Welt aus Kork
Der New Yorker Architekt David Rockwell über das neue Potenzial eines alten Materials

Das Architektur- und Designbüro Rockwell Group präsentierte zusammen mit Cork Collective auf der Milan Design Week 2025 ein Interieur aus Kork – spektakulär, kunstvoll und nachhaltig. Im Interview spricht David Rockwell über die Idee hinter der „Casa Cork“. Er erklärt, warum das Material gestalterisch weit über seinen Öko-Ruf hinausgeht und wie das von ihm gegründete Cork Collective Kreislaufwirtschaft, soziales Engagement und Design in Einklang bringt.
Es war eine eindrucksvolle Atmosphäre, geprägt von Jugendstil-Ästhetik: Mit Casa Cork hatte das Architektur- und Designbüro Rockwell Group zur Milan Design Week 2025 ein visionäres Raumkonzept aus Kork inmitten des Brera-Viertels geschaffen. Mit Kork ausgekleidet und von runden Korkleuchten in warmes Licht getaucht, setzte bereits der Eingangsbereich einen stimmungsvollen Akzent. Die Gestaltung des gemusterten Korkbodens war inspiriert von den historischen Gehwegen Mailands. Das Entree führte in einen Raum mit einem sechs Meter hohen und 3D-geplotteten Korkeichenbaum im Zentrum.
Ausgestellt waren außerdem Collectibles aus Kork. Sie stammten von namhaften Designer*innen wie den Campana Brothers, Tom Dixon, Made in Situ by Noé Duchaufour-Lawrance, Maddalena Casadei oder Susana Godinho (Sugo Cork Rugs). Zudem waren die Arbeiten der zwölf Finalist*innen des ersten vom Cork Collective initiierten Designwettbewerbs für Studierende zu sehen. Casa Cork endete schließlich in einem Salon mit verschiedenen Sitzbereichen und Bar: Von den Tapeten bis hin zu den Möbeln, der Theke und sogar einem Kronleuchter war auch hier alles in Kork gehalten.
Herr Rockwell, lässt sich die Installation Casa Cork als Designkampagne für Kork interpretieren?
Wir verstehen Casa Cork als Call-to-Action. Kork führt in der Innenarchitektur bisher eher ein Nischendasein. Viele assoziieren den Rohstoff mit rustikalem Charme oder rein funktionalen Anwendungen. Dabei hat er enormes gestalterisches Potenzial. In Mailand wollten wir zeigen, wie ästhetisch und vielseitig Kork sein kann – nicht nur nachhaltig, sondern auch elegant. Dazu haben wir vor Ort auch Talks mit Tom Dixon, Yves Béhar, Deyan Sudjic oder Suchi Reddy organisiert. Ich hoffe, unser Projekt inspiriert andere, ihre Materialwahl neu zu denken und Innenarchitektur bewusster zu gestalten.
Wie sind Sie auf das Konzept gekommen?
Es ging uns darum, die gestalterische Vielfalt des Materials Kork aufzuzeigen und gleichzeitig einen Ort der Begegnung für die Design- und Hospitality-Community zu schaffen. Ausgehend von der umgebenden Architektur des Brera-Viertels haben wir ein Interieur aus Kork entwickelt, das vom Jugendstil inspiriert ist. Einfluss nahm aber auch das Chalet der Gräfin von Edla in Sintra, Portugal – ein eklektisches Bauwerk im alpinen Stil des 19. Jahrhunderts, bei dem Kork reichhaltig als dekoratives Element eingesetzt wurde. Die Außenfenster, Balkone und Geländer sind dort handwerklich exzellent mit Kork verkleidet. Da der Brera-Distrikt auch ein Mailänder Wohnviertel ist, wollten wir einen Raum schaffen, der dazu passt. Durch eine Holztür tritt man in eine andere, eigene Welt.
Ihr Büro experimentiert schon seit einiger Zeit mit Kork. Was macht Kork in Ihren Augen so besonders?
Mich begeistert seine natürliche Ästhetik, Vielseitigkeit und ökologische Qualität. Schon vor einigen Jahren haben wir gemeinsam mit Maya Romanoff, dem führenden US-Hersteller handgefertigter Tapeten, die Kollektion Porto entwickelt. Damals hat uns das Material mit seiner besonderen Haptik, Widerstandsfähigkeit und gestalterischen Bandbreite überzeugt – gerade für den Einsatz im Hospitality-Bereich.
Haben Sie noch weitere Produkte aus Kork entwickelt, die Sie in Ihren Hospitality-Projekten nutzen?
