„Eine Küche ist der Raum, In dem es warm und menschlich ist“
Marc O. Eckert von bulthaup im Interview

Partner: bulthaup
In dritter Generation führt Marc O. Eckert das Unternehmen bulthaup. Im Interview spricht er über die Küche als zentralen Lebensraum, Bobbycar-taugliche Laminatfronten und ein Baukastensystem, das sich sogar vererben lässt.
Im architektonischen Kontext ist die Küche in den vergangenen Jahrzehnten zum Zentrum des familiären Lebens geworden. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Bis in die Siebzigerjahre gab es ein Küchenzimmer, in dem meist die Frau kochte, sowie ein Speise- und ein Wohnzimmer. Die Grundrisse waren völlig andere als heute und die Küche – von der Frankfurter Küche ausgehend – sehr auf den Kochprozess ausgerichtet. Durch die Öffnung der Räume entstand ein großer, zentraler Lebensraum. Die Küche ist mit dem Wohnzimmer verschmolzen und hat sich so zum Zentrum der häuslichen Gemeinschaft entwickelt. Der Aspekt der familiären Kommunikation tritt immer mehr in den Vorder- und das Kochen als rein produktiver Akt in den Hintergrund. Daher sprechen wir vom Lebensraum Küche, von einem Raum, der mit Leben gefüllt ist. Leben bedeutet Kommunikation und Kochen ist ein kommunikativer Akt.
Welche archaischen Bedürfnisse stecken dahinter?
Eigentlich war die Feuerstelle, also der Ort, an dem gekocht wurde, von jeher das Zentrum der häuslichen Gemeinschaft. Das heißt, Gemeinschaften haben sich immer um die Feuerstelle herum versammelt. Denken Sie an die Beduinen in der Wüste, noch lange bevor die Baumeister Mauern hochgezogen haben. Die Feuerstelle war die Essenz der Gemeinschaft, die Sicherheit und Zugehörigkeit symbolisiert hat. In gewisser Weise lässt sich das auf die heutige Zeit übertragen. Die Küche ist nicht nur Stauraum, sondern hat eine tragende Bedeutung als Zentrum der häuslichen Gemeinschaft.
Inwiefern wird bulthaup dem gerecht?
Wir arbeiten mit sehr offenen Planungen, in der Regel ein Dreiklang aus Wandzeile, Insel und dem eigentlichen Tisch. Diese horizontalen Ebenen beginnen an der Wand und setzen sich in den Raum hinein fort. Sie beinhalten die Gegenpole Feuer und Wasser. Entweder ist das Feuer an der Wand und das Wasser auf der Insel oder umgekehrt. Wir sehen die Küche als Teil der Architektur. Sie ist nicht nur irgendein Möbel. Die Küche ist in gewisser Weise das Energiefeld, das einen Lebensraum ausmacht.
Mit welchen Materialien erzeugen Sie Wohnlichkeit?
Wir arbeiten sehr viel mit Holz, sei es Massivholz oder Furnier, außerdem mit Hochglanz- oder Silklack, aber auch mit Laminat. Wenn Sie an junge Familien mit Kindern denken, dann sind Fronten aus Laminat sehr resistent und sehr Bobbycar-tauglich. Aber bulthaup wird vor allem dann greifbar, wenn es um die Kombination von Metall mit Holz oder Lack geht, also Aluminiumfronten oder Edelstahlarbeitsplatten im Nassbereich und um den Herd. Mit wunderbar fugenlosen Übergängen zu Laminat- und Lackelementen muss eine Küche nicht monochrom erscheinen, sondern kann die jeweilige Funktion – wie Feuer- oder Wasserstelle – hervorheben.
Mit den Möbeln aus der Serie bulthaup b Solitaire erweitern Sie die Küche in Richtung Esszimmer. Warum ist Ihnen das wichtig?
