Mehr Seele fürs Holz
Formafantasma und Artek im Gespräch
Partner: Artek
Holz ist zwar einer der nachhaltigsten Rohstoffe, doch auch die Herstellungsweise eines Produkts beeinflusst den Ressourcenverbrauch und damit seinen ökologischen Fußabdruck. Die Mailänder Designer Andrea Trimarchi und Simone Farresin – besser bekannt unter ihrem Büronamen Formafantasma – haben mit der Forest Collection für Artek den Fertigungsprozess von Möbeln neu definiert. Ein Gespräch mit Simone Farresin und Marianne Goebl, Geschäftsführerin von Artek, über Natürlichkeit, Schönheit und den Reiz der Imperfektion.
Bitte erzählen Sie uns, wie es zu der Zusammenarbeit zwischen Formafantasma und Artek kam.
Simone Farresin: Alles fing damit an, dass Marianne uns auf die Ausstellung Cambio ansprach, die wir 2020 für die Serpentine Gallery in London vorbereitet hatten. Wir wollten erkunden, wie die Wertschöpfungsprozesse rund um die Bewirtschaftung der Wälder funktioniert und ob dieses Wissen einen Einfluss auf die Entscheidungsfindung bei der Planung und beim Entwurf haben kann. Im Anschluss wollten wir die Ausstellung nach Finnland bringen – mit einem erweiterten Fokus auf die dortige Forstwirtschaft und Artek als Fallstudie.
Warum dieses Unternehmen?
Simone Farresin: Natürlich wegen der Arbeit von Aino und Alvar Aalto. Aber auch, weil das Unternehmen sehr stark mit einem bestimmten Ökosystem verbunden ist. Das bei Artek vorwiegend eingesetzte Material Holz stammt aus dem Umfeld der Fabrik. Es gibt also eine sehr enge Beziehung zwischen Ökosystem und Produktion, die im Vergleich zu anderen Unternehmen, die mit mehreren Materialien und einer viel komplexeren Infrastruktur arbeiten, sehr viel nachhaltiger ist.
Wie sind Sie dann weiter vorgegangen?
Marianne Goebl: Andrea und Simone betrachten die Zusammenhänge zwischen Ökosystemen, Design und materieller Kultur aus einer wohl informierten Perspektive. Sie haben einen 360-Grad-Radar und wollen zuerst verstehen, wofür ein Material steht, bevor sie es für einen Entwurf nutzen. Wir wollten von ihrem Zugang lernen, indem wir sie in unsere Produktion in Finnland schauen lassen. Wir betreiben unsere Fabrik mit sehr qualifizierten Mitarbeitenden, die über ein enormes Wissen verfügen, sich dessen aber nicht immer bewusst sind. Insofern war es hilfreich, einen Blick von außen zu haben, um die alltäglichen Prozesse neu zu verstehen und auch infrage zu stellen.
Was genau haben Sie daraus abgeleitet?
Marianne Goebl: Wir benötigen aus Produktions- und Designgründen Bäume, die fünfzig bis achtzig Jahre alt sind. Diese Bäume absorbieren eine Menge CO2 und werden dann in sehr langlebige Artek-Produkte verwandelt, die das CO2 über Jahrzehnte weiter speichern. Das ist gut. Was weniger gut ist: Wir verwenden nur einen kleinen Teil des Baums, weil wir strenge Qualitätskriterien haben, die natürliche Spuren im Holz wie Astlöcher oder Insektenspuren ausschließen. Wir haben dann versucht herauszufinden, wann das eigentlich beschlossen wurde. Doch niemand wusste es. Es gibt ein paar Gerüchte, dass es in den Achtzigerjahren einige Reklamationen gab. Um diesen vorzubeugen, ist dann wohl die Idee entstanden, gar keine natürlichen Merkmale mehr zu zeigen.
Die es aber früher gab?
Marianne Goebl: Genau. In den 1930er-Jahren hätte niemand etwas, das eigentlich strukturell gut ist, aus aus rein optischen Gründen aussortiert. In dieser Klarheit waren es wirklich Andrea und Simone, die uns bewusst gemacht haben, dass das falsch ist und wir das ändern müssen. Wir haben verstanden, dass diese überzogenen Perfektionsansprüche an Holz die gesamte Möbelindustrie betreffen und es daher auch um einen Bildungsauftrag geht. Es ist ja keine Maschine, sondern immer ein Mensch, der entscheidet, was man für gut befindet und verarbeitet und was nicht. Formafantasma ist mit dem Team unserer Fabrik in einer Sampling-Session die einzelnen Möbelkomponenten durchgegangen, bei der wir Hunderte von Hocker-Beinen angeschaut haben, um zu definieren, was akzeptiert wird und was nicht, sowohl aus struktureller aber auch aus einer ästhetischen Perspektive. Das Resultat ist eine erweiterte Holzselektion, die natürliche Merkmale bewusst einschließt, wir nennen sie „wilde Birke“.
Welche Parameter haben sie gesetzt?
Simone Farresin: Beim Hocker 60 haben wir gesagt, dass zwei der drei Beine natürliche Holzmerkmale wie Astlöcher haben müssen, damit sie wahrgenommen werden. Normalerweise würde man dazu neigen, ausdrucksstarke Astlöcher auf der Innenseite der gebogenen Beine zu platzieren, damit sie einem nicht gleich in die Augen springen. Aber hier ging es darum, diesen Prozess umzukehren, indem man geradezu zelebriert, dass ein Holzmerkmal Teil der Ästhetik des Objekts ist. Und so gab es auch einen Umschulungsprozess für die Mitarbeiter in der Fabrik.
