Marrakesch, mon amour
Laurence Leenaert von LRNCE interpretiert das marokkanische Handwerk neu

Als Laurence Leenaert vor über zehn Jahren nach Marrakesch kam, markierte das den Beginn einer echten Erfolgsgeschichte. Die belgische Designerin entwirft mit ihrem Label LRNCE Objekte, Teppiche und nun auch Möbel – allesamt in Marokko handgefertigt. Wir haben die Gestalterin in Mailand getroffen und mit ihr über geschäftlichen Wagemut, Instagram als Marketinginstrument, unliebsame Nachahmer*innen und ihr Herzensprojekt gesprochen.
Im Trubel der Milan Design Week wirkte der kleine Galerieraum in Chinatown wohltuend ruhig. Dort stellte LRNCE erstmals eine eigene Möbelkollektion vor. Unter dem Ausstellungstitel Slow Roads hatte Laurence Leenaert ein Sideboard aus Zedernholz, einen Stuhl mit bestickter Husse und einen Beistelltisch aus Edelstahl mit Marmormosaik versammelt, aber auch einen hochflorigen Teppich und Gemälde aus Zellige. Die belgische Designerin hat alle Objekte selbst entworfen und von Handwerker*innen in ihrer Wahlheimat Marokko fertigen lassen. Es sei ziemlich viel Tüftelei gewesen, erzählt sie. Und dass sie gemeinsam mit ihrem Ehemann und Geschäftspartner Ayoub Boualam vor zwei Jahren in Marrakesch das Riad Rosemary eröffnet habe, wo ihre Entwürfe ebenfalls zu finden seien – ein Experimentier(t)raum für die Designerin.
LRNCE hat zur Milan Design Week erstmals eine eigene Möbelkollektion gezeigt.
In Marokko geblieben
Die Geschichte von Laurence Leenaert ist fast zu schön, um wahr zu sein. Sie studierte Modedesign im belgischen Gent und kam als 25-Jährige mit einer Nähmaschine nach Marokko, um in der Wüste zu leben. Dort entwarf und fertigte sie Ledertaschen und Accessoires – ohne jemanden zu kennen. Später zog die Designerin nach Marrakesch, um näher bei den Handwerker*innen sein zu können. Zwar war es anfangs hart und der Zugang zum männlich geprägten Handwerksbusiness erwies sich als schwierig, aber sie hatte viele Freiräume und konnte sich auch außerhalb der Mode ausprobieren.
Nach und nach wurde die junge Belgierin Teil der Community, wobei ihr Partner Ayoub Boualam, ein Marketingexperte, ihr dabei half, die Marke LRNCE zu etablieren. Auch Instagram als Kommunikationsinstrument spielte dabei eine wichtige Rolle, sagt Leenaert, die inzwischen mehr als 300.000 Follower*innen hat. Sie kam zu einer Zeit nach Marokko, als nur wenige westliche Designer*innen dort arbeiteten und das einheimische Handwerk für sich entdeckten. Mittlerweile hat sich vor allem Marrakesch stark verändert: Immer mehr Kreative von außerhalb ziehen in die Stadt, Expats kaufen Riads, eröffnen Restaurants und Concept-Stores – eine Entwicklung, die bei Leenaert gemischte Gefühle hervorruft. Die marokkanische Wirtschaft boome, während Marrakesch gleichzeitig seinen Charme ein wenig verliere, sagt sie.
Laurence Leenaert und Ayoub Boualam in der Mailänder Galerie, in der ihre Ausstellung stattfand.
Handwerk gegen das Vergessen
Inzwischen arbeitet LRNCE mit fünfzig Handwerker*innen zusammen, wobei nahezu alle verwendeten Materialien aus Marokko stammen. Charakteristisch – gerade für die Keramikprodukte wie Schalen, Teller, Vasen und Becher – sind die grafischen Dekore von Leenaert, die in ihrer Einfachheit und Fröhlichkeit wie einfach hingeworfen wirken. Sie zieren als Stickereien auch Hemden und marokkanische Gewänder oder finden sich abstrahiert auf Ledersandalen wieder.
Gerade diese Muster sind es, die inzwischen rege nachgeahmt werden – in meist minderer Qualität, was die Designerin besonders ärgert, die deshalb versucht, auch juristisch dagegen vorzugehen. Es habe einige Zeit gedauert, um Handwerker*innen zu finden, die sich auf ihre Gestaltungsideen eingelassen haben, sagt die umtriebige Unternehmerin. Und auch, dass viele Handwerkszweige in Marokko (wie fast überall auf der Welt) aussterben, weil niemand mehr die anstrengende Arbeit machen wolle und viele lieber im Büro tätig seien.
Karge Möblierung in Naturtönen
Ein Riad als Versuchslabor
Laurence Leenaert erzählt, dass sie in einem der ältesten Stadtteile von Marrakesch einen Riad mit fünf Gästezimmern eröffnet und dafür sämtliche Möbel und Dekorationsstücke selbst entworfen hat. „Es ging bei diesem Projekt nicht mehr nur darum, Keramikobjekte oder Kleidung zu entwerfen, sondern ein ganzheitliches Erlebnis zu schaffen“, sagt die Designerin. Das Haus ist ein Versuchslabor und fungiert auch als eine Art lebendiger Showroom des Labels. Es feiert das lokale Handwerk mit Buntglasfenstern, maßgefertigten Schmiedeeisenarbeiten, handbemalten Fliesen und Specksteinmöbeln. „Alles, was man im Riad sieht, kann man auch kaufen“, erklärt Leenaert das Geschäftskonzept.
Insgesamt sechs Stücke aus dem Riad haben es in die Kollektion Slow Roads geschafft. Sie werden aus Materialien gefertigt, mit denen die Designerin zum ersten Mal gearbeitet hat, darunter Edelstahl, Zellige und Marmor. Neben Raumteiler und Couchtisch hat Leenaert auch ein Sideboard aus Zedernholz mit handgeschnitzten Türen, in Mahagoni-Rahmen gefasste „Gemälde“ aus Zellige-Fliesen, einen getufteten Teppich aus New-Zealand-Wolle sowie einen Stuhl entworfen. Dinner 8 PM ist mit einer handgewebten und bestickten Husse versehen, die an Leenaerts Vergangenheit als Modedesignerin erinnert und äußerst dekorativ ist – das wohl gelungenste Stück der Kollektion. „Mir war es wichtig, dass der Stuhl leicht aussieht und Spaß macht“, sagt die Gestalterin. Die meisten ihrer Entwürfe entstehen spontan und ohne großen Plan, ergänzt sie – und es hört sich so an, als sei Leenaert den ganzen Tag kreativ.
Keramikarbeit
Die 35-Jährige experimentiert mit Formen, Farben und Texturen und interpretiert das traditionelle marokkanische Handwerk neu, wenn sie beispielsweise beim Low Table aus der Kollektion Slow Roads ein Gestell aus glänzendem Edelstahl mit einer Marmorintarsien-Tischplatte versieht, einer typisch marokkanischen Handwerkskunst. Oder aber die in Marokko beliebten Stuckarbeiten in neuen Mustern ausführt und zusammensetzt, sodass daraus ein schwerer Raumteiler oder ein übergroßes Gemälde wird. „Ich habe mich gefragt, warum ich nicht einfach ein Kunstwerk aus dem Material machen und mit Edelstahl kombinieren sollte“, sagt Leenaert und lacht. Wahrscheinlich ist gerade diese unbeschwerte Spontanität Teil ihres Erfolgsgeheimnisses.
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