Experte der Nachnutzung
Lukas Wegwerth über nachhaltiges Ausstellungsdesign
Auf der Suche nach der inneren Logik von Prozessen erfindet der Designer Lukas Wegwerth eigene Methoden des Bauens, Konstruierens und Wachsens. Den Fokus legt er dabei auf evolvierende Systeme. Wie viel Potenzial darin steckt, zeigt beispielsweise sein „Three+One“-Möbelsystem. Denn damit hat er es geschafft, die Nachhaltigkeitsdebatte in große, renommierte Ausstellungsformate zu transportieren. Aktuell erfahrbar auf der Biennale in Venedig – oder Anfang September in Mailand, wo er das neue Messeevent Supersalone mitgestaltet hat.
Wegwerth graduierte 2015 an der Universität der Künste Berlin im Fach Prozess- und Produktdesign. Im selben Jahr gründete er sein Berliner Studio. Projekte für die Triennale Milano, die Gallery FUMI London, die Istanbul Design Biennale oder das Bio Design Lab Karlsruhe folgten. Wie viele Mitarbeiter*innen er hat? „Wir passen uns den Projekten an“, sagt er. „Meistens sind es so fünf bis sechs Leute.“ Im Interview spricht Lukas Wegwerth über verschiedenste Aspekte von nachhaltiger Gestaltung: Nachhaltigkeit durch Selektion, Weiternutzung oder Experimente – und durch ein neues Denken im Ausstellungsdesign.
Herr Wegwerth, Sie wurden – neben vier weiteren Gestalter*innen – vom Architekten Stefano Boeri, dem Kurator des im September stattfindenden Mailänder Messeevents Supersalone, ins Designteam geholt. Wie sieht das Konzept der Veranstaltung aus und inwiefern können Sie sich damit identifizieren?
Der Supersalone will auf die Erfahrungen der vergangenen 18 Monate reagieren und ein neues Format der Messe versuchen. Es soll demokratisch sein – in dem Sinne, dass es offen für alle ist und unabhängige Designer*innen neben etablierten Firmen ihre Produkte vorstellen können. Auch das Thema Nachhaltigkeit ist für dieses Messeformat von großer Bedeutung. Mein Büro hat sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Thema „reuse“ beschäftigt. In diesem Zusammenhang haben wir uns auch damit befasst, wie Nachnutzungskonzepte im Designprozess antizipiert werden können.
Sie meinen damit das Möbelsystem Three+One, das Sie 2013 gelauncht haben?
Ja. Three+One ist ein modulares System, das für kleine Objekte, wie beispielsweise Hocker, bis hin zu Raumarchitekturen wie Tribünen verwendet werden kann. Das Kernelement ist ein Verbinder, der aus vier flachen Seiten besteht, die ineinander gesteckt werden.
Was genau ist der Nachhaltigkeitsaspekt bei diesem Möbelsystem?
Three+One basiert auf handelsüblichen und universellen Maßen. Das System ist so konzipiert, dass es eine lokale Produktion ermöglicht und viele unterschiedliche Materialien zulässt. Dadurch lädt es verschiedene Akteure dazu ein, das System zu nutzen und in seinen Bestandteilen zu erweitern. Dieser partizipative Ansatz bezieht sich bei der Verwendung des Systems im Rahmen des Supersalone vor allem auf die Nachnutzung. Die Strukturen sollen in verschiedenen Kontexten nachgenutzt werden und sich dort an die jeweiligen Bedürfnisse anpassen können.
Wo kommt Three+One auf dem Supersalone zum Einsatz?
Wir haben es hauptsächlich für die Gestaltung der „social spaces“ der Messe verwendet: Orte zum Ausruhen oder Business Lounges, Food Courts und Magazinstände. Bei den größeren Strukturen haben wir uns bewusst dafür entschieden, mit einem Baugerüstsystem zu arbeiten, das für die Messe ausgeliehen wird.
Inwieweit wird beim Messebau des Supersalone auf Nachhaltigkeit geachtet?
Wir haben uns innerhalb des kuratorischen Teams während der Konzeption der Messe viel über Strategien ausgetauscht, wie Material eingespart oder sinnvoll nachgenutzt werden kann. Zunächst einmal gibt es für diese Edition der Messe eine einheitliche Gestaltung der Ausstellungsflächen, die Andrea Caputo entworfen hat. Das Konzept der Wände sieht vor, dass die Ausstellungsflächen mit weniger Materialaufwand als üblich individualisiert werden können. Das Skelett der Wände besteht aus einem in der Messe vorhandenen Wandsystem, sodass hier kein Abfall entsteht. Das Plattenmaterial für die Wände bleibt möglichst unbehandelt, sodass eine Nachnutzung innerhalb der Messe möglich wird.
Kann ein Messeevent insgesamt wirklich nachhaltig sein – oder handelt es sich eher um eine Art Greenwashing, weil heutzutage alles nachhaltig sein muss?
