„Alles muss wandelbar sein“
Stephanie Thatenhorst über Interiortrends 2025

Wohnräume werden flexibler und nachhaltiger. Die Münchner Interiordesignerin Stephanie Thatenhorst verrät, warum Lehmputz, Vintage und wandelbare Grundrisse zu den Bedürfnissen unserer Zeit passen und wie KI als kreatives Werkzeug die Gestaltung beeinflusst.
Welche Veränderungen und Trends erwarten Sie im Interiordesign für das Jahr 2025?
Für mich sind Stichworte wie „Nature“ und „Slowness“ große Themen. Sprich: natürliche Materialien, Farben und Haptiken, warme Anmutungen. Das bleibt. Ich denke, dass vorhandene Tendenzen bestehen und in 2025 ausgedehnt werden. Eine komplett neue Stilrichtung wird es nicht geben, nicht in der nahen Zukunft. Da ich eklektisch arbeite und Stile gerne breche, bediene ich mich der natürlichen Palette, aber mische kräftige Farben dazu. Oder ich kombiniere natürliche Materialien mit Chrom und Edelstahl. „Sustainability“ ist natürlich auch ein ganz großes Thema.
Politische oder soziokulturelle Entwicklungen haben Einfluss auf die Art und Weise, wie wir wohnen. Welche Tendenzen beobachten Sie?
Behaglichkeit ist ein sehr wichtiger Punkt. Und eben die Nachhaltigkeit! Vor zehn, ja sogar noch vor fünf Jahren war das für viele kaum ein Thema. Aber jetzt realisieren die Menschen immer mehr, dass unsere Welt kaputt ist und dass wir so einfach nicht weitermachen können. Viele Leute haben ein schlechtes Gewissen und beginnen nun, umweltschonend zu bauen oder einzurichten. Das Thema „Vintage“ wird auch wichtiger. Wir verwenden immer mehr Secondhand-Stücke – auch auf Wunsch der Kunden und Kundinnen. Dinge, die aus dem Bestand kommen, bauen wir total gerne in unsere Gesamtkonzepte ein. Etwa Polstermöbel, die einfach nur einen neuen Bezug brauchen. Vor einiger Zeit haben wir eine Ferienwohnung in einem Skigebiet gestaltet, in der ultracoole Vorhänge aus den Sechzigerjahren hingen. Grün gestreift und dick gewebt – ein Relikt der Zeit. So etwas darf man doch nicht wegwerfen! Es ist schließlich auch mit Erinnerungen verbunden, mit Urlauben, die mein Kunde dort mit seinen Eltern verbrachte.
Apropos grün gestreift: Welche Farben, Materialien und Texturen sehen Sie als besonders relevant in den kommenden Monaten?
Meistens gibt die Mode die Richtung vor und die Interiorwelt hüpft ein bisschen nach. So ist es im Moment auch. Braun- und Nougatnuancen sind sehr gefragt. Das wird bleiben. Wir mischen sie gerne mit einem coolen Orange, Rosé oder Gelb. Außerdem werden Textilien weiterhin sehr wichtig sein, weil sich die Menschen in Zeiten wie diesen nach Behaglichkeit sehnen. Das kann man am besten mit Stofflichkeiten erzeugen. Wenn es um metallische Materialien geht, werden wir sicherlich mehr Edelstahl als Messing sehen. Außerdem im Kommen: Lehmputz! Das Thema ist schon da, aber wird sicherlich noch viel präsenter werden. Wir haben gerade ein Projekt fertiggestellt, bei dem wir alle Wände eines Hauses in lindgrünen Lehmputz getaucht haben. Dazu viel helles Holz – das sieht toll aus!
Die Pantone-Farbe des Jahres 2025 heißt Mocha Mousse. Inwiefern beeinflusst Sie ein von der Industrie vorgegebener Trend?
