Menschen

„Naturverbundenheit spielt eine große Rolle“

Kreativdirektorin Camilla D. Fischbacher im Gespräch

Das Schweizer Traditionsunternehmen Fischbacher 1819 ist eines der ältesten Familienunternehmen in der Textilbranche und präsentierte auf der Paris Déco Off 2024 nicht nur seine neue Kollektion, sondern auch seine neue Markenidentität. In Fischbachers frisch renoviertem Showroom sprachen wir mit Kreativdirektorin Camilla D. Fischbacher über notwendige Veränderungen, Familiengeschichten und aktuelle Trends in der Textilbranche.

von Jana Herrmann, 24.01.2024

2024 ist für das Unternehmen Fischbacher 1819 ein ganz besonderes Jahr. Sie läuten im Rahmen der diesjährigen Paris Déco Off - wie Sie selbst sagen - eine neue Ära ein.
Richtig. Wir haben ein gründliches Update vollzogen. Denn mein Mann und ich leiten die Firma seit mittlerweile 15 Jahren. Da ist es wirklich an der Zeit, dass die Brand ganz offiziell unsere Handschrift trägt. Aber vor allem soll unser Unternehmen auch zeitgemäß sein. Wir werden beispielsweise viel enger mit Architekten und Designern zusammenarbeiten. Denn wir haben gemerkt, dass Textilien bei Bauvorhaben oft erst in der finalen Phase ins Spiel kommen.

Das neue Firmenlogo trägt keine Schnörkel mehr, sondern ist auffällig schlicht gehalten. Was soll diese Formensprache symbolisieren?
Sie symbolisiert unsere neue, klar strukturierte Unternehmensausrichtung, die besagt: Stoffe sind in unserer heutigen Gesellschaft nicht mehr nur dekorativ, sondern vor allem auch funktionell und genauso wichtig wie die etablierten Elemente Stein, Holz oder Licht. Oder anders gesagt: Heimtextilien sind definitiv zu einem wichtigen Baustein moderner Lebensformen geworden.

Der neue Firmenname Fischbacher 1819 ist aber auch eine Hommage an die Vergangenheit, nämlich an das Gründungsjahr Ihres Familienunternehmens.
Richtig, denn unsere Wurzeln sind schließlich die Basis, auf der die Familie Fischbacher das Unternehmen seit mittlerweile über zwei Jahrhunderten stetig weiterentwickelt. Das wurde uns 2019, im Rahmen unseres 200-jährigen Firmenjubiläums, noch einmal so richtig bewusst. Als uns vor Augen geführt wurde, dass wir eines der weltweit ältesten Familienunternehmen in der Textilbranche sind. Das ist also etwas ganz Besonderes und hat uns dazu bewegt, Geschichte und Gegenwart in unserer neuen Firmenidentität zu vereinen.

 

Sie führen gemeinsam mit Ihrem Mann Michael Fischbacher die Firma in der mittlerweile sechsten Generation. Mögen Sie uns einen kurzen Überblick über die vorherigen Fischbacher-Führungsgenerationen geben?
Das ist eine interessante Entwicklung, denn jede Generation wählte ihren ganz individuellen Weg, mit Textilien zu arbeiten. Der Firmengründer Christian Fischbacher war Bauer und verkaufte seine Stoffe auf dem Wochenmarkt. Die zweite Führungsgeneration musste die Firma durch den ersten Weltkrieg bringen und die dritte Generation prägte Otto Fischbacher, der in erster Linie ein Weltreisender und Kunstliebhaber war. Er hat wenig mit der Firma zu tun gehabt, aber es lief trotzdem richtig gut (lacht). Sein Sohn floh dann vor dem zweiten Weltkrieg nach Amerika und brachte bei seiner Rückkehr nach St. Gallen ganz neue, modeorientierte Visionen in das Unternehmen ein, die wiederum von seinem eigenen Sohn, also meinem Schwiegervater, weitergeführt wurden. Mein Mann und ich haben dem Fashionsektor dann den Rücken gekehrt und legen den Fokus auf Einrichtungsstoffe. So hat jede Generation praktisch ihre jeweils eigene Firma geführt.

 

Eine Konstante in der Firmengeschichte ist aber der Blick in die Ferne – der unübersehbare Einfluss von Kulturen aus aller Welt. Sie prägen auch Fischbachers neue Stoff- und Teppichkollektion Nomadic Journeys, die Sie im Rahmen der diesjährigen Paris Déco Off präsentiert haben.
Die Kollektion entstand in gedanklicher Auseinandersetzung mit dem Nomadentum. Einer Lebensweise, die von ständiger Bewegung und einer tiefen Verbundenheit mit der Natur geprägt ist. Sie ist sozusagen die Fortsetzung unserer letzten beiden Kollektionen, denn seit der Coronapandemie spielt die Naturverbundenheit eine große Rolle, weil sie einfach in unsere heutige Welt passt. Es gibt diese ungebrochene Sehnsucht nach unebenen, rauen Oberflächen, die das absolute Gegenteil zu den aalglatten Screens unserer Smartphones sind, die wir mittlerweile fast permanent berühren und durch die wir uns virtuell durch die Welt bewegen. Die Fischbacher-Stoffe erzählen dagegen Geschichten über kulturelle Vielfalt, was mir besonders am Herzen liegt. Denn wir leben in einer sehr komischen Zeit, in der wir uns immer mehr voreinander verschließen. Dabei sollten wir uns anderen Kulturen gegenüber viel mehr öffnen, um uns gegenseitig zu inspirieren und persönlich zu entfalten.

 

Sie selbst wohnen in der Schweiz in dem Haus, das der Großvater Ihres Mannes mit dem Architekten Hermann Guggenbühl Mitte der 1950er-Jahre entworfen hat. Wie viel Fischbacher-Showroom gibt es bei Ihnen zu Hause zu sehen?
Bei uns zu Hause sind alle Stoffe von Fischbacher. Mittlerweile sind sie auch alle aus meinen Kollektionen (lacht). Ich kann in diesem Haus aber weitaus nicht alles testen und zeigen, denn es hat eine dominante Architektur mit einer sehr klaren Formensprache. Und ich nutze es in dieser Hinsicht ganz anders als unser Apartment auf Sizilien, das sich in einem Anbau aus dem 18. Jahrhundert befindet. Dort ist es atmosphärisch sehr viel sanfter und romantischer. Aber das ist ja gerade das Schöne an Heimtextilien: Sie sind wie Kleidungsstücke, die man nach Anlass und Stimmung wechseln, tragen und fühlen kann.

Welche Tendenzen sehen Sie aktuell in der Textilbranche?
Im Trend liegen definitiv Naturfasern, unebene Oberflächen und grobe Strukturen, die gleichzeitig aber auch über eine weiche Haptik verfügen. Zudem sieht man das Nomadenmotiv immer mehr, unter anderem auch bei Möbelherstellern.

Können Sie uns abschließend einen kurzen Ausblick geben, wie es bei Fischbacher 1819 weitergeht und welche Neuheiten die kommenden Kollektionen bringen werden?
Für unsere nächste Kollektion, die wir im kommenden April auf der Mailänder Möbelmesse vorstellen werden, planen wir eine absolut coole Zusammenarbeit mit einer großartigen Person. Aber eigentlich darf ich darüber noch gar nicht sprechen. Denn das Projekt ist noch nicht spruchreif und wenn es aus irgendwelchen Gründen nicht klappen sollte, wäre das ein riesiges Drama (lacht).

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