Messen können und müssen verantwortungsvoller im Umgang mit Ressourcen werden. Wichtig ist, dass wir mit dem Format Messe experimenteller umgehen, um neue Lösungen zu entwickeln. Um eine konsequente Verbesserung im Bereich Nachhaltigkeit zu erreichen, müssen sich die jetzigen Rahmenbedingungen und Erwartungen verändern. Dazu gehört, dass wir über smarte Storage- und Sharing-Konzepte nachdenken, die das jetzige „Take-Make-Dispose“-Modell ersetzen.
Was planen Sie konkret?
Neben den bereits genannten Konzepten werden wir zum Beispiel vieles ausleihen. Eine sinnvolle Entscheidung ist, dass wir auf den Messeteppich ganz verzichten. Die Messehalle wird als architektonischer Raum begriffen, dessen Qualitäten offen gezeigt werden dürfen, statt sie zu verhüllen.
Konsequent nachhaltiges Design ist eine höchst komplexe Aufgabe. Wie sollten Ausstellungen künftig geplant werden?
Nachhaltige Ausstellungsgestaltung bedeutet für mich, dass man sich bewusst damit auseinandersetzt, was wirklich gebraucht wird und worauf man verzichten kann. Die Weiternutzung und das Nachleben aller Materialien müssen grundlegender Teil des Designprozesses sein. Die Designphasen ändern sich: Der Planungsablauf für eine Messe darf also nicht mehr mit dem Ende des Events enden. Er muss sich künftig auch damit beschäftigen, wie die verwendeten Materialien in möglichst hochwertiger Form in Kreisläufe gebracht werden können.
Sie haben auch für die diesjährige Biennale in Venedig an einem „reuse“-Projekt gearbeitet…
Ja, das war für die Ausstellungsarchitektur der V–A–C Foundation für das Projekt Non-Extractive Architecture, das Joseph Grima kuratiert hat. Es handelt sich um den Palazzo delle Zattere in Venedig mit mehreren Ausstellungsräumen, für die wir große Präsentationstische konzipiert haben. Wir haben dort kein neues Material benutzt, mit Ausnahme eines Schraubenpakets. Die Holzstangen für die Tischgestelle stammen von einem ausrangierten Gartenzaun, den ich auf dem Weg nach Venedig gefunden habe. Die Tischplatten sind aus altem Holz, das sonst verbrannt worden wäre.
Viele Designer*innen experimentieren mit nachwachsenden Rohstoffen wie Pflanzen, um daraus hundertprozentig recycelbare Produkte herzustellen. Das französische Luxusmodelabel Hermès hat beispielsweise gerade eine Taschenkollektion aus Pilzleder vorgestellt. Werden Designer*innen zu Alchemist*innen?
Ich habe in den vergangenen Jahren immer wieder mit dem Atelier LUMA zusammengearbeitet, das von Jan Boelen geleitet wird. Dort beschäftigen sich Designer*innen sehr intensiv mit der Entwicklung von neuen Biomaterialien und ich verfolge diese Projekte mit großem Interesse. Ich halte es für sehr sinnvoll, dass wir unsere Ressourcen als Designer*innen diversifizieren und uns nicht ausschließlich auf eine Handvoll Materialien verlassen. Ich sehe aber auch in herkömmlichen natürlichen Materialien viel Potenzial in Bezug auf aktuelle Anwendungskonzepte.
Welche Materialien meinen Sie?
Ich denke dabei vor allem an Holz, das unsere Kultur stark geprägt hat und sehr gute Eigenschaften vorweist. Es ist ein nachwachsender Rohstoff, den wir lokal beziehen können. Wir brauchen gute Lösungen, Holz möglichst lange zu nutzen, weil es CO2 bindet, solange es nicht verrottet.
Paola Antonelli, Kuratorin am MoMA New York, hat in einer Diskussionsrunde von Carl Hansen & Søn kürzlich Nachwuchsdesigner*innen davon abgeraten, Möbeldesigner*innen zu werden – außer man schafft eine Innovation im Bereich der Nachhaltigkeit. Sie sagt: Es gibt bereits zu viele gute Möbel. Sehen Sie das auch so?
Das stimmt natürlich, wenn man es unter dem Aspekt betrachtet, dass wir als Gesellschaft bereits viel zu viele Möbel produziert haben. Andererseits gibt es kulturelle und gesellschaftliche Gründe, warum man neue Möbel gestalten könnte, wobei Nachhaltigkeit Teil des Designansatzes sein muss. Gesellschaft ist natürlich immer in Bewegung und dementsprechend verändert sich auch Design als kulturelle Praxis. Ich denke, dass wir gerade eine sehr spannende Zeit des Umbruchs erleben, in der Design das Potenzial hat, den aktuellen Herausforderungen innovativ, positiv und interdisziplinär zu begegnen. Für Nachwuchsdesigner*innen bietet sich hier ein großer Raum zum Experimentieren, denn etablierte Institutionen sind auf diese jungen Impulse angewiesen.