Auf solche Tendenzen springen wir meistens zwölf Monate zu früh auf. Wenn ich merke, dass die Industrie nachzieht, wird es für mich eher uninteressant. Vor acht Jahren habe ich das erste Mal zu meinen Mitarbeiterinnen gesagt: „Wir arbeiten jetzt nicht mehr mit Messing, sondern mit Chrom“. Da waren alle total überrascht. Auch bei Kunden musste ich Überzeugungsarbeit leisten. Und jetzt ist Chrom omnipräsent. Ich denke, ich habe da einen ganz guten Riecher. Ich muss aber auch sagen, dass wir als Interiordesigner zu individuell arbeiten, als dass wir solchen Strömungen komplett unterliegen. Ich möchte es nicht von der Hand weisen, dass uns Trends interessieren. Im Gegenteil: Ich finde es sogar schön, ihnen zu folgen, aber unsere Aufgabe als Interiordesignerist es vor allem, langlebige Konzepte zu kreieren.
Es gibt Möbelstücke, deren Relevanz sich im Laufe der Jahrzehnte verändert. Welche Objekte passen zu unserer heutigen Zeit?
Ein großer Trend sind mobile Leuchten. Da werden fast jede Saison neue Modelle auf den Markt geworfen – oder bestehende in tragbare umgewandelt. Lustigerweise hatte ich das Thema der veränderten Relevanz gerade im Zusammenhang mit einer Vintage-Bar: Das italienische Möbellabel Draga & Aurel kauft alte Möbel und verziert sie mit Kunstharzfronten. Neulich sprachen mich die Designer darauf an, ob ich nicht Interesse an einer solchen, von ihnen umgestalteten Bar hätte. Ich musste sofort an die Mad-Men-Zeiten denken – so eine Bar hatte damals doch jeder! Aber das hat sich sehr verändert, weil sich das Trinkverhalten stark gewandelt hat. Wer trinkt denn schon noch zu Hause? Man braucht das gar nicht mehr. Für unsere Zeit relevant sind vor allem flexible Möbel. Die Wohnungen werden kleiner und da sind Stücke gefragt, die sich von einem Schreibtisch in einen Esstisch verwandeln lassen. Oder Ausziehtische – tatsächlich auch wieder ein großes Thema.
Raumaufteilungen wandeln sich ebenfalls über die Jahre hinweg. Früher wurde in einer abgeschlossenen Küche gekocht, heute gibt es vor allem offene Wohn- und Essbereiche. Denken Sie, das hat Bestand?
Das großzügige, offene Wohnen wird bleiben. Und dennoch ist der Wunsch nach Geborgenheit da. Deshalb kreieren wir immer mehr flexible Grundrisse mit Schiebetüren oder Wänden, die man bewegen kann. Die Menschen schätzen es, große Zimmer in kleine verwandeln zu können. Gleichzeitig wollen sie aber auf die großen Wohnräume nicht ganz verzichten. Ich habe das Gefühl, dass wir uns in der Zeit der Flexibilität befinden. Alles muss wandelbar sein! Die Unsicherheit, die von außen kommt, spüren viele Menschen auch im Inneren. Und Unsicherheit bedeutet, dass man sich nicht festlegen will. Man will die Flexibilität haben, Dinge verändern zu können.
Welche neuen Technologien nutzen Sie in Ihrem Arbeitsalltag vermehrt?
Wir testen aktuell mehrere Programme. Mit einigen arbeiten wir aber auch schon, etwa mit einer App, bei der man Räume dreidimensional vermessen und die Pläne unglaublich zeitsparend ins Zeichenprogramm übertragen kann. KI wird unseren Alltag immer mehr begleiten. Ich möchte eine der Ersten sein, die damit arbeiten. Man muss sich die KI zum Freund machen und nicht zum Feind.
Wenn Sie auf das Jahr 2025 blicken: Welche branchenrelevanten Events werden für Sie wichtig sein?
Für mich relevant sind vor allem die Möbelmessen in Paris, Mailand und Kopenhagen. Vor Corona war ich auch noch in Köln, aber die letzten Male habe ich die imm cologne nicht mehr besucht. Im März findet in München der Stoff Frühling statt und parallel dazu erstmals die Munich Design Days auf der Praterinsel. Wer weiß, vielleicht wird da noch etwas Größeres daraus? Festeingefahrene Konzepte sind einfach nicht mehr zeitgemäß. Man muss sich öffnen! Und München entwickelt sich gerade sehr. Wir werden dieses Jahr auch mit unserem Showroom in die Innenstadt umziehen. Vielleicht können wir Münchner ja doch noch eine kleine Geschichte im Frühling starten. Ich habe das Gefühl: Das Potenzial ist da!
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