Die finnische Seele
Studiobesuch bei Joanna Laajisto in Helsinki
Joanna Laajisto hat viele Talente. Sie war professionelle Snowboarderin, entwirft Hotels, Restaurants, Sofas und Leuchten. Bei einem Besuch in ihrem Studio in Helsinki hat sie uns verraten, was Worldcup-Wettkämpfe mit ihrem Erfolg als Designerin zu tun haben, von ihrem Faible für Materialien erzählt, und von ihrem Ferienhaus berichtet, das cool und nachhaltig ist.
Der Arbeitsplatz von Joanna Laajisto liegt im Zentrum von Helsinki, unweit des Kaufhauses Stockmann und der Flaniermeile Esplanade – umgeben von kleinen Designläden, hippen Cafés und Restaurants. Der sogenannte Design District der finnischen Hauptstadt ist wie geschaffen für die Gestalterin, die gut vernetzt ist in der finnischen Szene, obwohl sie in Kalifornien Innenarchitektur studiert hat und einige Jahre beim amerikanischen Architekturriesen Gensler in Los Angeles arbeitete. Doch aus familiären Gründen entschied sie sich in ihre Heimat zurückzukehren und gründete 2010 ihr eigenes Studio. „In Finnland ist es einfacher, Karriere und Kinder miteinander zu vereinbaren“, begründet sie ihre Rückkehr aus den USA. Laajisto plant und entwirft Interiors – mit Fokus auf Hospitality-Projekte wie Hotels, Restaurants und Bars sowie Retail- und Bürokonzepte, viele davon in Finnland. An ihrer Arbeit als Produktdesignerin für Labels wie Marset und Made by Choice schätzt sie insbesondere die Übersichtlichkeit der Projekte, die Kontrolle über den Entwurfs- und Entstehungsprozess.
Das Studio als Showroom
Laajisto und ihre fünf Mitarbeiter arbeiten gerade an sieben Projekte gleichzeitig, darunter der Umbau der Wohnung der Designerin in Helsinki. Das Office befindet sich in einem atmosphärischen Altbau in der Kalevankatu 18 B, wo großzügige Deckenhöhen, knarzende Parkettböden, Sprossenfenster, Holzmöbel und Kunstwerke eine warme, sehr nordische Atmosphäre schaffen. Die Räume dienen auch als Showroom für Laajistos Möbel- und Leuchtenentwürfe: Bei unserem Besuch sitzt sie auf dem kugeligen Sofa Bobo, das sie für das finnische Label Hakola entworfen hat. Dazu ist der hölzerne Beistelltisch Aristo für Made by Choice arrangiert. Über dem Ess- und Konferenztisch aus derselben Serie schwebt die Hängeleuchte Ihana, die vom spanischen Label Marset produziert wird. Ursprünglich hatte Laajisto das schwarze, geradlinige Stück nur für das neue Studio entworfen, erzählt sie. Doch dann wollte der Besitzer von Marset die Leuchte unbedingt in Serie fertigen.
Feines Farb- und Materialgefühl
Spricht man mit Laajisto, hat man das Gefühl, dass die Dinge bei ihr wie von selbst geschehen, ohne große Anstrengung. Der Einstieg in die Branche als selbständige Designerin sei reibungslos verlaufen, erzählt die 44-Jährige, was vielleicht auch daran liegt, dass die finnische Designszene überschaubar ist, Laajisto internationale Referenzen hatte und ziemlich selbstbewusst ist. „Ich konnte gleich nach Gründung meines Studios zwei Projekte umsetzen“, erzählt sie. „Ein Schmuckgeschäft in Oulo und die Modeboutique My O My in Helsinki.“ Schon bei ihren ersten Projekten zeigte sich, was Laajistos Begabung ist: Sie hat ein ausgesprochen feines Farb- und Materialgefühl, das sich durch all ihre Arbeiten zieht. Ehrliche Materialien gepaart mit Funktionalismus – das ist die Idee von Interiordesign, die Laajisto vertritt. „Es muss immer einen Grund geben etwas so und nicht anders zu machen“, sagt sie. „Ich bin keine Dekorateurin.“
Go Green
An der Selbstständigkeit schätzt Laajisto, dass sie ihre Projekte frei wählen und ihren eigenen Vorstellungen folgen kann. Dabei geht es neben der Kommunikation mit den Kunden vor allem um eine nachhaltige Umsetzung der Projekte. Laajisto ist zertifizierte LEED-Interiordesignerin, was sie zur Expertin für umweltbewusstes und energieeffizientes Bauen macht. Das zeigt sich exemplarisch an ihrem eigenen, von ihr selbst geplanten Ferienhaus in Form eines Bungalows mit großen Glasflächen, das rund eine Fahrstunde entfernt von Helsinki an einem See liegt. „Natürlich ist es unnötig, ein neues Haus zu bauen“, sagt sie. „Deshalb sollte das Projekt so nachhaltig wie möglich sein.“ Fast zwei Jahre tüftelte Laajisto an dem Grundriss, denn das ganzjährig bewohnbare Haus sollte auf kompakter Fläche alle wichtigen Funktionen aufnehmen – darunter auch die für Finnland obligatorische Sauna – und trotzdem bequem sein für die vierköpfige Familie. Neben dem 90 Quadratmeter großen Haupthaus entstand auch ein separates Gästehaus, das mit einer Fläche von 15 Quadratmetern ein Tiny House ist und das Laajistos Vater eigenhändig baute. Die zwei Häuser stehen in ihrer natürlichen Umgebung, außerdem wurden kaum Bäume gefällt. Generell findet Laajisto: Jeder geplante Neubau müsse hinterfragt und nur unter nachhaltigen Bedingungen geplant werden.
Frauenpower aus dem Norden
Inzwischen arbeiten vier Mitarbeiterinnen für Laajisto und ein männlicher Kollege. Sie glaubt nicht, dass Frauen anders arbeiten, sondern dass alles von der Persönlichkeit abhänge. Sie erzählt, dass die Gegebenheiten für Frauen in Finnland einfacher seien als in vielen anderen Ländern, weshalb es dort verhältnismäßig viele weiblich geführte (Interior-)Designstudios gibt. „Ich bin sehr glücklich, dass es gut läuft und meine Kunden von selbst auf mich zukommen“, sagt sie. Gerade arbeitet die Designerin am neuen Interiordesign für das legendäre Hotel Torni in Helsinki. Ihren Erfolg erklärt sie sich damit, dass ihre Konzepte sehr durchdacht seien. Aber auch ihre Karriere als professionelle Snowboarderin, als sie Worldcup-Wettkämpfe in der ganzen Welt bestritt, könnte dazu beigetragen haben. Schließlich sind Zähigkeit, Schnelligkeit und Neugierde Eigenschaften, die man auch als (Interior-)Designerin ziemlich gut gebrauchen kann.