Ja, ein aktuelles Beispiel ist unsere Zusammenarbeit mit Stackabl. Es ist ein junges Unternehmen aus Toronto, das modulare, maßgeschneiderte Leuchten aus recyceltem Filz produziert. Gemeinsam haben wir zunächst eine individuelle Hängeleuchte für mein Wohnzimmer gestaltet – daraus entstand die Idee, eine komplette Leuchtenkollektion aus Kork und Filz zu entwickeln. Mit Tilt und Shift haben wir kürzlich auf der ICFF in New York zwei Tisch- und drei Stehleuchten gelauncht. Die Sockel bestehen aus 100 Prozent postindustriellem Kork, die Schirme aus kreisförmig geschichteten, rezyklierten Filzelementen.
Wo sehen Sie derzeit besonders spannende Anwendungen für Kork?
Spontan fällt mir das Cork House in Großbritannien ein, gemeinsam entwickelt von den Architekturbüros Matthew Barnett Howland, Dido Milne und Oliver Wilton. Es besteht fast vollständig aus massivem, tragfähigem Kork.
Lässt sich Kork recyceln, ohne an Qualität einzubüßen, anders als etwa Kunststoff?
Ja – und das macht ihn so zukunftsfähig! Anders als viele Kunststoffe behält Kork beim Recycling seine wichtigsten Eigenschaften. Er ist leicht, flüssigkeits- und gasundurchlässig. Natürliche Wachse machen ihn resistent gegen Schimmel. Er ist elastisch und komprimierbar, wärme- und schallisolierend, feuerhemmend, entwickelt bei Verbrennung keine giftigen Dämpfe und ist hoch abriebfest. Darüber hinaus ist der Rohstoff vollständig erneuerbar.
Gibt es genügend Ressourcen, um Kork in großem Maßstab für Möbel und Inneneinrichtungen zu verwenden – jenseits von maßgeschneiderten Projekten oder Einzelstücken?
Ja, denn Kork kann immer wieder geerntet werden, ohne dass der Baum Schaden nimmt. Das Abziehen der Rinde hilft sogar beim Reduzieren von CO2-Emissionen: Geerntete Korkeichen binden etwa fünfmal mehr CO2 während ihrer natürlichen Regenerationsphase als nicht geerntete Bäume. Sie speichern bis zu 30 Prozent mehr CO2 als andere Bäume. Außerdem kann Kork ja zu 100 Prozent recycelt werden, so wie wir es auch mit Cork Collective tun. Und ich denke, Casa Cork in Mailand und die vielen beteiligten Hersteller, Projektpartner und Gestalter sind ebenfalls ein Beleg für die Zukunftsfähigkeit dieses Rohstoffs in der Designbranche.
Gemeinsam mit dem weltweit führenden portugiesischen Korkhersteller Amorim und anderen Unternehmen haben Sie Cork Collective ins Leben gerufen – eine Non-Profit-Initiative, die Weinkorken recycelt, um daraus innovative und umweltfreundliche Designprojekte zu generieren. Wie kam es dazu?
Unser Büro arbeitet überwiegend im Hospitality-Bereich. Als wir erfuhren, dass weltweit jährlich rund 13 Milliarden Weinkorken einfach im Müll landen, wurde uns klar: Das muss sich ändern! Ich wollte versuchen, unsere „Gastronomie-Community“ für eine Aufklärungs- und Recyclingkampagne zu gewinnen, die den Menschen die Augen für die transformativen Eigenschaften und das immense nachhaltige, zirkuläre Potenzial von Kork öffnen würde. Zusammen mit Amorim, BlueWell und Southern Glazer's Wine & Spirits haben wir dann 2024 Cork Collective gegründet: Wir sammeln, recyceln und verwerten Korken von Restaurants und Hotels in ganz New York City.
Wie funktioniert das Recyclingprogramm konkret?
2024 starteten wir mit rund 50 Partnern in New York: Restaurants, Bars und Weinhandlungen. Viel Überzeugungsarbeit brauchte es dazu nicht. Denn unsere Partner aus dem Gastgewerbe sind bestrebt, in ihrem Viertel etwas zu bewirken. Das Sammeln von Kork ist eine einfache Aktion, die jedoch große Wirkung hat. Die Korken werden regelmäßig mit einem eigens gebrandeten eQuad-Fahrzeug abgeholt und dann zur Verarbeitung und zum Recycling in die Korkschleiferei von Amorim in den USA transportiert. Dort werden sie zu Granulat verarbeitet. Im Rahmen unserer NYC Playground Resurfacing Initiative etwa wird der recycelte Kork für das stoßdämpfende Produkt Corkeen genutzt, um die Bodenbeläge von Spielplätzen und Freizeitanlagen zu erneuern. So entstehen sichere, saubere und gesunde Umgebungen – ein direkter Beitrag zur Lebensqualität in der Nachbarschaft!
Welche weiteren Pläne gibt es?
Das Interesse an einer Teilnahme wächst stetig. Inzwischen sind es etwa 75 Partner aus der Gastronomie. Wir expandieren derzeit in New York City, suchen nach weiteren Städten und arbeiten auch mit Weingütern zusammen. Mit dem Ziel, künftig ein landesweites Programm aufzuziehen.
David Rockwell
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