Von Einspännern und Fiakern
„Das Kaffeehaus ist sozusagen eine Wohnung, die man nicht haben muss, wenn man das Kaffeehaus hat“, bemerkte der „rasende Reporter“ Egon Erwin Kisch. Recht hat er. Denken wir an Kaffeehäuser, dann wohl zuallererst an Mußestunden mit starkem Kaffee, allerlei süße Köstlichkeiten, geistreiche Gespräche oder fesselnden Lesestoff.
Und da kann es schon mal sein, dass der Blick etwas neidisch Richtung, Wien, Paris, Prag oder Budapest schweift. Denn dies sind die klassischen Kaffeehaus-Städte. Aber selbst dort haben inzwischen amerikanische Kaffee-Fast-Food-Ketten Einzug gehalten und ehrwürdige Kaffeehäuser in der Gunst des zumeist jüngeren Publikums verdrängt. Doch können diese mit altem Glanz, Pomp und Gloria nicht mithalten. Fehlt ihnen doch das besondere Flair und die Einzigartigkeit.
Klatsch und Tratsch
Um die Jahrhundertwende tummelten sich führende Intellektuelle wie Karl Kraus, Robert Musil, Gustav Klimt oder Arthur Schnitzler in den Kaffeehäusern und diskutierten über Gott und die Welt, so dass sogar ein eigenes literarisches Genre entstand, die Kaffeehausliteratur. Kurios Anmutendes wissen die alten Räume zu berichten: Manch ein Student nutzte das Kaffeehaus als Wärmestube, sparte er doch zum Preis eines Kaffees die Heizkosten und bekam die Neuigkeiten, den Klatsch und Tratsch der Stadt gratis mitgeliefert. Diente die Institution Kaffeehaus doch ehemals als Informationsbörse – die Zeiten von Telefon, Internet und TV lagen noch in weiter Ferne.
Interieurs: von schwülstig-plüschig bis ornamentlos-modern
Die Interieurs der Kaffeehäuser sind so verschieden wie ihre Besitzer und Besucher. Und, was besonders schön ist: Viele Einrichtungen der Jahrhundertwende einschließlich der Möblierung und üppigen Dekore sind noch im Originalzustand erhalten und tragen maßgeblich zum Reiz mancher Städte wie Wien oder Budapest bei. Hier bestimmen lederbezogene Eckbänke, ornamentierte, verspiegelte oder bemalte Wandgestaltungen, gläserne Kuchenvitrinen, holzvertäfelte Räume und lange Tresen das Bild.
Und da darf einer nicht fehlen: der berühmte Kaffeehaus-Stuhl der Firma Thonet. Hier nahmen die Gäste Platz zum Reflektieren, Diskutieren und Argumentieren. Das Revolutionäre an diesen Sitzmöbeln war die Möglichkeit der Massenproduktion, denn bis dahin wurden Möbel als handwerkliche Einzelstücke hergestellt. Diese Massenproduktion wurde durch eine spezielle Fertigungsweise ermöglicht: Mit dem sogenannten Bugholzverfahren werden noch heute massive Hölzer gebogen. So ist die charakteristische Form des Thonet-Kaffeehaus-Stuhls „Consumsessel Nr. 14“ entstanden. Der 1859 von Michael Thonet entworfene Stuhl kommt derzeit in Buche in verschiedenen gebeizten Farbtönen mit einem Sitz aus Rohrgeflecht daher. Dazu passend nahm der Gast an meist rund gestalteten Marmortischen mit verschnörkelten Eisenfüßen Platz.
