Alles auf einmal
Die Bundeskunsthalle in Bonn feiert die Postmoderne
Im Rahmen ihres 30-jährigen Jubiläums präsentiert die Bundeskunsthalle in Bonn die Ausstellung „Alles auf einmal: Die Postmoderne, 1967-1992“. Aus unterschiedlichen Perspektiven liefert sie Annäherungen an eine Zeit, die seit jeher ambivalent diskutiert wird. Die spektakuläre Inszenierung von Nigel Coates zusammen mit der Grafik von Neville Brody lässt die Besucher*innen in den Spirit einer exzentrischen Welt eintauchen.
„I’m a postmodernist“, bekennt der britische Architekt und Designer Nigel Coates. Gustav Peichl hingegen, Architekt der Bundeskunsthalle in Bonn, soll es abgelehnt haben, als solcher bezeichnet zu werden. Das 1992 eröffnete Ausstellungsgebäude mit seinen strengen Geometrien und den drei charakteristischen Lichtkegeln auf dem Dach wird jedoch der Postmoderne zugeordnet. Nur eines von vielen Beispielen, das die kontroverse Wahrnehmung der Postmoderne zeigt, die gern als rein visuelle Erscheinung abgetan wird.
Alles gleichzeitig
Was, warum und wann ist also die Postmoderne? Für die Kurator*innen Eva Kraus und Kolja Reichert beginnt sie 1967, als die Moderne mit ihren gleichen Häusern, Möbeln und Rechten für alle verabschiedet wurde und eine „neue, bizarre und exzentrische Welt“ entstand. Architekt*innen erklärten den Vergnügungspark zur idealen Stadt, Designer*innen befreiten sich von einer rein funktionalen Gestaltung und bewegten sich hin zu einem „Form follows emotion“. Anstelle von Systemkämpfen ging es um Selbstverwirklichung. Durch neue Medien begann eine Synchronisation des Globus. Bilder wurden zur Bühne, auf der man um Anerkennung rang. Das Zitieren wurde zum alles verbindenden Stilmittel. „Es ist eine Ära der Pluralität, wo aus unterschiedlichen Kulturen, Zeiten und Stilen die Dinge parallel existieren dürfen“, so Eva Kraus. „Eine ganz fantastische Zeit, in der viel entstanden ist, das unsere Gegenwart betrifft. Das wollen wir mit dieser Ausstellung feiern.“
Grenzen durchbrechen
Was die umfassende Schau so sehenswert macht, ist die Tatsache, dass der Architekt und Designer Nigel Coates sowie der Grafiker Neville Brody, beide berühmte Größen der Postmoderne, die Ausstellung im passenden Geist gestaltet haben. Obwohl Alles auf einmal: Die Postmoderne, 1967-1992 chronologisch in Kapiteln („Das Erwachen der Medien“, „Ruinen der Moderne“, „Anything goes“, „Protect me from what I want“, „Nichts ist mehr real“, „Kultur und Kapital“, „Das Ende der Geschichte“) durch vieles führt, das zwischen 1967 und 1992 tonangebend war, wirkt die Ordnung alles andere als streng oder museal kontemplativ.
Die Besucher*innen landen zunächst in einer großen Halle, die voller, poppiger, glamouröser und schriller nicht wirken könnte. Ganz der Programmatik der Ausstellung entsprechend ist es „alles auf einmal“, ohne jedoch plump zu wirken. Stattdessen wirkt es eher mutig und elegant, weil eben alles bis ins kleinste Detail so gut gestaltet ist. Nigel Coates hat eine Straße inszeniert, die von riesigen, bunten Billboards flankiert wird, auf denen Ausstellungsmotive und -themen in großen „Bonnster“-Lettern – die neue Hausschrift der Bundeskunsthalle von Neville Brody – zu sehen sind. Dazwischen die Exponate im Mix and Match unterschiedlichster Medien – Fotografien, Drucke, Objekte, Möbel, Modelle, Mode, Videoscreens, Zeichnungen – an Wänden, in Vitrinen, auf Podesten. Überdimensioniert große Bücher dienen als Hörbuchkabinen. Wandmodule werden zu riesigen Architekturen, antike Säulen zu weiteren Hinguckern. „Es sieht nicht genau wie eine Stadt aus, aber es fühlt sich so an. Das ist der Punkt!“, erklärt Coates.