Diese Möbel heben die Barriere zwischen dem Wohn- und dem Kochraum auf. Als Solitäre sind sie wunderbar geeignet für biografische Gegenstände, Dinge, die einem Menschen etwas bedeuten. In meiner Küche finden Sie zum Beispiel einen alten Sessel aus Studententagen, der mich schon lange begleitet, aber auch Bilder meines Sohnes. Ein Raum entwickelt dann eine Atmosphäre, wenn er gefüllt ist mit Dingen, die etwas über mich als Mensch aussagen. Diese Dinge haben eine Seele, eine Geschichte. Minimalismus kann falsch verstanden werden, nämlich im Sinne von Sterilität. Wie soll sich ein Mensch in einem solchen Umfeld wohlfühlen? Natürlich muss das Produkt perfekt sein, aber kein Mensch fühlt sich wohl in einem sterilen Museum. Wir kämpfen dafür, dass wir eben diese Sterilität aus den Köpfen der Menschen rausbekommen. Eine Küche ist der Raum, in dem es warm und menschlich ist.
Zahlt diese Überzeugung auch auf das historische Verständnis der Küche als Werkbank von bulthaup ein?
Dieser Gedanke geht auf Otl Aicher zurück und ist sehr stark verankert in unserer DNA. Hinter dem Objekt der Werkbank steht die Werkstatt. Darin wird mit den Händen gearbeitet. Ob beim Kochen oder auch bei der Zubereitung des Kaffees: Die Dinge, die ich dafür benötige, müssen sichtbar und greifbar sein. Gerade jetzt, im Zeitalter der Digitalisierung, der künstlichen Intelligenz, der Touchscreens und des damit verbundenen Kontrollverlusts, haben die Menschen das Bedürfnis, wieder mit den Händen zu arbeiten – ob draußen im Garten, im Gemüsebeet oder im Küchenraum. Das Thema ist also für uns sehr zeitgemäß.
bulthaup ist auch in Asien oder den USA sehr gefragt. Wie unterscheiden sich diese Küchenkulturen von der europäischen?
In Amerika gibt es sehr viele Objekte, in denen der Lebensraum, ja sogar das ganze Haus, um die Küche herum geplant ist. Sie steht im Mittelpunkt eines sozialen Raums, in dem ich Freunde bewirte, und geht sehr stark in die Inneneinrichtung. In Asien ist es etwas anders. Dort gibt es immer eine „Wet Kitchen“, also eine kleine, eher versteckte Küchenzeile, wo meistens eine Hausangestellte richtig kocht. Und dann gibt es die sogenannte „Dry Kitchen“. Das ist die Küche zum Repräsentieren im Stil typisch europäischer Küchen mit Rieseninsel und Barplatte, wo man allerhöchstens mal gemeinsam ein Glas Wein trinkt oder Fingerfood hinstellt. Mit unserem Produkt und dem damit verbundenen Systemgedanken können wir diese unterschiedlichen Küchenkulturen bedienen. Jede Küche wird hier bei uns in Niederbayern produziert und dann in 52 Länder verschifft.
Wie ist der System-Gedanke bei bulthaup zu verstehen?
Das ist vergleichbar mit einem Baukasten. Dahinter steckt eine Planungslogik, mit der Sie jeden beliebigen Raum einrichten können. Die Küche wird passgenau in die architektonische Hülle eingeplant. Dadurch, dass es keine festgelegten Höhen und Breiten gibt, kann das System auf diese unterschiedlichen Anforderungen reagieren.
Lassen sich bulthaup-Küchen dennoch vererben?
Das geht. Die Küche hängt an einem Gerüst. Das lässt sich ab- und wieder neu aufbauen und anpassen an neue Grundrisse. Unsere Materialien und Farben sind so zeitlos, dass die heutigen mit denen harmonieren, die wir schon vor dreißig, vierzig oder fünfzig Jahren hatten. Bei unserem Farbkanon achten wir auf Zeitlosigkeit und folgen keinen modischen Trends. So sind unsere Küchen zeitlos, vererbbar und damit enkelfähig.
FOTOGRAFIE Julius Hirtzberger
Julius Hirtzberger

bulthaup
bulthaup Küchen und Lebensräume sind Orte der Begegnung, des Zusammentreffens und der Kommunikation. Um diese Orte zu schaffen, steht der Mensch im Zentrum aller Überlegungen. Wir fertigen unsere Produkte mit Liebe zum Detail und einer Leidenschaft für Materialität. Es entstehen Küchen- und Raumsysteme, die das Leben bereichern.
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