Einige Cafés wurden von berühmten Architekten ihrer Zeit ausgestattet: So entwarf Adolf Loos 1899 die Inneneinrichtung des Café Museum am Wiener Karlsplatz. Dort bestimmen klare Formen und edle Materialien den Stil, auf jedwede Ausschmückung verzichtete er getreu des Mottos seines 1908 erschienenen Aufsatzes „Ornament und Verbrechen“. Darin hatte er jede Verzierung von Gebrauchsgegenständen als überflüssig bezeichnet. Da sich die in dieser Zeit ausgestatten Kaffeehäuser sonst aber am üppigen „Ringstraßen-Stil“ orientierten, fungierte das Café Museum bald unter dem Spitznamen „Café Nihilismus“. 2003 wurde das Interieur des Kaffeehauses wieder in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt. Und so erstrahlen die Wände heute wieder in den ursprünglichen Farben Blass- und Dunkelgrün, die Wandverkleidung in Mahagoni die buchenrot gebeizten Tische und Stühle wurden von Thonet nach alten Vorlagen rekonstruiert.
Herr Ober in Frack und Fliege
Der Kellner, in Wien als „Herr Ober“ tituliert, ist dort nicht leger in Jeans und Hemd gekleidet, sondern zeigt noch Stilbewusstsein in Frack und Fliege. Auf blankpolierten Silbertabletts werden in den altehrwürdigen Kaffeehäusern der Stadt die Kaffee-Köstlichkeiten serviert. Der mit Staubzucker und Kirschwasser erhitzte doppelte Espresso mit Schlagobers als „Fiaker“ ebenso wie der „Einspänner“ genannte, doppelte Mokka mit Schlagobers, sprich Schlagsahne. Schlichten Filterkaffee gibt es hier nicht, mindestens ein „Brauner“, ein Espresso mit Milch, muss es schon sein. Dazu wird traditionell ein Glas kaltes Leitungswasser gereicht. In Kaffeehäusern werden nicht nur Kuchen wie Sachertorte, Gugelhupf und Apfelstrudel angeboten, sondern auch herzhafte Leckereien wie Frankfurter Würstchen oder Gulasch. Und manchmal wird der Gast beim Verzehren der Speisen und diverser Weine, Schnäpse und Liköre gar mit mehr oder weniger gelungen Darbietungen von Klaviermusik beglückt.
„Sie haben’s gut, Sie können ins Kaffeehaus gehen!“
(Kaiser Franz Josef I.)
Hawelka, Landtmann, Demel, Florian, de la Paix oder Sluka sind wohlklingende Namen in den Ohren eines jeden Kaffeehaus-Liebhabers. Das 1858 gegründete Café Gerbeaud in Budapest war so berühmt, dass Kaiserin Sissi sich von dort das Frühstück liefern ließ. Diese Cafés entstanden Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts in den Großstädten Europas. Doch bereits um 1820 gab es in Wien 150 Kaffeesieder, 80 Jahre später waren es schon 600. Das damals neuartige und luxuriöse Getränk Kaffee – „Türkentrank“ genannt – fand reißenden Absatz. Während das erste nachweisbare Kaffeehaus 1554 in Istanbul eröffnet wurde, brachten die Venezianer den Kaffee im 17. Jahrhundert nach Italien. 1720 wurde in der Stadt am Canal Grande das Caffè Florian eröffnet. Und was könnte schöner sein als an einem kalten Januartag seine gefrorenen Hände an einer dickflüssigen Tasse Schokolade zu erwärmen? Blick auf die Piazza di San Marco, wunderschöne Innendekore, pompöse Kronleuchter im – zugegebenermaßen – horrenden Preis inbegriffen.
Wer mehr über die Kulturgeschichte des Wiener Kaffeehauses erfahren möchte, dem sei ein reich bebildertes kleines Buch empfohlen, in dem es sich gut bei einer Portion Buchteln im Café Hawelka schmökern lässt:
Birgit Schwaner:
Das Wiener Kaffeehaus. Legende, Kultur, Atmosphäre.
Wien (Pichler Verlag) 2007.
17,6 x 12,6 x 2 cm; 14, 90 Euro.
ISBN: 978-3854314356
FOTOGRAFIE Pichler Verlag
Pichler Verlag
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