Menschen

Robert Stadler

von Jasmin Jouhar, 15.11.2012


Kunst oder doch Design? Robert Stadler ist einer der Gestalter, bei denen sich die viel debattierte Frage automatisch stellt. Aber obwohl der 1966 in Wien geborene, in Paris lebende Stadler in Galerien ausstellt und limitierte Editionen produziert, sieht er sich selbst als Designer. Dass er auch mit den engen Grenzen zurechtkommt, die Auftragsarbeiten bisweilen setzen, zeigt die Restaurantkette Corso. Deren Interieurs gestaltet er für den Pariser Gastronomen Thierry Costes. Gerade ist Corso Nr. 5 in Planung. In den Restaurants nehmen die Gäste auf einem von Stadler entworfenen Holzstuhl Platz, den der Möbelhersteller Thonet gerade unter dem Kürzel 107 auf den Markt gebracht hat. Wir saßen mit Robert Stadler auf fabrikneuen 107ern am Thonet-Stand der diesjährigen Orgatec und sprachen mit ihm über den Preis von Stühlen, das Kaffeehaus als Zuhause und warum der Kauf des ersten Sofas ein kritischer Moment im Leben ist.
 

Herr Stadler, wie kam die Zusammenarbeit mit Thonet zustande?


Den Kontakt zu Thonet hat Thierry Costes hergestellt. Er kannte Thonet bereits von einem anderen Auftrag für eine Sonderanfertigung und wollte für das Restaurant Corso gern eine Variation des Kaffeehausstuhls Nr. 14 haben [Thonet vertreibt den Stuhl heute unter dem Namen 214, Anm. d. Red.].

Zu diesem Zeitpunkt existierte aber der Entwurf für den Stuhl 107 noch nicht …

Nein. Die Idee von Thierry Costes war ja nicht, einen völlig neuen Stuhl zu entwerfen. Ich wollte aber von Anfang an mehr [lacht]. Ich bin zu Thonet nach Frankenberg gefahren, habe mich mit den Produktionstechniken vertraut gemacht und dabei entdeckt, dass der 14er nach wie vor auf sehr handwerkliche Weise hergestellt wird, trotz seines Erfolges, trotz seiner millionenfachen Verkaufszahlen. Das hat mich überrascht. Dadurch ist er auch ein relativ teurer Stuhl, was ja in gewissem Widerspruch steht zu seiner Geschichte. So habe ich mich gefragt, wie ein Bistro-Stuhl aussehen kann, der einerseits an die Tradition des 14ers anknüpft, aber andererseits mit heutigen Technologien gefertigt wird und kostengünstiger ist.

Die Produktion des 107 ist praktisch vollkommen automatisiert.

Na ja, fast vollkommen. Beim Möbelbau gibt es immer noch einige handwerkliche Bereiche, auch in der industrialisierten Produktion. Aber das große Rückenteil des Stuhls wird automatisiert hergestellt. Mir ging es darum, die Produktion dieses Teils zu vereinfachen, denn das macht die Herstellung des 14ers so aufwändig.

Und wie beeinflusst das die Verarbeitungs- und Materialqualität des Stuhls? Ist der 107 ähnlich hochwertig wie der Klassiker?
  
Es ist nach wie vor ein Holzstuhl, lediglich in einer anderen Technik hergestellt: Das Holz wird nicht gebogen, sondern gefräst. Aber Haltbarkeit und Qualität des Stuhls stehen außer Frage: Thonet kann das und muss das auch machen. Das wird von ihnen erwartet.

Sie selbst sprechen von ihrem Entwurf als einem ganz neuen Stuhl. Er sei nicht lediglich eine Variation des 14er. Was ist daran, abgesehen von der Herstellungsweise, neu?

Er ist insofern neu, als dass ich ihn ganz neu entwickelt habe und nicht eine Intervention am 14er-Stuhl vorgenommen habe. Er ist kein Statement zum 14er, er ist eine Neuentwicklung mit dem 14er als Ausgangspunkt. Wenn Sie die Augen zusammenkneifen und den Stuhl von vorne anschauen, sehen Sie, dass die Silhouette genau vom 14er übernommen ist. Ein wichtiges Stichwort für den Stuhl ist Vereinfachung: Wie kann man die Kurve im Rückenteil des 14ers durch eine Grade vereinfachen? Indem ich die Tangenten zu dieser Kurve gezogen habe, ist das fragmentierte Rückenteil entstanden. Und dadurch auch das Dreieck, das den Stuhl besonders stabil macht. Wichtig für einen Kaffeehausstuhl!

Macht es den Stuhl visuell wirklich einfacher, die Kurve durch Geraden zu ersetzen? Ist nicht doch die Kurve einfacher, eleganter? Eine Linie, die alles in sich vereint?

Das müssen Sie entscheiden. Aber das Dreieck ermöglicht es, den zweiten Reifen, den der 14er zur Aussteifung der Beine braucht, wegzulassen. Dadurch wirkt der Stuhl in der Seitenansicht viel leichter.

Sie haben bereits gesagt, dass ein Stuhl für Cafés und Restaurants viel aushalten muss. Was für Qualitäten muss er noch haben?

