Aus finnischen Wäldern
Unterwegs auf der Fiskars Village Art & Design Biennale 2024
Wir sind nach Finnland gefahren, um abseits der üblichen Designpfade zu wandeln. Fernab der Metropole Helsinki hat sich im beschaulichen Fiskars eine rege Design- und Handwerksszene etabliert. Dazu passt, dass die Macher der Helsinki Design Week eine Biennale ins Leben gerufen haben, die nun zum dritten Mal stattfindet. Neben finnischen Klassikern von Artek, Vaarnii und Lapuan Kankurit haben wir dort auch jede Menge gestalterische Überraschungen entdeckt.
Wenn ein Land klein und überschaubar ist, dann schließen sich die Kreise oft unerwartet schnell. Jede*r kennt jede*n – das ist auch in Finnland so und in der finnischen Designszene sowieso. Das stellten wir fest, als wir die 3. Ausgabe der Fiskars Village Art & Design Biennale erkundeten, nachdem wir uns zuvor in Helsinki umgesehen hatten. Wenig überraschend also, dass hinter der Fiskars Biennale und auch der Helsinki Design Week ein und dieselbe Person steckt: Kari Korkman, der mit seinem Unternehmen Luovi Productions seit den Neunzigerjahren ein wichtiger Protagonist und Treiber der finnischen Designszene ist.
Finnische Idylle in Fiskars
Fiskars liegt nur rund 100 Kilometer westlich von der Hauptstadt entfernt. Und doch könnte die Atmosphäre unterschiedlicher nicht sein. Das Dorf mit nur wenigen Hundert Einwohner*innen ist so, wie man sich Finnland gemeinhin vorstellt: Umgeben von Wäldern und Seen stehen dort viele rot getünchte Holzhäuser, dazwischen ragen karge Felsgesteine hervor. Dass Fiskars aber doch ganz anders ist als andere finnische Dörfer, hat damit zu tun, dass hier 1649 eine Eisenhütte gegründet wurde, aus der das heute älteste finnische Unternehmen hervorging, das ebenfalls Fiskars heißt. Zwar hat Fiskars sein Headquarter inzwischen nach Espoo verlegt und macht Milliardenumsätze. Doch das Unternehmen ist in dem kleinen Ort noch immer omnipräsent – als Großgrundbesitzer und Förderer von Handwerk, Kunst und Design.
Kreativ im Hinterland
Nach dem industriellen Niedergang hat sich das Dorf neu erfunden: Seit den späten Achtzigerjahren siedelten sich hier Künstler*innen, Designer*innen und Handwerker*innen mit ihren Ateliers und einem speziellen Lifestyle an, was den Ort nun auch für auswärtige Besucher*innen interessant macht. Und so kommen rund 200.000 Tourist*innen jährlich nach Fiskars. Sie bevölkern ein Designhotel, Cafés, Geschäfte mit Kunsthandwerk und den großen Fiskars-Shop. Viele historische Gebäude in Fiskars sind eng mit der industriellen Geschichte des Ortes verknüpft, so auch die beiden Ausstellungshäuser, die der diesjährigen Fiskars Village Art & Design Biennale als Austragungsorte dienen: die ehemalige Kupferschmiede und der alte Getreidespeicher, die neben dem Designhotel The Torby liegen, das ebenfalls zur Fiskars Group gehört.
Die Netzwerker*innen von Fiskars
Wie eng in Fiskars alles und jede*r miteinander verknüpft ist, erfahren wir, als wir den Ort erkunden und einige Protagonist*innen treffen. Eine der ersten, die aus Helsinki hierher kam, ist Karin Widnäs, die vor allem durch ihre keramischen Arbeiten mit Architekt*innen bekannt geworden ist. Sie ließ sich nicht nur ein spektakuläres Holzhaus von Tuomo Siitonen mitten in den Wald bauen, sondern hat mit KWUM gleich ein eigenes Keramikmuseum eröffnet. „Mein ganzes Geld steckt darin“, sagt sie lachend. Widnäs ist auch befreundet mit einem weiteren Urgestein der Handwerksszene von Fiskars: Kari Virtanen kam als Tischler in den Ort und gründete später den erfolgreichen Möbelhersteller Nikari, der inzwischen mit Woodnotes eine Partnerschaft eingegangen ist. Und hier kommt Johanna Vuorio ins Spiel. Nachdem sie jahrelang für den finnischen Möbelhersteller Avarte gearbeitet hatte, warb Virtanen sie ab. Er hatte sie dazu auserkoren, aus seiner Tischlerei ein international agierendes Möbelunternehmen zu machen. Dass sie regelrecht Angst vor der Aufgabe und einige schlaflose Nächte hatte, sieht man ihr nicht an, als sie uns ihren Arbeitsplatz zeigt und die Werkstatt, in der die technisch schwierigen Stücke noch immer handgefertigt werden.
Hier arbeitete einige Jahre lang auch Antrei Hartikainen, den wir später in seiner Studiowerkstatt besuchen, die er sich mit anderen Handwerker*innen teilt. Er hat es erstaunlicherweise ganz ohne Studium geschafft, in die internationale Designszene vorzudringen, war Stipendiat in Schloss Hollenegg und gewann letztes Jahr den Scandinavian Design Award als Newcomer. Hartikainen, Vuorio, Widnäs und Virtanen sind allesamt Mitglieder von Onomo, einer Kooperative von Künstler*innen, Designer*innen und Handwerker*innen, die sich vor dreißig Jahren in Fiskars gegründet hat und eine wichtige Rolle in der Dorfstruktur spielt. Sie verfügt nicht nur über eine Galerie und einen Shop, sondern veranstaltet auch regelmäßig Ausstellungen. Und so ist die Kooperative zum Gründungsjubiläum ein maßgeblicher Bestandteil der diesjährigen Fiskars Village Art & Design Biennale.
