Berliner Avantgarde
Studiobesuch bei Vaust in Berlin-Schöneberg

Dass Joern Scheipers und David Kosock wissen, was sie tun, sieht man ihren Entwürfen an. Eine unverkennbare gestalterische Handschrift zieht sich durch alle Projekte. Wie sie sich ihre Zukunft vorstellen und was Collectible Design damit zu tun hat, haben uns die beiden Gestalter beim Studiobesuch erzählt.
Seit ihrer Studiogründung vor sieben Jahren haben Joern Scheipers und David Kosock einen ziemlich rasanten Aufstieg hingelegt. Das sieht man auch daran, dass sie letztes Jahr aus Gemeinschaftsräumen in Neukölln in ein eigenes Studio in der gutbürgerlichen Ansbacher Straße in Schöneberg gezogen sind – in das Erdgeschoss eines herrschaftlichen Altbaus aus der Jahrhundertwende mit eigenem idyllischen Vorgarten unweit des vornehmen Viktoria-Luise-Platzes. „Wir wollten unbedingt raus aus der Anonymität einer Office-Etage und einen Bezug zur Umgebung haben“, erklärt Kosock die Immobilienwahl.
Wege kreuzen
Die Wege der beiden Studiogründer kreuzten sich in einer Berliner WG, als Scheipers Architektur an der TU Berlin studierte und Kosock nach einer Schneiderlehre Modedesign an der Kunsthochschule Weißensee. Das Akademische war nicht so Kosocks Ding, weshalb er sich entschloss, das Studium abzubrechen und Erfahrungen in der Eventbranche zu sammeln. Danach eröffnete er in seiner Heimatstadt Düsseldorf einen Club, ehe er eine Werbeagentur gründete. Einer seiner damaligen Geschäftspartner war Vietnamese und so kam es, dass sie eine Dependance in Ho-Chi-Minh-Stadt eröffneten. Dort arbeitete Kosock dann auch das erste Mal mit Scheipers zusammen – an einem temporären Concept-Store.
Startschuss Lockdown
Seit der Gründung des Studios im Jahr 2018 hat Vaust verschiedene Projekte umgesetzt, darunter Concept-Stores wie Highsnobiety, Offices wie Peoplegrapher, Restaurants wie Jigi Poke oder die aufwendige Sanierung des eigenen Studios. Und aus dem Duo ist inzwischen ein Team von fünf Personen geworden. „Wir haben das Projekt Vaust gegründet, ohne genau zu wissen, wohin das führen würde“, erzählt Scheipers. Es war während des ersten Lockdowns, als beide entschieden, sich ganz auf ihre Arbeit für Vaust zu konzentrieren. Glücklicherweise kamen gleich Aufträge rein, sodass sie schnell auf eigenen finanziellen Beinen standen. Das Geschäft läuft offensichtlich gut, denn Scheipers und Kosock haben nun auch den Blumenladen nebenan gemietet. Mit der Erweiterung der Studiofläche wird ein professioneller Gallery Space entstehen, der internationale Collectible-Design-Perspektiven zeigen und zugleich ein weiteres inhaltliches und wirtschaftliches Standbein für Vaust schaffen soll.
Leidenschaft Collectible Design
Zwar arbeiten Scheipers und Kosock bisher vorrangig als Interiordesigner, doch das Collectible Design ist eine weitere Leidenschaft. Man kann sogar sagen, dass dort die Anfänge von Vaust liegen, ohne dass es den beiden Gestaltern damals bewusst gewesen wäre. Sie hatten zwar Messen wie Collectible in Brüssel besucht und Hintergründe wie Preise, Mitbewerber und Galerien recherchiert, gingen aber relativ unbedarft an ihre erste Kollektion V33 Series heran. „Wir hatten die Objekte entworfen und wollten wissen, in welchem Kontext wir sie vermarkten könnten“, erzählt Kosock. Inzwischen haben sie sich tief in die Materie eingearbeitet, wie zur Eröffnung des Studios im letzten Jahr zu sehen war. Für die von ihnen konzipierte Ausstellung Culture First hatten die gut vernetzten Wahlberliner befreundete Designer*innen wie Milena Kling und Carsten in der Elst eingeladen, die Studiofläche gemeinsam mit Collectible-Design-Objekten zu bespielen. Von Anfang an sei ihnen klar gewesen, dass es nicht nur darum gehen könne, ausschließlich die eigenen Entwürfe – wie die Waschbeton-Serie Total Exposure – in den Studioräumen zu zeigen, erläutert Scheipers.
