„Der Prozess wird zum Echo“
Katrin Greiling über die Arbeit mit gebrauchtem Material
Sie ist Designerin, Innenraumgestalterin, Fotografin: Katrin Greiling lässt sich nicht festlegen. Ihre Ausbildung absolvierte sie in Schweden, an der Handwerksschule Capellagården und der Stockholmer Hochschule Konstfack. Greiling lebte einige Jahre in Dubai, bevor sie ihr Studio in Berlin gründete. Sie plant Wohnungseinrichtungen und arbeitet für Designunternehmen wie Tecta oder Kvadrat. Einige ihrer Entwürfe produziert und vertreibt sie in Eigenregie, etwa das Daybed „The Safar Series“. Für das Berliner Geschäft des schwedischen Taschenherstellers Sandqvist hat sie kürzlich Möbelstücke aus gebrauchten Materialien entworfen. Wir trafen Greiling in ihrem Studio und sprachen mit ihr über das Selbermachen, die Beziehung von Funktion und Ornament und warum Nachhaltigkeit Zeit braucht.
Für Repurposed hat Sandqvist Dir die Vorgabe gemacht, mit zu 99 Prozent gebrauchten Materialien zu arbeiten. Hat Dich das abgeschreckt?
Im Gegenteil, ich sah darin eine zeitgemäße und wichtige Herausforderung. Ich habe mich über die Rahmenbedingungen gefreut. Statt das als Begrenzung für den Gestaltungsprozess zu sehen, wurde es für mich ein Zugang – auch zu einem neuen Ideal für zukünftiges Arbeiten. Bei jedem Projekt sind ja bestimmte Parameter vorgegeben und zu diesen Parametern muss ich mich als Designerin verhalten. Aber in diesem Fall brauchte es schon Mut, sich auf diesen, im ersten Schritt nicht planbaren Designprozess einzulassen. Ich war selbst gespannt, wo die Reise hingeht, da ich unter solchen strikten Voraussetzungen in Bezug auf Material noch nie gearbeitet hatte.
Du hast die Materialien selbst besorgt – größtenteils in Deiner unmittelbaren Umgebung. Und Du hast alle Stücke hier in Deinem Studio produziert.
Ich hatte Gefallen gefunden an den engen Rahmenbedingungen – warum also nicht auch noch zusätzlich versuchen, Material so lokal wie möglich zu besorgen und selbst zu produzieren? Einzig die zugeschnittenen Hölzer für die Sessel kommen aus Nordrhein-Westfalen. Die Proportionen hatte ich dank eines guten Dialoges mit dem Schreiner so angepasst, dass ausschließlich Reststücke verwendet werden konnten. Teil des Konzeptes war auch, die Sessel als Latten flach verpackt zu verschicken. Ein Freund des Schreiners nahm sie im Kofferraum seines Kleinwagens mit, als er sowieso nach Berlin fahren musste. So gab es keinen extra Transport. In meinem Studio in Berlin habe ich die Holzteile dann nur noch verleimt und geölt.
Wie lange hat der ganze Entwicklungsprozess gedauert?
Allein das Sammeln des Materials nahm natürlich viel Zeit in Anspruch. Und Platz! In meinem Studio war es teilweise ziemlich chaotisch. Für die Arbeit als Bricoleur brauchte ich einen Überschuss von Material, um dann damit gut arbeiten und verschiedene Gestaltungsansätze testen zu können.
Die Ideen kamen also beim Machen?
Teilweise! Ich hatte natürlich eine grobe Vorstellung und Ideen, wie ich dem Anspruch von Sandqvist und auch meinem eigenen gerecht werde. Ein wichtiger Teil meiner Ausbildung war ja meine zweijährige Schreinerlehre. Doch je weiter ich mich von meinem Studium entfernte, desto digitaler wurde es – leider! Mir tat es sehr gut, wieder in der Produktion zu sein. Ich habe viele Modelle gebaut und einiges dabei gelernt, besonders im textilen Bereich.
Was sind die größten Unterschiede zum Entwerfen mit neuen Materialien?
