Küche und Wohnkultur
Die Ausstellung Kitchen Culture in der Münchener Pinakothek der Moderne
Wie wir kochen, zeigt wer wir sind: Die neue Ausstellung „Kitchen Culture – Von der ersten Einbauküche bis zur individuell konfigurierten Küche“ der Pinakothek der Moderne in München präsentiert acht wegweisende Entwürfe aus hundert Jahren, von Le Corbusier, Charlotte Perriand oder Margarete Schütte-Lihotzky. Obendrein offenbaren die Modelle gesellschaftliche Trends ihrer Zeit.
Gleich das erste Modell der neuen Ausstellung zeigt einen echten Meilenstein der Küchengestaltung: eine originale Frankfurter Küche aus der Feder der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky (1897 - 2000). „Es handelt sich um eine frühe Version dieses Modells, erkennbar an den charakteristischen, hier noch tief gesetzten Schütten im Unterschrank“, sagt Josef Straßer, Kurator, Designexperte und stellvertretender Direktor der Neuen Sammlung. „Als erste Frau überhaupt studierte Schütte-Lihotzky Architektur in Wien. Von ihr stammt die Idee dieser Küche im Sinne rationalisierter Hauswirtschaft. Doch selbst gekocht hat sie nicht gern, hat es auch nicht emotional betrachtet. Sie hatte selbst keine Kinder – erst in späteren Versionen wurden die Schübe weiter oben integriert, unerreichbar für Kinderhände“, ergänzt die Kuratorin Xenia Riemann-Tyroller.
Optimierung der Arbeitsabläufe
Der 1926 entwickelte Prototyp und Urtyp der modernen Einbauküche orientierte sich an der Speisewagenküche und sollte das „Labor einer Hausfrau“ sein, entwickelt auf Grundlagen der Schritt- und Griffersparnis bei minimalem Raum, um Frauen die Arbeit zu erleichtern. Rund 10.000 Exemplare dieser Küche wurden für den Siedlungsbau Ernst May in Frankfurt seriell umgesetzt. „Das Tolle ist, was sich Schütte-Lihotzky alles überlegte: optimierte Arbeitsabläufe, entstanden durch ein Fadenmodell, um die Wege zu messen. So konnte die Zeit in der Küche reduziert werden, denn in den 1920er-Jahren waren viele Frauen berufstätig. Auch das fortschreitende Wissen um Hygiene bildet sich hier ab, das zeigt die Arbeitsfläche mit Schublade für Abfall“, sagt Riemann-Tyroller. „Und dazu das Bügelbrett zum Herunterklappen, die sogenannte Kochkiste mit zwei Wärmebehältern zum Fertiggaren, eine Deckenschiene für flexible Beleuchtung, alles vorgefertigt auf einer Grundfläche von durchschnittlich 6,5 Quadratmetern“, ergänzt Josef Straßer. Vor dem Hintergrund von Wohnungsnot, Wirtschaftskrise und Armut antwortete das durchdachte, ergonomisch durchdeklinierte Modell auf die Lebensbedingungen der Weimarer Zeit.
Kochen mit Unterhaltungswert
Acht Küchen zeigt die Ausstellung Kitchen Culture nun seit dem 26. November, von insgesamt zwanzig Küchen aus dem Archiv der Neuen Sammlung, die mit 120.000 Exponaten so etwas wie das gestalterische Gedächtnis des Landes und eine der größten Designsammlungen weltweit ist. Der zeitliche Bogen spannt sich dabei von 1926 bis heute, wo das Kochen längst ein boomender Gesellschaftstrend mit Unterhaltungswert und allzeit „instagrammable“ geworden ist. Nun bereichern auch Männerküchen im Porsche-Design den Markt. „Wobei die Hauptarbeit noch immer zu 80 Prozent von Frauen und zu 20 Prozent von Männern übernommen wird“, wirft Kuratorin Riemann-Tyroller ein.
