Menschen

Küchenmöbel anders konstruieren

Tobias Petri im Gespräch über das neue Küchensystem J*GAST

Ganz ohne Korpus: Küchenmöbel von J*GAST aus München basieren auf einem Rahmensystem. Hinter der Idee stehen die beiden Holzrausch-Gründer Tobias Petri und Sven Petzold sowie die Designer*innen Ana Relvão, Gerhardt Kellermann und Jan Heinzelmann. Wir trafen Petri zum Gespräch im J*GAST-Showroom in München.

von Jasmin Jouhar, 20.03.2023

Im Schaufenster schwebt ein unscheinbarer Rahmen, aufgehängt an dünnen Schnüren. Er ist aus vier Eichenholz-Profilen gefügt, darin sind Nuten eingefräst. Tobias Petri sieht in dieser einfachen Konstruktion nichts Geringeres als die Neuerfindung der Einbauküche. Petri führt zusammen mit Sven Petzold das Unternehmen Holzrausch, das Schreinerküchen und andere Einbauten plant und fertigt. Auf der Luxusskala der Innenarchitektur ist Holzrausch weit oben angesiedelt. Nun wollen Petri und Petzold den Markt für hochwertige, aber standardisierte Einbauküchen erobern. Unter dem Namen J*GAST haben sie gemeinsam mit den Designer*innen Ana Relvão, Gerhardt Kellermann und Jan Heinzelmann ein modulares Küchenmöbel-System entwickelt, das ohne die üblichen Korpusse auskommt. Im Zentrum  steht der Rahmen, der das Rückgrat der Möbel bildet.

Herr Petri, warum haben Sie mit J*GAST ein neues System für Einbauküchen entwickelt?
Die Idee entstand aus dem Bedarf heraus. Holzrausch kommt von der Sonderanfertigung, die Küchen sind in der Beratung und Planung, in der Herstellung und Montage sehr aufwändig und ganz individuell. Als Anfragen kamen, ob wir auch größere Stückzahlen liefern können, war klar: Bei hundert Küchen für ein Bauträger-Projekt kann man so einen Aufwand nicht betreiben. Daraufhin haben wir uns mit dem Küchenmarkt beschäftigt – was gibt es überhaupt? Der Markt in Deutschland ist sehr groß, aber eigentlich bieten die Premiumhersteller alle etwas Ähnliches an.

Was meinen Sie damit genau?
Jedes Unternehmen hat vielleicht eine andere Oberfläche, eine andere Arbeitsplatte, eine andere Schubladeneinteilung im Programm. Aber das Grundprinzip der Einbauküchen ist immer gleich: Es gibt Korpusse – mit Fronten, Beschlägen, Schubladen – und die werden wie Boxen aneinandergereiht. Wie wir das bei Holzrausch auch machen. Mit J*GAST wollten wir etwas Neues entwickeln, das Küchenmöbel anders konstruieren. J*GAST basiert auf einem Rahmen. In diesen Rahmen kann man Böden und Seitenteile einstecken. Dazu kommen noch Fronten und die Arbeitsplatte. Dadurch vermeiden wir die Dopplungen, wie sie sich bei der Aneinanderreihung von Korpussen ergeben. Dabei stoßen je zwei Seitenteile aneinander, eigentlich eine Materialverschwendung. Mit J*GAST sparen wir etwa die Hälfte an Material ein. Der Rahmen besteht aus Massivholz, die Seitenteile und Böden aus mit Echtholz-Furnier belegten MDF-Platten.

Wie kamen Sie auf die Idee mit dem Rahmen als Rückgrat des Systems?
Auf die Idee kamen Gerry, Ana und Jan, als Produktdesigner*innen. Es hat bestimmt ein Jahr gedauert, bis mein Partner Sven und ich überzeugt waren. Bis wir verstanden haben, wie viele Möglichkeiten das System bietet, Küchen anders zu gestalten. Gemeinsam haben wir ein paar Prototypen in unserer Werkstatt selbst zusammengebaut – um herauszufinden, ob die Idee wirklich funktioniert.