Die Verfügbarkeit bestimmt hier die Möglichkeiten. Im ersten Schritt hatte ich mich umgesehen, welche Materialien mir in meiner unmittelbaren Umgebung zur Verfügung stehen. Im zweiten Schritt dann habe ich ein Konzept erarbeitet, mit diesen Wertstoffen so umzugehen, dass sie sowohl dem Material als auch meinem ästhetischen Anspruch gerecht werden. Deswegen gefällt mir auch das Wort Repurposed. Material einen neuen Sinn geben, das eigentlich schon im Abfall lag.
Ist diese Herangehensweise schwieriger?
Auf jeden Fall zeitaufwändiger, aber im Endeffekt gibt es mir als Gestalterin viel mehr. Der Prozess wird zum Echo, es entsteht ein Dialog mit dem Material. Das fand ich sehr ansprechend.
Welche Lehren würdest Du aus dem Projekt Repurposed ziehen?
Da kommen wir wieder zum Dialog. Natürlich arbeite ich als Gestalterin immer im Dialog mit der Werkstatt, der Produktion und dem Material. Man muss die Voraussetzungen und Möglichkeiten kennen. Aber der Dialog sollte noch enger sein, um einen Entwurf so nachhaltig wie möglich zu gestalten. Und: dass man sich mehr Zeit nimmt für Recherche über Verfügbarkeit und nachhaltige Alternativen. Der Faktor Zeit ist sehr wichtig.
Zeit ist auch ein gutes Stichwort für The Safar Series, ein Daybed. Es ist ein Entwurf von 2009, der aktuell wieder in Produktion gegangen ist. Was ist die Geschichte dahinter?
Ich habe von 2007 bis 2010 in Dubai gelebt. Für die Kunstmesse Art Dubai entwarf ich damals eine Serie von Sitzmöbeln. Daraus ist The Safar Series entstanden.
Inwieweit spiegelt sich in dem Daybed Deine Erfahrung in Dubai?
Meine gesamtes Innenarchitektur- und Möbeldesignstudium stand im Zeichen des Funktionalismus. The Safar Series hat mich in meinem inneren Dialog an die Grenzen gebracht, weil ich einen Weg gesucht habe, Funktion und Ornament miteinander zu verknüpfen. Ich benutze Seile sowohl im Sinne der Ornamentik als auch der Funktion. Sie sind beides. Sie haben eine funktionale Berechtigung, da sie die beiden oberen Matratzen zusammenbinden. Seile sind ein immer wiederkehrendes Element in Dubai, Zelte werden mit Seilen aufgestellt, Fracht auf Booten verzurrt, im Alltag unentbehrlich. Gleichzeitig bilden sie ein Muster auf der Oberfläche der Matratze. Ich beziehe mich mit der Anordnung auch auf das Chesterfield-Sofa als Teil meines europäisch geprägten Referenzhorizonts.
Wie kommt es, dass The Safar Series jetzt hergestellt wird?
Ich habe das Möbel 2009 entworfen, es hat 2010 in Schweden einen Preis gewonnen. Droog produzierte das Sofa für eine kurze Zeit, dann wurde dies aus Kostengründen wieder eingestellt. Vor einiger Zeit hat sich ein Kontakt zu einem Artdirektor aus Malmö ergeben, der sich dafür interessiert hat. Er ist der Mann vor Ort und koordiniert die Produktion. Wir haben den Entwurf überarbeitet, das Daybed kann jetzt im Handumdrehen in ein Gästebett für zwei verwandelt werden.
Wo wird das Daybed produziert?
Wir produzieren in Malmö, die Stoffe beziehen wir aus Dänemark.
Was sind die Vorteile, wenn man als Gestalter*in die Produktion selbst organisiert?
Selbst für die Produktion zu stehen, erlaubt es uns, zu unseren Bedingungen zu produzieren. Uns ist es wichtig, dass die Möbel aus bestmöglichen, nachhaltigen Materialien produziert werden. Außerdem liegt uns viel daran, dass die Menschen, die unsere Möbel per Handarbeit herstellen, auch zu fairen Bedingungen arbeiten. Lager und Geschäft brauchen wir nicht, wir produzieren exklusiv nach Ordereingang und verkaufen direkt über unsere Webseite.