Entfesseltes Spektrum
Mehr als 350 Werke von über 120 Künstler*innen aus Disziplinen wie Architektur, Design, Film, Kunst, Literatur, Medien, Mode, Musik oder Philosophie erzählen vom Beginn der Informationsgesellschaft, von der Entfesselung der Finanzmärkte, von der großen Zeit der Subkulturen, von Disco, Punk und Techno-Pop, von Schulterpolstern und radikalem Design – aber auch vom Boom der Kulturtempel, dem die Ausstellung ihr größtes Exponat verdankt: die Bundeskunsthalle selbst.
Viele bekannte Möbel und Objekte – von Alessandro Mendini, Javier Mariscal, Michael Graves, Gaetano Pesce, Renzo Piano, Ettore Sottsass, Bořek Šípek, Studio 55 und vielen weiteren Gestalter*innen – begleiten die gesamte Ausstellung. Es sind aber auch seltener gezeigte Arbeiten zu sehen, etwa die überbordenden Landschaften aus The Planet as Festival (1973), wie Ettore Sottsass eine Serie seiner Zeichnungen nannte. Oder Hans Holleins skurriles Mobiles Büro (1969), das als transparentes und pneumatisches Ein-Personen-Zelt aus PVC-Folie eine neue Arbeitswelt darstellte. Um Alltagsmobilität ging es auch bei Walter Pichler, der das Wohnzimmer im Zeitalter von TV und Medien auf einen bizarren, tragbaren Helm minimierte (TV-Helm, 1967).
Learning from Postmodernism
Nigel Coates spielt mit Dimensionen, mit kurzen und langen Sichtachsen, setzt bewusst auf Überlagerungen und vergleicht dies mit einem Rap. Den Tawaraya Boxing Ring (Masanori Umeda für Memphis Milano, 1981) nicht nur zusammen mit Alessandro Mendinis Proust Sessel (1987/1988) oder Sottsass’ erbeerfarbenen Spiegeln Ultrafragola (1970) zu erleben, sondern auch im Umfeld der Replika-Siebdrucke Warhol Flowers (1969) der Konzeptkünstlerin Elaine Sturtevant, von Sex-Pistols-Plattencovern, Gianni Versaces glamourösen Schulterpolsterkleidern oder auch dem Mietvertrag zwischen UDC/Commodore Redevelopment Corporation und Wembley Realty Inc./Donald Trump (1977, legte den Grundstein für das Donald-Trump-Imperium), ist außergewöhnlich und rückt die einzelnen Exponate ganz unmittelbar in ein anderes Licht. Man betrachtet sie im Zusammenhang unterschiedlicher Einflüsse, Querbezüge und Ausformungen des Zeitgeschehens.
Disco-Kabinett
Wenn Coates erzählt, dass für ihn der Nachtclub eine Art Universität des Lebens war, dann ist es auch nicht verwunderlich, dass es einen extra Raum gibt, dunkel gehalten und mit schimmernder Disco-Kugel an der Decke, der ganz der angesagten Club-Szene der 1980er-Jahre, etwa dem legendären Blitz Club in London oder dem Studio 54 in New York, gewidmet ist. Es ist eine inspirierende und spektakulär gesampelte Gesamtinszenierung. Sie verkörpert wunderbar das „anything goes“ der Postmoderne.
Alles auf einmal: Die Postmoderne, 1967 – 1992
Noch bis zum 28. Januar 2024 in der Kunsthalle in Bonn