Beim Rundgang durch den weitläufigen Showroom im Münchner Glockenbachviertel führt Tobias Petri stolz das System vor. Sichtlich viel Freude bereiten ihm die Rückwände der Küchenmöbel, die sich dank der Kugelbeschläge im Rahmen beinahe mühelos rein- und rausnehmen lassen – begleitet von einem metallischen Klick. Die Vorderseite des J*GAST-Systems wird von einem Balken aus Massivholz zusammengehalten, der auf den Seitenteilen aufliegt und zugleich die Arbeitsplatte trägt. Die Fronten schlagen daran an. Eine in den Balken gefräste Vertiefung dient als Griffmulde. Die komplette Konstruktion aus rückwärtigem Rahmen, den eingesteckten Elementen, Fronten und Arbeitsplatte steht frei und muss nicht an einer Wand fixiert werden.

Wie viel Standard und wie viel Individualisierung steckt in dem System?
Die Länge des Rahmens richtet sich nach den Gegebenheiten des Aufstellorts. Dem System liegt ein Raster zugrunde, die Küchen können in Höhe, Breite und Tiefe angepasst werden. Der Vorteil: Wir können die Breite der Fronten individuell skalieren. Deshalb brauchen wir keine Blenden, um die Küche an die Maße des Raums anzupassen.

Der Rahmen ist also eine Maßanfertigung. Die anderen Elemente nehmen Sie aus dem Baukasten des Systems?
Genau. Deshalb ist eine J*GAST-Küche auch nicht so individualisierbar wie eine Schreinerküche von Holzrausch. Bei J*GAST gibt es beispielsweise standardisierte Plattendicken. Und wir haben eine Auswahl von Materialien und Farben vordefiniert, die wir gerne verwenden. Möglichst Materialien hier aus der Region, keine Natursteine aus China oder Afrika. Was viele überzeugt: Man spürt die Qualität, wie bei einer Schreinerarbeit. Der Rahmen besteht aus massiver Esche oder Eiche. Die Arbeitsplatten fertigen wir aus heimischen Natursteinen wie Muschelkalk, aus Terrazzo oder aus dem Schichtstoff Fenix.

Welche Vorteile sehen Sie noch?
Eine J*GAST-Küche kann als Flat-Pack, also flach zusammengelegt, verschickt werden. Damit ist das Transportvolumen viel geringer als bei einer herkömmlichen Korpusküche – Korpusse werden normalerweise als Ganzes ausgeliefert.

Wo lassen Sie die Küchen fertigen?
Die Küchen werden in unserer Produktion in der Slowakei gefertigt. Das System ist für große Stückzahlen konzipiert, wir können die Produktion bei Bedarf entsprechend hochskalieren. Das Material liegt auf Lager, das geht bei komplett individuellen Anfertigungen nicht. Die Profile für den Rahmen kann man vorfräsen.

Und wie funktioniert die Arbeit im Fünfer-Kollektiv?
Wichtig sind die Kompetenzen, die jeder mitbringt. Sven und ich sind beide gelernte Schreinermeister, wir kommen aus dem Handwerk. Bei Holzrausch sind wir zwar stark in die Entwurfsprozesse eingebunden, aber immer mit dem Blick durch die Schreinerbrille. Die anderen drei kommen aus dem Industriedesign. Ana und Gerry haben bereits viel im Küchenbereich gearbeitet. Jan kennt sich sehr gut im Möbeldesign aus. Bei J*GAST konnten wir diese Kompetenzen zusammenbringen. So sieht auch das Ergebnis aus: Es ist sehr holzlastig, es hat feine, handwerkliche Details. Aber an die Themen Skalierbarkeit und Produktion wären Sven und ich ganz anders herangegangen als die drei Designer*innen.

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