Menschen

Erhöhte Erdung

Sebastian Herkner über sein neues Sofaprogramm für Ligne Roset

Für die einen steckt Gott in den Details, für die anderen ist es gar der Teufel. Das gilt vor allem für Polstermöbel, bei denen ausladende Volumina raffiniert zu bändigen sind. Sebastian Herkner kennt sich damit genau aus. Ein Gespräch mit dem Offenbacher Designer über hügelige Kissen, venezianische Stege und die Zukunft der Messen.

von Norman Kietzmann, 17.07.2024

Du hast für Ligne Roset das Polsterprogramm Noka entworfen. Worin besteht das Konzept?
Noka heißen die traditionellen Landhäuser in Japan, bei denen es eine Veranda gibt. Wenn man dort sitzt, hat man eine ganz andere Perspektive auf die Landschaftsarchitektur, die genau für den Blick von diesem Plateau angelegt wurde. Das war die eine Inspiration. Die andere kam von den Stegen, die in Venedig bei Hochwasser aufgebaut werden. Passarelle heißen sie. So entstand die Idee, das Sofa als eine Art Podest anzulegen und darauf weiche Kissen zu legen.

Ein markantes Detail bilden Materialität und Textur der Beine. Sie sind gepolstert und mit dem gleichen Stoff bezogen wie Sitzfläche, Rückenlehne und Kissen. Was ist der Grund dafür?
Das Sofa wirkt so wie eine Einheit. Das ist etwas ganz anderes, als wenn man Holz- oder Metallträger unter der Sitzfläche sieht. Hier gehen die komplett mit Stoff bezogenen Beine in dieses Plateau oder diesen Steg über, worauf die Sitzkissen, Armlehnen und Rückenkissen ruhen. Das Möbel ist im Grunde recht einfach mit kubischen Proportionen. Das Besondere ist der Sockel, der eben an venezianische Stege oder an die umlaufenden Terrassen der japanischen Architektur erinnert.

Was verändert sich durch die Polsterung der Füße?
Oft kombiniere ich bei meinen Entwürfen verschiedene Materialien miteinander. Doch genau das wollte ich hier nicht. Das Untergestell des Sofas soll sich zurücknehmen, obwohl es dennoch gestaltet ist. Wir haben stark an den Proportionen gearbeitet, an der Ausrichtung der Beine, die leicht konisch zum Boden zulaufen. Ein weiteres Merkmal ist eine umlaufende Kedernaht, die die horizontale Ausrichtung dieses Plateaus betont. Das verleiht dem Sofa etwas Schwebendes. Und natürlich verstärkt es so den Charakter viel mehr, als wenn man die Polster einfach nur auf Metallbeinchen stellen würde.

Das Thema Weichheit wird derzeit im Wohnen insgesamt immer wichtiger. Die Volumen nehmen zu, Sofas und Sessel wirken wie vermöbelte Airbags. Liegt es daran, dass wir uns in der heutigen Zeit, in der vieles unruhig wirkt, wieder mehr nach Komfort und Geborgenheit sehnen?
Absolut. Das spielt dabei auf jeden Fall mit hinein. Bei Noka sorgt die stoffbezogene Basis für zusätzliche Erdung und vielleicht auch ein Gefühl von Sicherheit. Sie erhöht die Bodenhaftung. Ligne Roset hat für das Möbel spannende Stoffe ausgesucht. Einer sieht aus wie ein Stein, der von Flechten überwachsen ist. Oder man könnte an die Rinde einer Platane denken. Diese Naturanmutung passt natürlich zur Inspirationsquelle der Veranda als einen Ort, der im Freien liegt. Das Thema der Landschaft greifen diese gewölbten, leicht bombierten Rückenkissen auf. Sie lassen an Hügel denken oder an die Organik von Bonsai-Bäumchen. Auf diese Weise vermitteln sie visuellen Komfort.

Ligne Roset ist ein Familienunternehmen. Was macht die Besonderheit und den Reiz einer solchen Zusammenarbeit aus?
Ich würde sagen, dass Familienunternehmen auf jeden Fall mutiger sind, weil sie schneller und spontaner agieren können. Sie haben eine Neugierde und Offenheit, neue Dinge auszuprobieren. Man hat einen direkten Draht zu den Eigentümern und Entscheidern, ruft sie am Handy an und tauscht sich persönlich mit ihnen aus. Das ist etwas ganz anderes als bei großen Firmen, die irgendwelchen Investmentgruppen gehören, bei denen die Ansprechpartner oft wechseln. Da ist so eine Unruhe manchmal drin. Und ich glaube, dass die Verbundenheit mit den Produkten ganz anders ist. Familienunternehmen haben einen anderen Antrieb. Natürlich geht es ihnen auch um Wachstum. Aber es geht ebenso um eine Sicherheit für ihr Erbe, für die Firma, für die Angestellten. Sie denken nicht nur an die nächsten vier Jahre, sondern blicken oft Dekaden voraus.