Zeitgemäße Feuerstellen
Gehen wir ein paar Schritte weiter zum nächsten Schaustück: Eine Kücheneinheit für die berühmte Unité d’Habitation in Marseille, 1947 von Le Corbusier als „Wohnmaschine“ entworfen, entstanden unter maßgeblichen Aspekten wie Effizienz und Wirtschaftlichkeit. Durchaus artverwandt mit der Frankfurter Version, so erweist sich auch die französische Ausgabe als hochfunktionelle Feuerstelle. „Auch hier steckt eine Frau dahinter und zwar Charlotte Perriand. Von ihr stammte die Idee, doch Le Corbusiers Name kam drunter. Das gesamte Konzept umfasste 330 Wohnungen, geplant als autarker Wohnblock mit Restaurants und Lebensmittelläden, entworfen wie eine ganze Stadt“, berichtet Josef Straßer und verweist auf zahlreiche Finessen und Details. Der Kühlschrank war noch nicht elektrisch, aber mit „Eiskasten“ versehen, hinzu kamen ein Dunstabzug, eine Durchreiche, abgeschrägte Seifenablagen und ein Farbkonzept in kräftigen Tönen. „Da die Apartments nur von einer Seite Licht erhielten, wurde die Theke niedriger angelegt, um Tageslichteinfall zu ermöglichen. Insgesamt ist diese Version nicht so in sich geschlossen, erlaubt dafür aber die Kommunikation mit Personen in anderen Wohnbereichen“, führt Straßer aus. Ein wichtiger Pluspunkt, der die Frau des Hauses aus der einstigen „Isolationshaft“ in die Gemeinschaft zurückholte.
Pastellfarbene DDR-Küche
So erwies sich auch Le Corbusiers Vorschlag als Lösung, um drängende Wohnfragen der Nachkriegszeit anzugehen. Wie alle gezeigten Küchen fungiert diese ebenfalls als Spiegel des jeweiligen Lebensstandards. Interessant dabei: Während in den 1950er-Jahren eher Elektrogeräte als Statussymbole dienten, die in der Ausstellung in einer eigenen Abteilung gezeigt werden, entwickelte sich peu à peu die Küche selbst zum Repräsentationsobjekt. Dem gegenüber steht beispielsweise das serielle Küchenmodul der Eschebach K21 (1956) von VEB Küchenmöbel Radeberg. Die fröhlich pastellfarben gehaltenen Schrankfronten der „DDR-Küche“ können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Entwurf mit seiner „etwas ärmeren Aufmachung aus Pressspanplatten und Resopal-Laminat“ für eine kommunistisch geprägte Gesellschaft steht.
Reif für die Insel
Einen deutlich anderen gestalterischen Duktus zeigt die von Arne Jacobsen geplante Küche für die Internationale Bauausstellung in Berlin im Jahr 1957. Zwar ebenfalls in der Nachkriegszeit entstanden, kommt das dänische Modell – exklusiv für Einfamilienhäuser entworfen – großzügiger und eleganter daher. Auch hier gibt es die typisch kurzen Wege, doch der frei hängende Dunstabzug und große Fensteröffnungen bewirken eine gewisse Leichtigkeit. Die Verbindung zu Standards von heute erschließen weitere Exponate wie die Werkbank, eine frei stehende Kochinsel aus Metall von bulthaup (1988). Sie gilt als größte Innovation seit der Frankfurter Küche. In der Coronazeit entstand die Erlkönig-Küche mit ihrer schwarzweißen Op-Art-Folie, die einen Küchenblock aus einem materialsparenden Rahmensystem umspannt. Dieser besitzt ein eigenes Patent, angemeldet von J*GAST. Noch nachhaltiger und materialsparender, weil auf das Allernötigste heruntergebrochen, beweist der Küchenbaum (1984) von Stefan Wewerka schlussendlich, wie Minimalismus, gewürzt mit einer kräftigen Prise Humor, als genial reduzierte Komplettlösung ebenfalls für ein gelungenes Dinner sorgen kann.