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Skulpturen für den Alltag

Museum Ludwig widmet Isamu Noguchi eine Retrospektive

Das Museum Ludwig in Köln widmet Isamu Noguchi eine große Einzelschau und zeigt ihn als interdisziplinären, interkulturellen sowie politischen Künstler. Lange war er wegen seiner erfolgreichen Designobjekte in der Kunstwelt nicht richtig anerkannt. Noguchi selbst hat diesen Unterschied nie gesehen: Für ihn war jeder Entwurf Skulptur.

von Kathrin Spohr, 30.03.2022

Dass Isamu Noguchi (1904-1988) eine umfassende Retrospektive gewidmet wird, könnte für Verwunderung sorgen. Denn bekannt ist der japanisch-amerikanische Bildhauer in Europa nur wenig und wenn, dann nicht als Künstler, sondern eher für ikonische Designobjekte wie seinen skulpturalen Coffee Table oder die legendären Akari-Leuchten aus Papier und Bambus. Dabei war Noguchi einer der großen Bildhauer des 20. Jahrhunderts. Ein Multitalent mit facettenreichem Œuvre, darunter Denkmäler, Skulpturen, Bühnenbilder, Spielplätze und Gärten. Gerade sein vielschichtiger Ansatz macht Noguchi heute so faszinierend. Mit der Schau gibt das Museum Ludwig nun anhand von 150 Arbeiten Einblicke in alle Schaffensphasen seines interdisziplinären und interkulturellen Werks und präsentiert ihn als experimentierfreudigen und politisch engagierten Künstler.

Global Citizen
Isamu Noguchi, Sohn einer irisch-amerikanischen Mutter und eines japanischen Vaters, wurde in Los Angeles geboren und war immer auf der Suche nach Identität – unabhängig von nationalen oder künstlerischen Kategorien. Er fühlte sich zwischen den unterschiedlichen Orten hin- und hergerissen. Sein Leben lang unternahm er – oft mehrjährige – Reisen nach Europa und Asien, nach Indien und Mexiko. Und sein Bezug zur  nationalen Zugehörigkeit wechselte ständig. Noguchi nahm die Besonderheiten der Orte, ihre Materialien und Traditionen auf und aktualisierte sie.Die Frage nach dem Verhältnis des Menschen zur Erde prägen sein Werk ebenso wie seine Faszination für Material, Form, Technik, Raumwirkung und Raumgestaltung. Noguchis Denken war in jeder Hinsicht grenzüberschreitend, transnational und radikal interdisziplinär. Seine Skulpturen folgen keinem wiederkehrenden Stil – oft sind sie nützlich, politisch, innovativ und erinnern an die Verbundenheit mit der Natur. Von den Zwanzigerjahren bis in die Achtzigerjahre fertigte Noguchi autonome Skulpturen, Denkmäler mit politischer Aussage – auf der Suche nach der Verbindung von Kunst und Leben. In einer Zeit, in der gerade Quantenmechanik, Kernenergie, künstliche Herzen und DNS-Sequenzierung entwickelt wurden.

Innovative Materialien
Die Retrospektive im Museum Ludwig in Köln beginnt mit Porträts – Köpfen und Figuren, figurativ und abstrakt. Es ist ein Panorama seiner sozialen Kontakte in aller Welt und seiner künstlerischen Auffassungen. Zu sehen ist etwa ein selten gezeigtes Selbstporträt als Junge mit blauen Augen. Herausstechend ist auch eine 1929 gefertigte Bronzebüste seines Freundes Buckminster Fuller, die Noguchi mit glänzendem Chrom überzog, einem damals neuen Material, das in der Automobilherstellung und im Industriedesign eingesetzt wurde.Die erste Zusammenarbeit, die sich aus dem Dialog zwischen Noguchi und dem Architekten Fuller ergab, war das Gipsmodell von Fullers Dymaxion Car (1932-33) aus Aluminium. Der Prototyp eines aerodynamischen Fahrzeugs, von dem Fuller hoffte, es würde irgendwann eine Fortbewegung zu Land, zu Wasser und in der Luft ermöglichen.

