Menschen

„Die Hände haben eine eigene Intelligenz“

Das Berliner Designduo Meyers & Fügmann im Gespräch

Die Berliner Designerinnen Sarah Meyers und Laura Fügmann lassen Textilien in der Sonne ausbleichen und entwerfen direkt am Webstuhl. Ein Gespräch über farbige Graus, die Dynamik als Duo und ihre neue Textilkollektion für Kvadrat.

von Jasmin Jouhar, 20.06.2025

Das Studio von Sarah Meyers und Laura Fügmann in Berlin-Mitte besteht aus zwei ganz unterschiedlichen Räumen. Der eine sieht so aus wie die meisten Kreativbüros: große Arbeitstische mit Rechnern, Lagerregale voller Materialien, an den hellen Wänden Moodboards, Skizzen, Musterstücke. Der zweite Raum dagegen ist eine richtige Werkstatt. Mehrere Webstühle in unterschiedlichen Größen stehen dort und es sieht – auf gute Weise – nach kreativem Chaos aus.

Die beiden Räume stehen exemplarisch für die gestalterische Haltung von Meyers & Fügmann: Sie bringen in ihren Projekten konzeptionelles Denken und handwerkliches Arbeiten gleichwertig zusammen. Das eine geht nicht ohne das andere. Aktuell kommt ihre erste Textilkollektion für Kvadrat mit den drei Stoffen Set Up, Set In und Scan auf den Markt. Ein weiteres aktuelles Projekt: die Zusammenarbeit mit der Berliner Farbenmarke Kolors unter dem Titel Komplementärzustände. Seit Jahren forschen die beiden Designerinnen dazu, wie sich Garne unter UV-Licht verändern. Mit Slow Patterns und Fades made to fade haben sie Textilien entwickelt, die im Licht teilweise langsam ausbleichen. Dabei werden latente Muster Stück für Stück sichtbar.

Eure Arbeit ist geprägt von einem praktischen Ansatz: Ihr entwerft häufig beim Machen. Warum?
Sarah Meyers: Ich sage oft, es fängt beim Material an, mit den Händen im Material, Stichwort „thinking hands“. Die Hände haben eine eigene Intelligenz und um die freizusetzen, hilft beispielsweise der Webstuhl. Wenn ich mich vor den Computer setze oder vor ein leeres Blatt, kann ich das nicht so rauskitzeln. Ich brauche Material, um meine Kreativität laufen zu lassen.

Laura Fügmann: Ich sperre mich trotzdem dagegen zu sagen, dass es ein rein intuitiver Prozess ist. Es ist immer ein Dialog. Während ich handwerklich arbeite, denke ich nach. Man geht kurz an den Rechner, schaut sich etwas an und dann geht es wieder zurück an den Webstuhl. Es ist ein Pingpong aus einem konzeptuellen Überbau, einer groben Idee und dem Machen. Aber ich könnte die Idee niemals entwickeln, ohne zwischendrin mit den Händen ins Material zu gehen. Es birgt so viele Überraschungen, die ich mir vorher nicht konzeptuell überlegen kann.

Welche Rolle spielt die Dynamik zwischen Euch beiden als Duo?
Laura Fügmann: Das „thinking through making“ ist ein wichtiger Teil unserer Kommunikation. Manchmal ist es schwierig, eine Idee zu kommunizieren, ohne dass sie in irgendeiner Form materialisiert ist.

Sarah Meyers: Wenn es zu abstrakt wird, dann sagen wir: Skizziere doch mal oder mach einfach mal einen Anfang und hol mich ab. Dann hilft ein kleines Musterstück mehr als zwei Seiten Text. Da haben wir auch unterschiedliche Herangehensweisen. Ich bin oft mit Papier und Stift oder mit Material unterwegs. Laura braucht eher den Webstuhl.

Laura Fügmann: Wenn ich mich an den Musterwebstuhl setzte, weiß ich vorher gar nicht genau, welche Tasten ich drücken werde. Das passiert einfach mit dem Faden beim Machen und Gucken. Ich entwickle die Bindungen, ohne sie vorher aufzuzeichnen.

Seid Ihr sehr kritisch miteinander?
Laura Fügmann: Ja, schon. Wir haben uns während des Studiums kennengelernt, weil wir das Feedback der jeweils anderen geschätzt haben. Und oft denken wir, wenn wir beide von etwas überzeugt sind, dann muss etwas dran sein.
           
Sarah Meyers: Wir müssen relativ früh im Prozess schon kommunizieren. Wenn man alleine arbeitet, muss man das nicht unbedingt. Durch diese Kommunikation entsteht wieder etwas Neues im Kopf.

Laura Fügmann: Am Anfang hatten wir manchmal Sorge, dass es Individualität wegnimmt, weil wir zu zweit sind. Weil man sich eben nicht über Wochen in irgendwas vertiefen kann, ohne mit der anderen darüber zu reden. Wir haben gelernt, dass es okay ist, wenn wir ein Projekt unterschiedlich sehen. Wir lassen das dann einfach so stehen. Jede hat ihre eigenen Assoziationen, was bestimmte Materialien und Farben angeht.

Ihr habt gerade Eure erste Textilkollektion für Kvadrat entworfen. Wie sind die Entwürfe entstanden?
Sarah Meyers: Wir haben Kvadrat gezielt kontaktiert, es gab kein klassisches Briefing. Es ging hin und her zwischen Isa Glink, der Kreativdirektorin von Kvadrat Residential, und uns. Wir haben Dossiers geschickt und viele Musterstücke – und so ist das langsam gewachsen.

