Netzwerken für den Kreislauf
Wie die Schweizer Architektin Barbara Buser Materialien und Möbel einsetzt
Ob Bauteilbörse, Thinktank oder Architekturbüro – die Schweizer Architektin Barbara Buser aus Basel knüpft seit den 1990er Jahren Netzwerke im Dienste der Kreislaufwirtschaft. Gemeinsam mit Eric Honegger führt sie das baubüro in situ. Ihre Königsdisziplinen: alte Fabrikgebäude revitalisieren und neue Firmen gründen.
Sie haben Mitte 2025 eine ganz neue Firma mit aufgebaut – zur Rettung von Küchen. Wie funktioniert das?
Ja, sie heißt Nomol AG, für ‚noch mal‘ auf Schweizerisch. Wir beschäftigen uns nur mit Stahlküchen von forster. Das ist ein sehr qualitätsvolles Schweizer Küchenunternehmen. Sie bauen ungefähr 2.000 Küchen im Jahr und besetzen circa 2 Prozent des Markts. Die Küchen halten hundert Jahre, werden aber oft nach zwanzig Jahren rausgerissen. Wir fangen diese Küchen ab und verwenden sie wieder, bevor sie im Recycling landen. Diese Küchen sind fast unzerstörbar, haben aber relativ hohe CO₂-Werte. Hier lohnt es sich also ganz besonders, einen zweiten Lebenszyklus zu ermöglichen. Die Elemente sind normiert, in der alten 55-Zentimeter-Norm, das heißt, die Kästen sind 55 statt 60 Zentimeter breit – eine intelligentere Art, den Markt zu schützten, als mit Zöllen. Die Apparate-Hersteller müssen passend dazu in 55er-Maßen produzieren. Die Hälfte davon ist dann 27,5 – schon ein bisschen ein Witz, aber so ist das. Ja, und diese Küchen retten wir jetzt und bauen sie wieder ein.
Seit zwei Jahren entwickeln Sie außerdem das Franck Areal im Nordosten Basels. Dabei nutzen Sie konsequent das Baumaterial vor Ort, richtig?
Genau, wir reißen nichts ab. Und wenn wir doch ein Mäuerchen oder eine Decke herausreißen, zertrümmern wir sie nicht, sondern schneiden sie in Scheiben. Meines Erachtens haben wir die Verpflichtung, kostengünstig und CO₂-neutral zu bauen. Da zählt dann jeder Kubikmeter Beton. Leider ist CO₂ immer noch nicht eingepreist. Ich rechne manchmal aus, wie viel eine Tonne CO₂ eigentlich kosten müsste, um kostenneutral im Vergleich zu Abbruch und Deponie zu sein. Da komme ich meistens auf circa 900 Franken, also rund 985 Euro. Würden wir so viel pro Tonne CO₂ bekommen, die wir nicht emittieren, würden wir kostendeckend arbeiten.
Sie sind eine Pionierin, wenn es um die Beschaffung von gebrauchten Bau- und Einrichtungsmaterialien geht. Welche News gibt es in diesem Bereich?
Wir haben vor dreißig Jahren die Bauteilbörse Basel gegründet. In den Hochzeiten damals gab es 24 Stück in der Schweiz, fast in jedem Kanton eine – angelegt als Projekte zur Qualifizierung von Arbeitslosen. Mit dem Wegfall von Arbeitslosigkeit nahm dann auch die Zahl der Bauteilbörsen stark ab. Jetzt entstehen wieder neue. Unsere Bauteilbörse Basel ist schon lange vernetzt mit dem Bauteilnetz Bremen, das auch unser Computerprogramm nutzt. Außerdem gibt es jetzt die Newcomer wie Concular in Berlin, was ich super finde. Solche Materialbörsen findet man fast in jedem Land Europas, aber meist ist es dann tatsächlich nur eine. Inzwischen haben wir auch ein europaweites Netzwerk gegründet, CxC Europe. Letztes Jahr haben wir uns in Kopenhagen getroffen, das nächste Meeting ist in Rotterdam.
Wo würden Sie sich in der Welt der Innenarchitektur und des Designs verorten?
Ich habe vorhin ein Bad-Magazin durchgeblättert mit neuen Badwelten und frei stehenden Badewannen. Mich stößt das ab, wenn ich an die Energie und Arbeitskraft denke, die da reingesteckt wird. Das sind tatsächlich Luxusprobleme, die mich nicht interessieren. Ich arbeite am liebsten mit Menschen, die nicht so viel Geld haben, weil sich mit ihnen sinnvolle Lösungen realisieren lassen. Viele sagen, dass Ikea nicht okay ist, aber Ikea macht viel richtig. Ich habe privat fünfzig Jahre alte Büchergestelle von Ikea und kann immer noch Ersatzteile und Anbauten kaufen, sogar gebraucht über das Internet. Ob das Ikea ist oder nicht, spielt für mich erst mal keine Rolle. Wichtig ist, dass die Qualität gut ist, dass das Material massiv ist, dass das nicht einfach so zusammengeleimte Sachen sind. Und dann kann man das immer wieder anders kombinieren, weil es neutral ist. Für mich müssen Möbel, muss die Inneneinrichtung neutral sein. Die Farbe kann von den Büchern, den Textilien, den Badetüchern, den Kunstwerken oder den Kinderzeichnungen kommen. Oder von den Wänden – wobei ich großen Wert auf eine gute Qualität der Farben lege.
Bei Ihren Architekturprojekten verwenden Sie oft die Möbel vor Ort. Wie sieht das in der Praxis aus?
Wir arbeiten meistens mit Fundstücken. So haben wir einige Restaurants mit der Ausstattung aus lokalen Beständen gestaltet. Das sind ja oft qualitativ hochwertige Möbel. Wenn man die Tische mit Linoleum neu belegt und die Stühle abschleift und neu anmalt, sind sie fast wie neu. In der Schweiz arbeiten die Industrien oft mit Designklassikern wie den Stühlen von Horgenglarus oder von Girsberger. Girsberger hat ja auch ein Remanufacturing-Projekt, das wirklich konsequent geführt wird. Sie nehmen ihre Projektbestuhlung zurück und gestalten sie neu mit ihren bestehenden Materialien. Das ist eine ganz tolle Sache, konsequenter als viele andere derartige Projekte.
Auch bei städtischen und staatlichen Projekten arbeiten Sie viel mit Schweizer Möbelmarken …
Ja, wir haben unter anderem das Präsidialamt Basel eingerichtet. Die Stadt Basel hat ein riesiges Materiallager mit hochwertigen Möbeln, das wir schon für verschiedene Projekte genutzt haben. Hierzu gibt es auch eine schöne Anekdote aus den Anfängen meiner Berufstätigkeit. Als ich in den 1980er-Jahren in Tansania für die UNO arbeitete, sollte ich Möbel bestellen. Ich schlug Secondhandmöbel aus dem Materiallager Basel vor, doch gebrauchte Einrichtungsgegenstände wollten meine Arbeitgeber dort nicht, das hätten sie als Almosen empfunden. Ich tipp-exte das Secondhand in der Bestellung weg, die Möbel wurden geordert – und niemand merkte, dass sie nicht neu waren. Schweizer Qualitätsarbeit oder deutsche, klar. Viele der alten Möbel und Möbeldesigns sind hochwertiger als heute. Das beste Beispiel ist sicher USM. Es gibt ja längst mehrere Firmen, die sich professionell nur um die Wiederverwendung der Systemmöbel von USM kümmern. Das Design muss modular sein und gute Qualität haben, das ist für mich wichtig.
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