Menschen

Wut in Kreativität verwandelt

Interview mit der ukrainischen Gestalterin Victoria Yakusha

Victoria Yakusha ist eine Reisende. Sie pendelt zwischen Brüssel und der Ukraine, wo die Entwürfe ihres Designlabels Faina gefertigt werden. Bei einem Gespräch in Berlin hat sie uns erzählt, was die ukrainische Mentalität mit ihrem Erfolg zu tun hat und warum Amerika ihr wichtigster Absatzmarkt ist.

von Claudia Simone Hoff, 05.11.2025

Victoria Yakusha ist Anfang 40, vierfache Mutter und erfolgreiche Unternehmerin. Sie arbeitet international als Architektin, Interiordesignerin und als Gestalterin für ihr Label Faina, das im Collectible Design zu Hause ist. Gleich nach dem Studium gründete sie 2006 das eigene Studio Yakusha, da war sie gerade mal in ihren Zwanzigern. In der Ukraine sei das ganz normal, sagt sie. Yakusha scheint überzusprudeln vor Kreativität, Energie und Ehrgeiz. Außerdem ist sie eine offene, unprätentiöse und sympathische Gesprächspartnerin. Eine so entspannte Art würde man nicht unbedingt erwarten, wenn man bedenkt, dass sie ein Designbusiness mit 15 Mitarbeiter*innen führt – und zwar inmitten der Unwägbarkeiten und der Brutalität des Kriegs in der Ukraine.

 

Seit einigen Jahren wohnt Victoria Yakusha in Brüssel und betreibt in Antwerpen einen eigenen Showroom, in dem sie die Objekte von Faina zeigt – darunter Möbel, Leuchten und Accessoires, die durch eine ganz eigene Handschrift auffallen. Natürlich ist die Designerin noch immer eng verbunden mit der Ukraine. Dort sind ihre familiären und kulturellen Wurzeln. Und dort werden auch die Kollektionen von Faina gefertigt. Yakusha ist die wohl wichtigste Botschafterin ihres Landes, was das ukrainische Handwerk, seine Geschichte und Techniken betrifft. Gerade erst kuratierte sie eine Ausstellung zum Thema im Kunstgewerbemuseum in Kiew. Und sie nimmt regelmäßig an Veranstaltungen und Messen wie Alcova, Collectible und Design Miami teil.

Deine Entwürfe für Faina beziehen sich stark auf ukrainische Traditionen und sind auch in der Volkskunst verwurzelt. Hast Du Dich schon immer für das ukrainische Handwerk interessiert?
Nein, überhaupt nicht. Ich bin in der Stadt Dnipro in der zentralöstlichen Ukraine aufgewachsen, habe Russisch gesprochen und gedacht. Der sowjetische Einfluss war damals sehr groß und die ukrainische Kultur spielte keine Rolle. Doch meine Großeltern kamen aus einer anderen Region. Durch sie habe ich die ukrainische Volkskunst ein wenig näher kennengelernt. Die politischen Ereignisse von 2014 waren der Grund, warum ich begonnen habe, mich mit dem ukrainischen Handwerk und meinen Wurzeln zu beschäftigen.

 

Rund zehn Jahre später bist Du die Verkörperung ukrainischen Designs schlechthin.
Als ich begann, mich mit ukrainischem Design und der ukrainischen Kultur auseinanderzusetzen und sie zu unterstützen, änderte sich mein Stand in der Designszene schlagartig. Inzwischen kann man eigentlich in allem, was ich mache, kulturelle Bezüge zur Ukraine sehen – egal ob Architektur, Interior- oder Produktdesign.

Du hast Faina 2014 gegründet. Wie lange hat es gedauert, bis Du mit Deinen Entwürfen Geld verdient hast?
Fünf Jahre lang habe ich gar nichts damit verdient. Im Gegenteil: Ich habe sehr viel investiert für die Teilnahme an Ausstellungen und Messen. Ich konnte mir das nur leisten, weil meine Arbeit als Architektin genügend Geld eingebracht hat. Aber Faina war auch nicht als kommerzielles Projekt geplant. Ich wollte damit eine Geschichte erzählen – über Kultur, Design und Handwerk aus der Ukraine.

Du hast kürzlich in Berlin in der Ausstellung Crafting Community die Kollektion The Land of Light gezeigt, die ebenfalls in der ukrainischen Kultur verwurzelt ist. Welche Geschichte steckt dahinter?
Ich nenne die Kollektion „funktionale Kunst“, denn die mystischen Tiere sind so gestaltet, dass sie als Hocker und Bänke fungieren. Auf einer zweiten Ebene geht es jedoch um Licht – und damit meine ich das innere Licht. Die Kollektion ist 2022 entstanden, zu Beginn des Ukraine-Kriegs. In diesem dunklen und sehr schlimmen Moment ist mir klar geworden, dass man sich auf nichts mehr verlassen kann. Nicht auf seine Freunde, nicht auf seinen Ehemann, nicht auf die Regierung, nicht auf Geld. Alles zerbricht und nichts scheint mehr wichtig.