Was in der Vergangenheit als Fehler angesehen wurde, wird nun als Qualität hervorgehoben. Unvollkommenheit ist die neue Perfektion?
Marianne Goebl: Ja, denn dadurch wird jedes Produkt einzigartig. Es löst eine andere Beziehung zwischen den Benutzern und dem Objekt aus, wenn sie wissen, das ist ihr Hocker, weil er an dieser Stelle ein Astloch hat. Wir wollen, dass Unregelmäßigkeiten als ein Zeichen von natürlicher Schönheit und nicht von minderer Qualität gesehen werden. Wenn wir Ressourcen bewusster einsetzen, werden die Dinge auch anders aussehen. Bei recyclierten Kunststoffen ist offensichtlich, dass sie kleine Sprenkel haben. Als in den Achtzigerjahren Recycling-Papier auf den Markt kam, dachten wir zunächst, wie hässlich. Doch dann haben wir verstanden, dass es richtig und cool ist. Daraus wurde eine neue Normalität, ein neues Erscheinungsbild von Papier. Ich hoffe, dass wir bei Holz einen ähnlichen Weg einschlagen werden und es nicht Generationen braucht. Ich kann es kaum erwarten.
Das erste Möbel der Forest Collection war der Hocker 60. Nun kommen weitere Produkte hinzu: die Tische 90A, 90B, 81B und 83, die Stühle 66 und 69 sowie die Bänke 153A und 153B, alle entworfen von Alvar Aalto.
Marianne Goebl: Im ersten Schritt haben wir uns mit Massivholz befasst, weil der Großteil unserer Produkte daraus besteht. Jetzt erweitern wir die „wilde Birke“ auch auf Furniere. Der Begriff ist ein wenig missverständlich, weil es so klingt, als käme das Holz aus dem Dschungel. Der Name bezieht sich aber auf die Unregelmäßigkeit beziehungsweise die Lebendigkeit der Oberfläche. Für Furniere können wir keine Aststellen verwenden, weil es bedeutet, dass es ein Loch gibt. Daher haben wir mit unserem Lieferanten zusammengearbeitet, um Furniere mit Spuren von Insekten zu selektieren, die auf dem hellen Birkenholz wie eine dunklere Maserung wirken.
Kann man sagen, dass die Unebenheiten die Seele eines Produkts verstärken?
Simone Farresin: Für mich ist die Seele eines Objekts nicht nur daran gebunden, wie es aussieht, sondern auch und vor allem, wie es gemacht ist. Die ethischen Dimensionen lassen sich nicht nur ausschließlich auf der formalen Ebene lösen. Ich denke also, dass die Seele eines Objekts durch Parameter definiert wird, die lange Zeit nicht sehr relevant waren. Wenn wir über Qualität im Design diskutieren, gehen wir immer davon aus, dass etwas wertvoll, selten, extrem gut gemacht ist und im Dienste der Wünsche der Benutzer steht. Lassen wir aber die ökologischen und sozialen Auswirkungen, die Arbeitsbedingungen und so weiter außer Acht, dann ist die Qualität nicht mehr gegeben, oder? Ich denke also, es ist wichtig, die Parameter, die wir zum Verständnis von Objekten verwenden, neu zu bewerten. Und in dieser Hinsicht können wir dann vielleicht anfangen, genauer zu definieren, was die Seele eines Objekts ist.
Es geht darum, die Perspektive zu erweitern.
Simone Farresin: Im Grunde geht es dabei auch um die Relevanz des Neuen oder diese ständige Suche nach dem Neuen. Hella Jongerius predigt schon seit Langem, dass es beim Design nicht nur um die Gestaltung von Neuem geht, sondern auch darum, sich um das zu kümmern, was schon da ist. Wenn uns die Ökologie und der Aufbau eines besseren Planeten wirklich am Herzen liegen, dann können wir zumindest das tun. Die Idee, sich um das Bestehende zu kümmern, sollte ein Parameter sein, den es stärker zu betonen gilt. Und ich denke, dass der Versuch, den wir zusammen mit Artek unternommen haben, eine viel größere Wirkung haben kann, als etwas neu zu entwerfen.
Marianne Goebl: Als wir mit der Forest Collection begonnen haben, gab es zwei Optionen. Entweder wir nehmen die Ergebnisse aus Andreas und Simones Recherchen zum finnischen Wald und entwickeln gemeinsam etwas Neues. Oder wir optimieren unter diesen neuen Gesichtspunkten, was wir seit neunzig Jahren machen. Wir haben uns darauf geeinigt, mit der Verbesserung dessen anzufangen, was wir bereits tun. Denn da haben wir einen großen Hebel mit einer unmittelbareren und direkteren Auswirkung auf die Umwelt, weil wir so mittelfristig weniger Holz verbrauchen.
Das Ziel wäre sicher auch, andere Akteure aus der Branche einzubeziehen.
Marianne Goebl: Ganz genau. Bei diesem Thema sollten wir überhaupt nicht an einen Wettbewerbsvorteil denken. Jeder in der verarbeitenden Industrie sollte den gleichen Weg gehen. Ich würde mich freuen, wenn alle mitmachen und wir dieses wirklich interessante Thema einer neuen Ästhetik der Nachhaltigkeit gemeinsam angehen.
ARTEK
Artek steht für zeitloses Design, hochwertige Verarbeitung und eine nachhaltige Unternehmensphilosophie. Alvar Aaltos wegweisende Entwürfe, das flexible Mix-und-Match-Konzept und die Betonung auf Funktionalität machen Artek zum Klassiker.
www.artek.fi