Menschen

Gemeinsam weiterkommen

Designkollektive auf der Vienna Design Week 2025

Vom Dachgeschoss in den Hinterhof, von der Limonadenfabrik ins Homeoffice: In Wien lebt der kollektive Geist! Ein Rundgang zu den Ateliergemeinschaften, Kollektiven und Netzwerken, die sich im Rahmen des Festivals „Vienna Design Week 2025“ präsentierten.

von Jasmin Jouhar, 06.10.2025

Sie sind viele – und das ist ihre Stärke. Gerade junge Designerinnen und Designer schließen sich heute gerne zu Kollektiven zusammen. Sie glauben an Kooperation statt Konkurrenz – in einer Zeit, in der Gründung und Selbstständigkeit schwieriger denn je erscheinen. Die Kosten steigen und in vielen Bereichen halten sich Hersteller und Marken mit Aufträgen an die Jungen zurück, setzen stattdessen auf bekannte Namen und Bewährtes. Wie im Kollektiv konkret zusammengearbeitet wird, variiert naturgemäß je nach Akteur*innen und Bedürfnissen. Aber meistens heißt es: Designer*innen und andere Kreative teilen Arbeitsräume und Werkstätten, unterstützen sich bei Jobs, organisieren Ausstellungen, vermarkten sich gemeinsam, verschaffen sich Sichtbarkeit und – vielleicht das Wichtigste – tauschen sich aus über die kleinen und großen Fragen, die der Alltag für Freiberufler*innen und Unternehmer*innen so mit sich bringt.

Manchmal tun sie sich auch nur vorübergehend für eine Ausstellung oder ein Projekt zusammen. „Für uns gibt es keine Gewerkschaft“, sagt Johanna Pichlbauer. „Wir helfen uns gegenseitig.“ Die Gestalterin ist Teil von Design in Gesellschaft, einem vielköpfigen, 2021 gegründeten Wiener Kollektiv. Zur diesjährigen 19. Ausgabe des Festivals Vienna Design Week zeigte die Gruppe in ihren Räumen im 20. Bezirk die Ausstellung Building. Wien als politisch linke Stadt, als Stadt des sozialen Wohnungsbaus und der Genossenschaften, ist offensichtlich ein guter Ort für Gemeinschaftlichkeit: Zur Design Week hatten neben Design in Gesellschaft noch andere Gruppen von Gestalter*innen Ausstellungen organisiert. So die in diesem Jahr neu gegründete CO – AG, das Kurator*innen-Team Büro Fomo oder die Ateliergemeinschaft Z57. Sie nutzten die Plattform des Designfestivals nicht nur, um sich selbst zu präsentieren, sondern boten teilweise auch Gleichgesinnten aus anderen Städten eine Bühne.

Z57: Berlin über den Dächern von Wien
Bei Z57 beispielsweise zeigten Bachelor-Absolvent*innen des Studiengangs Produktdesign der Berliner Universität der Künste ihre Projekte, unter dem Titel CMD + SHIFT + D/ESIGN. Die siebenköpfige Ateliergemeinschaft von Z57 residiert seit drei Jahren spektakulär über den Dächern des 7. Bezirks. Die drei Dachgeschosse waren in den Siebzigerjahren ursprünglich als Architekturbüro ausgebaut worden, inklusive einer großen, grasbewachsenen Dachterrasse. Zu den bei Z57 vertretenen Disziplinen gehören neben Architektur, Grafik- und Webdesign auch Restaurierung und Nail Art.

Für die Vienna Design Week hatten sich insgesamt zehn UdK-Absolvent*innen zusammengetan, um an dem ungewöhnlichen Ort auszustellen. Auf der Terrasse fanden eine große Wippe von Emma Johann und leuchtend gelbe Stahlrohrobjekte für Wartesituationen von Luca Ortmann ihren Platz. In den verwinkelten Innenräumen gab es unter anderem den Falthocker Smal von Anton Oberländer, eine modulare Systemküche von Friedrich Kreppel und Möbel aus Altholz von Gloriana Valverde zu sehen. Für die Designer*innen von der UdK eine gute Gelegenheit, sich einem neuen Publikum zu präsentieren. In Berlin ist der kollektive Geist übrigens ähnlich lebendig wie in Wien, etwa mit der Designerinnengruppe Matter of Course und den Ateliergemeinschaften und.studio oder Oben. Einige Designer*innen von Oben gehören auch zum FAN Collective.

Design in Gesellschaft: Reise in die Vergangenheit
Auch bei Design in Gesellschaft schätzen sie den Austausch mit Kreativen jenseits der eigenen Gemeinschaft. Deshalb haben sie ein Residency-Programm aufgelegt, für das sie öffentliche Fördermittel eingeworben haben. Immer im August lädt die Gruppe zwei Gestalter*innen ein, einen Monat bei ihnen zu arbeiten, zuletzt unter anderem die Berliner Gestalterin Marie Radke. Zur Vienna Design Week präsentierte sich das Kollektiv jeweils mit einer selbst entwickelten thematischen Ausstellung.