Es war mir von Anfang an wichtig, dass der Stuhl auch in einfachen Bistros funktioniert, an Orten, wo man nicht unbedingt Design erwartet. Diese Idee steht auch hinter den Restaurants, die ich gestalte, was für Costes eigentlich untypisch ist. Costes ist eher für elitäre Designorte bekannt. Es sollte ein normaler Stuhl werden und kein Design-Statement.

Mal abgesehen vom Stuhl, welche Qualitäten sollten die Interieurs von Kaffeehäusern oder Restaurants haben?

Schwer zu sagen, ich bin ja eigentlich kein Interieur-Designer – der Auftrag für Corso hat sich zufällig ergeben. Es war zunächst auch gar nicht als Kette geplant. Wenn man ein Restaurant eröffnet, ist meistens alles neu, und das sehe ich oft als Problem. Denn die Kaffeehäuser oder Bistros, die man gern hat, da ist meistens die Zeit darüber gegangen. Das kann man nicht einfach so erfinden.

Und wie versuchen Sie, sich diesem Ideal anzunähern?

Ich versuche, Design in einer Mini-Dosis zu injizieren, fast wie Homöopathie. Damit bloß keine Design-Karikatur entsteht.

Als Österreicher kommt man um die Kaffeehauskultur kaum herum.


Klar, damit bin ich aufgewachsen. Ich habe viele, viele Stunden in Kaffeehäusern verbracht. Angefangen vom Schule schwänzen und Billard spielen … Nach dem Studium bin ich noch einmal für drei Jahre nach Wien zurückgekehrt. Da habe ich manchen Leuten die Telefonnummer vom Café Prückel gegeben, wo ich öfter war als Zuhause oder im Büro. Als Wiener hat man das intus.

Tradition spielt in Ihrer Arbeit eine gewisse Rolle – Sie haben beispielsweise bereits mehrmals bei Projekten die Technik des Kapitonierens von Polstern eingesetzt.

Das ist eine Geschichte mit mehreren Kapiteln. Das erste Projekt, das ich mit dieser Technik gemacht habe, heißt Pools & Poof!. Es sollte irgendwo in der Mitte zwischen Installation und Möbel schweben. Ich wollte zeigen, wie langsam sich Mobiliar entwickelt und wie langsam unsere Art, eine Wohnung zu bewohnen. Ein Sofa ist für mich ein Botschafter der Bourgeoisie. Es ist daher ein kritischer Moment im Leben, wenn man sich das erste Sofa kauft. Vorher, als Schüler und Student, improvisiert man etwas mit Paletten und Polstern. Und irgendwann kommt dann das erste Sofa.

Die Technik des Kapitonierens steht in Ihren Arbeiten stellvertretend für das bourgeoise Sofa.

Ja. In meiner Arbeit löst sich das Sofa auf. Teilweise ist das Kanapee noch vorhanden, und teilweise sind es nur noch gepolsterte Pfützen auf dem Boden. Das langsame Verschwinden traditioneller Wohnformen – wie schnell sich im Vergleich dazu die Elektronik entwickelt, die Telefone und Computer!

Kann man überhaupt neue Typologien im Wohnbereich erfinden? Oder variiert man lediglich?

Erfinden ist natürlich ein großes Wort. Wenn man für den Markt arbeitet, geht es wohl eher um Weiterentwicklung. Meinen Durst auf Erfindungen, auf Arbeiten mit Manifest-Charakter stille ich eher mit Installationen, die ich in Ausstellungen zeige. Dabei ist mir wichtig, dass die Objekte einen Doppel-Status haben: Dass sie etwas erzählen, wie etwa Pools & Poof!, aber dabei nicht nur Skulptur sind, sondern auch als Möbel funktionieren. Dass ich mich reinsetzen kann. Das interessiert mich: ein Objekt, das weder ausschließlich Skulptur noch ausschließlich Möbel ist.

Die Dinge, die Sie in Ausstellungen ausprobieren, finden die denn auch ihren Weg zu Herstellern, auf den Markt?

Die Ausstellungsobjekte gehen nicht direkt in Serie. Aber was mir schon passiert ist: Hersteller, die eine meiner Ausstellungen gesehen haben, wollen mit mir zusammen an einem neuen Möbel arbeiten. Hersteller, die einen konzeptuellen Zugang schätzen. Das kann manchmal schwierig sein: Die Ausstellungsobjekte habe ich in absoluter Freiheit gemacht. In der Serienproduktion ist man viel weniger frei.

Aber gibt es nicht Designer, die gerade diese Begrenzungen als Herausforderung suchen.

Das habe ich auch schon oft gehört, wenn ich mit befreundeten Designern spreche. Dann denke ich mir, dass ich wohl nicht der typische Designer bin. Ich arbeite gern in einem Kontext mit bestimmten Bedingungen. Aber ich möchte nicht nur so arbeiten. Mir ist der freie Bereich sehr wichtig und ich gehe an solche Projekte eher wie ein Künstler heran, obwohl ich natürlich Designer bin.

Künstler suchen sich doch auch Begrenzungen.

Bei Künstlern sind es aber konzeptuelle Grenzen, im Designbereich dagegen pragmatische.

Herr Stadler, vielen Dank für das Gespräch.
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Links

Robert Stadler

www.robertstadler.net

Thonet

www.thonet.de

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