Laura Fügmann: Wir sind mit unserem Ansatz von Textilien, die sich durch Sonnenlicht verändern, an Kvadrat herangetreten. Und haben dann gemeinsam daran gearbeitet, unsere künstlerische Forschung in Vorhänge zu übersetzen.

Die Fades made to fade-Textilien sind ein experimentelles Langzeitprojekt. Wie unterscheiden sich die Arbeitsprozesse von einem kommerziellen Projekt?
Laura Fügmann: Es ist nicht so ein großer Unterschied, weil wir sehr hands-on arbeiten, egal, ob wir ein kommerzielles Produkt entwickeln oder forschen. Es gibt Phasen, in denen wir einfach machen, dann folgen Phasen, in denen wir reflektieren und aussortieren. Mit Isa haben wir genauso gearbeitet. Ein großer Unterschied ist, dass die Slow Patterns wirklich slow sind, wir müssen warten, während die Musterstücke über den Sommer in der Sonne hängen – warten, bis wir von der Sonne neue Farbtöne geschenkt bekommen.

Sarah Meyers: Die große Gemeinsamkeit ist, dass beide Projekte industriell gefertigt sind. Auch vorher wurden die Muster, die wir im Studio erstellen, für den industriellen Webstuhl übersetzt.

Das Wissen über industrielle Fertigungsmethoden habt Ihr also schon mitgebracht?
Sarah Meyers: Ja, wir sprechen die Sprache der Weber, wir können Arbeitsschritte übernehmen, die manch andere Designstudios nicht übernehmen könnten.

Ist das Textil Set Up technisch ein anspruchsvolles Projekt?
Sarah Meyers: Anspruchsvoll in dem Sinne, dass es einen Repeat (Wiederholung eines Musters, Anm. d. Red.) von drei Metern hat. Der Farbverlauf wird aus wechselnden Bindungen und vier alternierenden Farben erzielt. Das ist schon relativ komplex zu entwickeln.

Ihr konzipiert gerade einen Beratungsservice. Worum geht es?
Laura Fügmann: Wir haben sehr viel Wissen über Farben erworben über die Jahre. Wir finden es sinnvoll, dieses Know-how weiterzugeben an Innenarchitekt*innen oder auch Privatpersonen. Wir erleben oft, dass Menschen Angst haben vor farblichen Fehlentscheidungen und Farben deswegen nicht nutzen. Da würden wir gerne ansetzen und begleiten.

Sarah Meyers: In der Zusammenarbeit mit Kolors hat sich das noch mal gezeigt, dass wir eine große Affinität dazu haben, selbstbewusst mit Farbe umzugehen und Farb- und Materialkonzepte zu entwickeln.

Wo seht Ihr denn Beratungspotenzial?
Laura Fügmann: Ich spreche zum Beispiel gerne über Nordzimmer: Orte, die nicht viel Licht bekommen. Es gibt bestimmte Farben, die in solchen Zimmern gut funktionieren und Wärme spenden. Generell sollte man Farben verwenden, die lebendig sind, die sich über den Tag mit dem Licht verändern. Farben, die in den Dialog mit ihrem Umfeld gehen.

Sarah Meyers: Wichtig ist, dass es nicht unbedingt um sehr bunte Interiors geht. Es können kleine Eingriffe sein: dass man einem Weiß einen kleinen Hauch einer Farbe zugibt, damit man das Licht beeinflusst. Wir reden von „colorful greys“, Graus, die morgens einen anderen Ton sichtbar machen als abends. Mit kleinen Änderungen kann man schon viel bewirken.

Laura Fügmann: Grau wird oft einfach aus weißen und schwarzen Pigmenten gemischt. Aber wenn es zumindest in Teilen aus komplementären Farben gemischt ist, ist es viel responsiver. Zum Beispiel unser Studioboden: Der ist grau, aber hat etwas Lila und auch etwas Gelb drin. Manchmal sieht er einfach grau aus, manchmal sieht man das Lila, manchmal geht das Lila einen Tick ins Bräunliche. Wir finden, das tut dem Auge gut. Es geht auch darum, immer wieder ins Jetzt zu kommen durch die Beobachtung.

Wenn Ihr mit Farben arbeitet, trefft Ihr die Entscheidungen intuitiv oder konzeptionell?
Sarah Meyers: Wir arbeiten oft intuitiv, dann müssen wir die Farben aber dem Realitätscheck unterziehen.

Laura Fügmann: Wenn ich eine Farbe vor Ort sehe, dann weiß ich schon sehr sicher, was mit dem Farbton passieren muss. Das muss ein bisschen heller sein. Oder: Da muss ein bisschen Gelb rein. Oder so ähnlich.

Ihr gestaltet gerne Prozesse, in denen Ihr einen Teil der Kontrolle abgebt. Warum?
Laura Fügmann: Wir mögen es, wenn der Prozess nicht komplett kontrollierbar ist. Unsere Keramikprodukte funktionieren so. Wir haben zwar erforscht, wie lange man das Porzellan der Farbe aussetzen muss, aber zu hundert Prozent wollen wir den Prozess nicht kontrollieren.  Welche Seite der Vase im Ofen zuerst trocknet, beeinflusst zum Beispiel das Muster. Es ist spannend, aus ein und demselben Prozess Unikate zu generieren. Das ist bei den Slow Patterns ähnlich: Jedes Fenster ist anders und jeder benutzt einen Vorhang anders.

Sarah Meyers: Für mich ist es wichtig, mit diesen Prozessen eine Diskussion zu starten, wie Textilien sich verändern und altern dürfen. Ich erhoffe mir da eine größere Offenheit. Bei anderen Materialien wie Leder ist eine Patina erwünscht, Textilien sollen sich nicht verändern.

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Meyers & Fügmann

meyersfuegmann.com

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