Dieses Mal widmeten sich die Mitglieder der Geschichte des eigenen Standorts, einem malerisch überwachsenen Hinterhofgebäude. Sie fanden heraus, dass dort fast fünfzig Jahre lang Limonade produziert wurde. Zeitweise wurde sogar die bekannte Marke Almdudler in den Räumen abgefüllt. Recherchiert haben sie auch das Schicksal der jüdischen Familie Natowic, die einst die populäre Limonade Wiener Gold herstellte. In der Nazizeit wurde sie vertrieben, der Betrieb „arisiert“. Zu den ausgestellten Arbeiten gehörten ein Archiv zur Geschichte des Gebäudes, zusammengetragen von Johanna Pichlbauer, eine Bar im Hof in Form einer Sodaflasche von Fabio Spink und Julia Habarda, ein Sitzsack in Zitronenform von Blanka Wittmann, außerdem Glasvasen, Brausepulver und Leuchten, die an Kohlensäureblasen erinnerten.

CO – AG: Gegenseitige Inspiration
Das Kollektiv CO – AG residiert ebenfalls an einem Ort mit Geschichte: der ehemaligen Werkstatt der Wiener Hornmanufaktur Petz. Wo bis vor Kurzem Rinderhorn zu Kämmen, Brillengestellen oder Schmuck verarbeitet wurde, haben seit Mai dieses Jahres fünf Kreative aus unterschiedlichen Bereichen ihr Zuhause. Initiiert wurde CO – AG von dem Designer Georg Adam, der sowohl Objekte und Möbel entwirft als auch Konzepte und Kampagnen für Unternehmen. „Wir haben viel Austausch und inspirieren uns gegenseitig“, sagt Adam. Wie in anderen Ateliergemeinschaften gibt es neben Büroarbeitsplätzen auch Werkstätten für verschiedene Materialien: Keramik, Holz oder Metall. Zur Vienna Design Week präsentierte CO – AG im Obergeschoss des Gebäudes eigene Arbeiten, gemischt mit Projekten externer Designer*innen. Das Spektrum reichte von ungewöhnlichen Ledertaschen von Laura Schreiber bis hin zu Holzmöbeln von Federico Fiermonte.


Bureau Fomo: Netzwerke knüpfen
Ebenfalls eine Neugründung ist das kuratorische Projekt Bureau Fomo von Hanna Gassner und Christoph Wimmer-Ruelland. Das Duo präsentierte anlässlich der Design Week die erste Ausstellung, als Zwischennutzung in einem soeben fertiggestellten Bauprojekt. Near, far, wherever you are beschäftigte sich mit dem Homeoffice. Bureau Fomo hatte eine ganze Reihe befreundeter Designer*innen aus dem eigenen Netzwerk eingeladen. Zu den insgesamt 20 Positionen gehörten ein vor Produktivität rauchendes Notebook und eine endlos sprudelnde Kaffeemaschine, ein Loungemöbel mit Leuchte und eine Wandarbeit, die den Ausblick auf einen Südseestrand simuliert. Teil des Bureau Fomo-Netzwerks sind auch Johanna Pichlbauer von Design in Gesellschaft und Georg Adam von CO – AG, die beide jeweils Einzelpräsentationen im selben Gebäude zeigten: Pichlbauer die Rauminstallation Artificial Horizon, Georg Adam unter seinem Büronamen Adamgeorg die Kooperation Fashion for Furniture mit der traditionsreichen Wiener Hutmanufaktur Mühlbauer.

Klemens Schillinger: Ein Mann, ein Stuhl
Der Rundgang zur Vienna Design Week 2025 zeigte: Der Geist des Kollektivs lebt, gerade unter den jüngeren Designerinnen und Designern. Doch nicht immer muss die Antwort auf die Widrigkeiten der Gegenwart heißen: Gemeinsam kommen wir weiter. Der allseits gut vernetzte Gestalter Klemens Schillinger, der mit Temporary.Arrangement auch schon Teil eines Kollektivs war, präsentierte anlässlich der diesjährigen Designwoche sein Ein-Mann-ein Stuhl-Unternehmen. Weil er für seinen Metallstuhl zwar Kaufanfragen bekam, aber keinen Hersteller fand, der den Entwurf ins Portfolio nehmen wollte, gründete Schillinger kurzerhand eine eigene Marke. Unter dem Namen New Address lässt er bislang dieses eine Stuhlmodell produzieren – und nur auf Anfrage für den Contract-Bereich. Einige Bestellungen hat er schon. Wie es weitergeht, hält sich Schillinger bislang offen.

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Links

Design in Gesellschaft

Design.in.Gesellschaft

Bureau Fomo

www.bureaufomo.com

Klemens Schillinger

www.klemensschillinger.com

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