. Er soll demnächst abtransportiert werden und steht dann als Eyecatcher im Entree der neuen Finnair Lounge am Flughafen Helsinki, die Studio Joanna Laajisto entworfen hat. Dass Hartikainen mit Anfang Dreißig mit einem der wichtigsten Interiordesignstudios Finnlands zusammenarbeitet, zeigt, dass er auch als Designer angekommen ist – in einem Land, das nicht gerade arm ist an gut ausgebildeten Möbeltischler*innen und an talentierten Designer*innen sowieso. Der Gestalter erzählt, dass er sogleich von der Selbstständigkeit leben konnte. Auch deshalb, weil er seine Entwürfe selbst herstellen könne, was ein wesentlicher Unterschied zu einem klassischen, von Unternehmensaufträgen abhängigen Produkt- oder Industriedesigner sei.
Multitalent
Im letzten Jahr zeigte Hartikainen einige seiner Entwürfe in einer Einzelausstellung in der Lokal Gallery, einem wichtigen Anlaufpunkt für zeitgenössische finnische Gestaltung in der Hauptstadt. Dort konnte man sehen, wie vielseitig die Arbeiten des Designhandwerkers sind. Unter dem Titel Traces waren in der Schau Holz- und Glasarbeiten versammelt, darunter kunstvolle Tisch- und Wandvasen sowie Wandregale aus Holzstäben, allesamt aus der Kollektion Melt. Auch international ist das Talent des jungen Finnen nicht unentdeckt geblieben. So wählte die italienische Kuratorin Alice Stori Liechtenstein ihn aus, um an der von ihr kuratierten Ausstellung Ashes & Sand auf Schloss Hollenegg teilzunehmen. Dafür entwarf Hartikainen ortsspezifische, in Finnland hergestellte Glasobjekte, die sich an architektonische Elemente wie Treppenstufen und Balustraden schmiegten, was wunderbar unangestrengt wirkte. Und im September lockt in Venedig mit der Ausstellung Homo Faber die internationale Bühne: Hartikainen wird dort seinen Holztisch Traces zeigen.
Zwischen Seen und Wäldern
Es passt zu Hartikainen, dass er in Fiskars arbeitet und nicht in Helsinki. Weiter weg von den glamourösen Seiten des Designbusiness als hier kann man kaum sein. Nichts, was einen ablenkt von der Arbeit. Und doch tut sich eine Menge in dem 400-Seelen-Ort, den in den frühen Neunzigerjahren Künstler*innen, Designer*innen und Handwerker*innen für sich entdeckten. Die Szene ist klein, hier kennt jeder jeden. Das liegt auch daran, dass vor dreißig Jahren mit Onoma eine Kooperative gegründet wurde, die die Arbeiten ihrer Mitglieder ausstellt und verkauft. Gerade erst wurden die Werke einiger ihrer Mitglieder in einer Schau anlässlich der Fiskars Art & Design Biennale gezeigt, darunter Hartikainens skulpturale Holzarbeit Invisible Fragility. Bedenkt man, dass er erst wenige Jahre in der Designbranche unterwegs ist, hat Hartikainen schon ziemlich viel erreicht. Neben Privatkund*innen würden ihn in letzter Zeit auch immer mehr Hersteller für eine Zusammenarbeit anfragen. „Ich bin ziemlich zufrieden mit meiner Karriere“, sagt er. „Aber ich würde mich freuen, wenn demnächst eine Galerie meine Objekte verkaufen würde.“