Worauf kommt es heute bei der Gestaltung von Möbeln an?
Man sieht ja, dass im Moment viele historische Entwürfe wieder aufgelegt werden. Auf der anderen Seite fallen bei neuen Produkten wenig verrückte Sachen auf. Das liegt natürlich an der Marktsituation, die gerade nicht einfach ist. Deswegen will man weniger extrovertierte Entwürfe machen, die sich nur an wenige richten. Stattdessen sind Dinge gefragt, die eine breiter gefächerte Zielgruppe ansprechen. Aber natürlich braucht es auch bei diesen Entwürfen immer eine gewisse Besonderheit. Etwas, das anders ist als die Sofas oder Leuchten, die ein bestimmter Hersteller schon im Programm hat.

Also keine Angst vor Kommerz?
In einem gewissen Sinn kommerziell zu denken, ist sehr wichtig bei der aktuellen Marktlage. Es ist wichtig für die Hersteller, für die Designer, aber auch für die Händler. Wir sehen ja, dass es den traditionellen Möbelhäusern nicht gut geht oder sie teilweise schon verschwunden sind. Da ist natürlich eine Nervosität auf dem Markt. Als Gestalter habe auch ich gemerkt, dass Projekte, die in Gange waren, erstmal pausieren oder gestoppt wurden. Das betrifft sicher jeden Kollegen. Gleichzeitig gibt es für junge, unbekannte Designer immer weniger Plattformen, auf denen sie sich verwirklichen können. Es ist schwer geworden für sie, in diesem Moment irgendwie Fuß zu fassen. Von den Unternehmen wird eine gewisse Sicherheit verlangt. Und das ist nicht selten der bekannte Name des Gestalters oder der Gestalterin.

Was können die Jungen tun?
Gerade in Berlin und Dänemark poppen gerade viele junge Labels auf. Dahinter stehen zum Teil auch Absolventen von Designunis, die aus verschiedenen Gründen in die Rolle der Produzenten rücken. Das Spektrum der Hersteller weitet sich dadurch, was sehr gut ist. Spannend ist, dass der Interiormarkt oder die Innenarchitekten dafür total offen sind. Und sie funktionieren auch, diese jungen Labels. Sie fahren zum Teil schon ordentliche Umsätze und das in einigen Fällen nur durch Online-Marketing. Die meisten von ihnen gehen ja nicht wirklich nach Mailand oder Kopenhagen.

Ohnehin wird das klassische Messeformat im Moment immer stärker in Frage gestellt. Ligne Roset hat früher die Neuheiten auf der imm cologne präsentiert. 2024 wurde im dritten Jahr in Folge eine eigene Hausmesse im Pariser Palais de Tokyo ausgerichtet.
Messen sind wichtig, um sich mit anderen im Wortsinne zu messen und um sich auszutauschen. Aber klar werden private Events oder der direkte Austausch mit den Architekten immer wichtiger. In Mailand steht man oft Schlange. Da geht man natürlich hin als Pflichtprogramm, aber die meisten sind nach der Woche genervt. Das hat man Gott sei Dank bei den 3daysofdesign in Kopenhagen noch nicht. Aber auch die sind natürlich stark am Wachsen. Muss man sehen, wie sich das entwickelt. In den letzten Jahren haben sich die Ausstellerzahlen jedes Mal verdoppelt. Das lässt sich kaum steuern oder kuratieren. Jeder, der sich eine Fläche in der Stadt mietet, kann partizipieren. Das ist ja auch okay. Aber es ist eine Gefahr für so ein kleines, intimes, sehr menschliches Festival, überrannt zu werden. Wir brauchen auch in Zukunft Ruhepole, um mit den Leuten einen Schnack zu machen.

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Ligne Roset

Fertigungsstandorte von Ligne Roset mit ca 800 Mitarbeitern. 95% der Sitz-, Kasten-, Kleinmöbel und Accessoires werden hier gefertigt. Das seit 1860 bestehende Familienunternehmen exportiert in 5. Generation weltweit in 70 Länder und begeistert überall Menschen für hochwertige französische Möbel. Anspruchsvolle und zeitlose Ästhetik prägen die Marke sowie ein hohes Maß an Innovation und Kreativität. Möbel von Ligne Roset werden im gehobenen stationären Handel, in Exklusivgeschäften sowie über einen eigenen Onlineshop vertrieben. Darüber hinaus sind Hotels, Sternerestaurants, Kreuzfahrtschiffe und Luxusboutiquen ein wichtiges Geschäftsfeld.

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