Vielseitige Dialoge
Im Zentrum der Ausstellung stehen Noguchis surrealistische Skulpturen. Die sogenannten Interlocking Sculptures erinnern teilweise an menschliche Körper, deren Elemente wie Glieder oder Knochen ineinandergreifen. Spielerische Komposition und Fragmentierung verbinden sich in diesen Gebilden, die irgendwie auch immer zum Benutzen einladen. Beispielsweise das Werk Spider Dress, ein Metallkleid mit „feinen Fühlern“, entworfen für die avantgardistische Tänzerin Martha Graham, möchte man am liebsten mal „anziehen“. Was natürlich nicht möglich ist. Doch die knallrote Play Sculpture (1965/2021), eine wellenförmige Gartenbank, darf man tatsächlich ausprobieren.

Papierleuchten und Schachspiele
In diesem Bereich der Ausstellung begegnet man auch den Lichtskulpturen Akari. Ein Japanaufenthalt im Jahr 1951 brachte Noguchi auf die Idee, bei den traditionell gefertigten Leuchten aus Washi-Papier und Bambusrute die Kerzen im Inneren durch elektrische Glühlampen zu ersetzen. Und damit „eine neue Kunst in eine alte Kunst“ einzuführen, wie er selbst sagte.
Zu den Interlocking Sculptures gehören auch der legendäre Coffee Table aus Glas und Holz sowie der herausragende Chess Table. Noguchi hatte ihn für die Ausstellung The Imagery of Chess (1944/45) in der New Yorker Julien Levy Gallery entworfen, eine der experimentellsten Galerien zu dieser Zeit. Dort waren verschiedenste Künstler*innen eingeladen worden, ihr eigenes „Schach-Set“ zu entwerfen. Das Magazin Newsweek ehrte Noguchis Tisch damals als „the most beautiful piece in the show“.

Leben in der Wüste
Das Fundament seines Lebens und Werks bildete die Auseinandersetzung mit sozialen und politischen Fragen. Gegenpositionen zu Rassismus und Gewalt, aber auch Fragen nach Identität spiegeln sich in vielen Kunstwerken Noguchis wider. Seine eigene Erfahrung mit Rassismus gipfelte 1942 in einem freiwilligen, mehrmonatigen Aufenthalt in einem der Internierungscamps in Arizona. Es war Noguchis Protest gegen die Tatsache, dass die amerikanische Regierung nach dem Angriff auf Pearl Harbour 120.000 Amerikaner*innen japanischer Abstammung in Lagern einsperrte. Die neue Ausstellung in Köln präsentiert nun Noguchis Masterplan für einen Park in der Wüste, den er damals dort entwickelte, der jedoch nie umgesetzt wurde.

Außerirdische Perspektive
Im letzten Raum der Ausstellung wartet das Museum mit Noguchis Entwurf für die Sculpture to Be Seen from Mars (Memorial to Man) auf. Die Arbeit wurde 1947, zwei Jahre nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki, konzipiert, jedoch nie realisiert. Seit seinen frühen Entwürfen für Spielplätze betrachtete Noguchi die Erde als künstlerisches Material. Bei Sculpture to Be Seen from Mars (Memorial to Man) entwarf er eine außerirdische Perspektive auf unseren Planeten – zu einer Zeit, in der Reisen ins All noch nicht möglich waren. Der Entwurf ist als riesige Projektion dargestellt: Auf der Oberfläche der Erde erscheint ein riesiges menschliches Gesicht, eine Erinnerung an die Menschheit, die die Erde mit Kultur geformt, aber auch zerstört hat. Eine Skulptur also, die unvermittelt einen Dialog anzettelt: bedrückenderweise einen zur Gegenwart.


Die Ausstellung läuft bis zum 31.07.2022. Sie wurde vom Museum Ludwig in Köln, dem Zentrum Paul Klee in Bern sowie dem Barbican in London kuratiert und zusammen mit dem LaM – Lille Métropole Musée d’art moderne, d’art contemporain et d’art brut organisiert.

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Museum Ludwig

museum-ludwig.de

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