 

Wie hast Du es in dieser Situation geschafft, Deine Wut und Verzweiflung in etwas Kreatives umzuwandeln?
Als mein Haus in Bucha von russischen Panzern teilweise zerstört wurde – ich war glücklicherweise damals nicht dort, sondern in Brüssel – habe ich nur noch Hass gefühlt. Doch mir ist schnell bewusst geworden, dass dieser Hass gefährlich ist und mich innerlich zerstört. Und ich habe gesehen, dass es selbst in sehr dunklen Zeiten Licht gibt, beispielsweise in Form all der Freiwilligen, die in der Ukraine Hilfe für andere organisieren, sich gegenseitig unterstützen – auch nach über drei Jahren Krieg noch.

Ich hätte erwartet, dass sich in solch einer existenziellen Krise jeder auf sich selbst besinnen würde. Wie haben sich diese starken Zeichen von Solidarität auf Dich und Dein kreatives Schaffen ausgewirkt?
Du findest dein inneres Licht und beginnst, wie ein Projektor zu sein, der dir hilft, deinen Weg zu finden. Und wenn die anderen dich sehen, dann hilft dieses ganz kleine Licht. Dann weißt du, dass du nicht allein bist. Deshalb habe ich mich entschieden, die Kollektion The Land of Light zu entwerfen. Denn es geht um das Licht, um dieses mystische Wesen, das dir helfen kann, durch die Dunkelheit zu gehen. Es ist ein bisschen wie in einem Märchen (lacht).

 

Du arbeitest von Belgien aus mit Handwerker*innen in der Ukraine zusammen. Wie genau funktioniert das?
Ich fertige sehr detaillierte Zeichnungen und 3D-Modelle an. Außerdem fahre ich sehr oft in die Ukraine, um meine Mitarbeiter und die Handwerker zu treffen. Da meine Entwürfe aus verschiedenen Materialien und in verschiedenen Techniken gefertigt werden, arbeite ich mit vielen verschiedenen Handwerkern zusammen, die überall verstreut im Land sind – in der Umgebung von Kiew, Dnipro oder Lviv beispielsweise.

Es gibt also noch funktionierende Handwerksbetriebe in der Ukraine – trotz des Kriegs.
Ja, aber manchmal wird es zu gefährlich und die Handwerker müssen den Ort wechseln.

Du arbeitest als Architektin und Designerin, führst ein Unternehmen und erziehst zusammen mit Deinem Ehemann vier Kinder. Das hört sich nach einem gewaltigen Arbeitspensum an.
Ja, das stimmt (lacht). Aber in der Ukraine arbeitet man im Allgemeinen viel. Man ist sehr anpackend und effektiv – einen Nine-to-five-Job kennt man bei uns eher nicht. Auch ich bin sehr mit meinem Beruf verbunden und reise viel. Gerade arbeite ich parallel an verschiedenen größeren Projekten: Ich gestaltete das Interiordesign für ein Hotel in Südfrankreich und für den Showroom eines Schmucklabels in New York. Außerdem werde ich demnächst in Miami einen Faina-Showroom eröffnen, was ein sehr bürokratisches Prozedere ist (seufzt).

 

Die Vereinigten Staaten scheinen derzeit einer der interessantesten und vor allem lukrativsten Märkte für Interior- und Produktdesign zu sein. Stimmt das?
Amerika ist unser Hauptabsatzmarkt. In Europa sagen dir zwar immer alle, dass sie deine Entwürfe gut finden, kaufen aber nichts. Das betrifft auch Veranstaltungen und Messen wie Alcova in Mailand oder Collectible in Brüssel, die in meinem Fall eher der Vernetzung dienen. Die Amerikaner waren die ersten, die mich unterstützt und etwas gekauft haben.

Kommt das daher, dass man in den USA traditionell eher mit Interiordesigner*innen zusammenarbeitet als bei uns? Oder sind es die größeren Budgets?
Die Budgets sind definitiv größer als in Europa. Aber ich denke, dass die Amerikaner vor allem wagemutiger und schneller sind. Sie sind quasi gezwungen, es zu sein, da es dort keine sozialen Sicherheiten wie in Europa gibt. Wenn man bei uns arbeitslos wird, erhält man Unterstützung vom Staat. Das ist dort nicht der Fall.

 

Du bist nach Belgien gezogen, dann kam die Coronapandemie, dann begann der Krieg in der Ukraine. Möchtest Du irgendwann in Deine Heimat zurückkehren?
Ja, ich würde sehr gern in die Ukraine zurückkehren, mein Partner ebenso. Aber ich möchte nicht, dass meine Kinder ihren Schulunterricht in Bunkern verbringen müssen. Außerdem ist das Bildungsniveau dort gerade nicht sehr hoch, weil so viele Lehrer das Land verlassen haben, getötet wurden oder traumatisiert sind. Bildung ist sehr wichtig für mich – deshalb weiß ich nicht, wann wir zurückkehren können.

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Links

Victoria Yakusha

Interior Design & Architecture Studio

victoriayakusha.com

Ukraine-Special

Architektur, Design & Handwerk

www.baunetz-id.de

Crafting Community

www.baunetz-id.de

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