Zerbrechliches in der Kupferschmiede
Onoma bespielt die historische Kupferschmiede, wobei die große Halle lichtdurchflutet ist, was ein schönes Ambiente ergibt. Die von Marja Sakari kuratierte Ausstellung steht unter dem Motto Fragile. Sie wollten „den Geist und die Widerstandsfähigkeit der in Fiskars lebenden Künstler honorieren“, so die Veranstalter*innen. Dabei kreisen die Arbeiten um so unterschiedliche Sujets wie die fragile Natur und das Vergehen der Zeit, weshalb einige Künstler*innen das Verschwinden von Handwerkstraditionen thematisieren. Was sogleich auffällt ist die Diversität der ausgestellten Arbeiten, auch die Materialien betreffend. Dabei dominieren klassischerweise Keramik, Holz und Glas. Für die Jubiläumsausstellung der Kooperative wurden ausschließlich Mitglieder ausgewählt und ehemalige Stipendiat*innen, erzählt Hartikainen.
Der 34-Jährige ist auch dabei und zeigt drei Skulpturen unter dem Titel Invisible Fragility. Gefertigt aus Lindenholz, sollen sie „die Verletzlichkeit, Zerbrechlichkeit und Schönheit der Natur sowie des menschlichen Geistes und Körpers“ versinnbildlichen, so der Designer. Auch einige bereits verstorbene Künstler*innen, die einst in Fiskars arbeiteten, sind Teil der Ausstellung. Besonders ins Auge stechen die fantastischen und überaus kunstvollen Körbe aus Weidengeflecht von Markku Kosonen und die textilen Wandbehänge von Howard Smith. Es gibt viele Arbeiten aus Keramik zu sehen, darunter auch Wandfliesen von Karin Widnäs. Eine Ausreißerin das Material betreffend ist Katja Öhrnberg, die aus gesammeltem Plastikmüll ein riesiges „Wandgemälde“ erschaffen hat, das je nach Lichteinfall farblich immer wieder anders wirkt.
(Industrie-)Design: die Ausstellung Surprise Guest
Während in der Ausstellung Fragile das (Kunst-)Handwerk dominiert, ist der zweite inhaltliche Eckpfeiler der Biennale dem Design vorbehalten – in Form von finnischen Herstellern wie Artek, Nikari, Woodnotes, Vaarnii und Fiskars. Nachdem bei der letzten Ausgabe Tiny Houses als Ausstellungsorte dienten, wurde die obere Etage des historischen Getreidespeichers in Analogie eines Wohnhauses eingerichtet – mit Veranda, Lobby, Bibliothek, Wohn- und Esszimmer, Küche, Schlaf- und Badezimmer. Weshalb diese Art der Szenographie gerade so beliebt ist – man denke nur an die diesjährige Ausstellung über das Werk der französischen Designerin Inga Sempé in der Mailänder Triennale – liegt auf der Hand: Die Besucher*innen können sich mit den Räumen und den Ausstellungsstücken identifizieren, sie wirken vertraut, weniger museal.
Wer regelmäßig auf Messen wie Salone del Mobile, Stockholm Furniture Fair und 3daysofdesign unterwegs ist, wird in der Schau nicht unbedingt viel Neues entdecken, zumal einige Entwürfe schon Jahrzehnte alt sind. Doch wird hier das finnische Design in seiner Ganzheit präsentiert, was plakativ und gleichzeitig erhellend ist. Und ab und zu entdecken nicht-finnische Besucher*innen auch Hersteller, die sie vorher noch nicht kannten. Da sind beispielsweise die charmanten Rattanmöbel und -körbe von Parolan Rottinki und auch die Matratzen von Villa & Peite, die mit den textilen Arbeiten von Johanna Gullichsen bezogen sind. Die Ausstellung ehrt auch einen Meister des finnischen Designs, der im letzten Jahr seinen 90. Geburtstag feierte und bei Avarte übrigens ein Mentor von Johanna Vuorio war, wie sie uns im Showroom von Nikari erzählte. Yrjö Kukkapuro von Studio Kukkapuro hat in der Ausstellung die Bibliothek eingerichtet – mit einem Schaukelstuhl für Kinder aus dem Jahr 1959 und einem Bambussessel, der für den chinesischen Markt entstanden ist. Die Schau Surprise Guest paart jeden Raum mit den Arbeiten verschiedener Künstler*innen, was einen zusätzlichen temporären Touch in die Installation bringt. So treffen die brutalistischen Holzmöbel von Vaarnii auf eine textile Wandkreation von Yesim Akdeniz und im Schlafzimmer ziehen die Objekte von Kim Farkas alle Blicke auf sich.
Im Erdgeschoss des ehemaligen Getreidespeichers kommen kauffreudige Besucher*innen dann auch noch voll auf ihre Kosten. Im Designshop der Biennale locken Glasvasen aus der Kollektion Melt von Antrei Hartikainen, Necessaires aus den Stoffen von Johanna Gullichsen, Kleiderhaken aus Rattan von Parolan Rottinki und gewebte Badetücher im Wellenmuster von Lapuan Kankurit.
Fiskars Village Art & Design Biennale
fiskarsvillagebiennale.comOnoma
Cooperative of Artists, Designers and Artisans in Fiskars/Ausrichter der Fiskars Village Art & Design Biennale
onoma.fiLuovi Productions
Ausrichter der Fiskars Village Art & Design Biennale und der Helsinki Design Week
www.luovi.com