Einen Schritt voraus
Collectible Design spielt in Deutschland bisher nur eine untergeordnete Rolle. Ganz im Unterschied zu Nordamerika beispielsweise, wo viel Geld damit verdient wird, auch weil generell mehr Budget in ein professionelles Interiordesign fließt. Auch in europäischen Nachbarländern wie den Niederlanden, Frankreich und Belgien haben die beiden Designer ein größeres Know-how rund um luxuriöse Innenausstattungen festgestellt. „Dort werden andere Prioritäten gesetzt als bei uns“, sagt Kosock. Vaust will das ändern, den Collectible-Design-Markt in Deutschland mitentwickeln und potenziellen Kund*innen näherbringen. Dabei spielt nicht nur der zukünftige Gallery Space eine wichtige Rolle. Gerade planen Kosock und Scheipers mit einigen Mitstreiter*innen ihres Netzwerks ein kuratiertes Collectible-Design-Event in Berlin. Culture First soll international ausgerichtet sein und im September dieses Jahres parallel zum Gallery Weekend an einem noch geheimen Ort stattfinden.
Residential Affairs
Bei ihrer Affinität zum Collectible Design überrascht es nicht, dass die Studiogründer zukünftig verstärkt im Bereich Luxury Residential arbeiten und private Häuser und Wohnungen ausstatten wollen, gern auch im benachbarten Ausland. „Wir möchten unsere Kunden mit auf eine Reise nehmen“, sagt Kosock, auch weil hierzulande das Wissen über Design oft nicht hinausginge über Möbelklassiker wie den Eames Chair. Dazu passt, dass Vaust nicht nur Einzelstücke für bestimmte Projekte entwirft, sondern auch mit Galerien kooperiert, wenn es beispielsweise um Vintage-Designmöbel geht, wie bei der Ausstattung des Apartments S24 in Düsseldorf. „Wir möchten eine gewisse Emotionalität in unsere Projekte bringen“, sagt Kosock. Und ergänzt, dass dies bei Wohnprojekten leichter umsetzbar sei als beispielsweise im Retail- oder Office-Bereich, auch weil dort größere Budgets vorhanden seien.
Die Studiogründer jedenfalls sind wagemutig und loten gern ihre Grenzen aus. Gerade arbeiten Kosock und Scheipers an der Komplettsanierung einer Villa, für die sie auch einen Anbau planen. Und in Berlin-Karlshorst gestalten sie erstmals einen Garten, der das Interiordesign nach draußen bringen soll – in enger Zusammenarbeit mit einem Landschaftsbauer. „Uns zeichnet aus, dass wir sehr konzeptstark sind“, sagt Scheipers. „Wir wissen genau, wie sich ein Projekt später anfühlen, welchen Vibe es haben soll.“
Kein Selbstläufer
Bei unserem Gespräch wird ziemlich schnell deutlich, dass hinter dem Erfolg von Vaust Ehrgeiz und vor allem harte Arbeit stecken. Scheipers und Kosock sind nicht nur sehr begabt. Sie wissen ziemlich genau, wohin sie wollen und wie sie sich von anderen Studios absetzen können. Dass sie ständig unterwegs sind und sich vernetzen, ist für sie unabdingbarer Teil ihres Tuns. Oder wie Scheipers sagt: „Von selbst funktioniert nichts.“
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