Die neue deutsche Leichtigkeit
Zu Besuch beim Salone di Aschau

Heiteres Designfest, ausgelassenes Happening: Der „Salone di Aschau“ versammelte für einen Tag junge Gestalter*innen sowie Möbel- und Designmarken aus ganz Deutschland in den Chiemgauer Alpen. Die treibende Kraft hinter dem ungewöhnlichen Ausstellungsformat war der Hersteller Nils Holger Moormann.
Wenn es ein Symbol für den Salone di Aschau gab, dann waren es die Wanderstöcke. Die „Open Design“-Klasse der Hochschule für Bildende Künste Hamburg hatte die Besucher*innen eingeladen, Buchenholzstäbe selbst zu gestalten. Unter Anleitung der Studierenden konnten die Stäbe gebogen, geschwärzt, gebohrt, mit roten Seilen oder einer Plakette versehen werden. Die Aufgabe machte sichtlich Spaß: Mit aller Kraft wurden Stäbe in Biegeformen gepresst oder über offener Flamme gedreht und gewendet. Irgendwann im Laufe des Nachmittags hatte gefühlt die Hälfte der Besucher*innen einen selbstgestalteten Wanderstock in der Hand.
Die Aktion der Studierenden sorgte nicht nur für gute Laune, sie brachte die Menschen auch spielerisch dazu, über Gestaltung nachzudenken. Braucht ein Wanderstock einen gebogenen Griff oder eine Schlaufe? Soll er lieber schlicht holzfarben sein oder mit dekorativem Muster versehen? Der Salone di Aschau sollte Menschen – Professionals genauso wie das allgemeine Publikum – im Zeichen des Designs zusammenbringen, so das Ziel der Macher*innen rund um den Möbelhersteller Nils Holger Moormann. Und das in dem kleinen Ort Aschau im Chiemgau, wo Moormann zu Hause ist, eine Autostunde von München entfernt, vor prächtiger Alpenkulisse. Die Wanderstöcke waren der Beweis: Ziel erreicht!
Aus einer Bierlaune
Salone di Aschau, der Name des Designfestes, ist natürlich eine Anspielung auf den Mailänder Salone del Mobile, das größte Treffen der internationalen Möbel- und Einrichtungsbranche. Seit 2006 zeigt Nils Holger Moormann seine Produkte dort nicht mehr. Der Grund: zu groß, zu unübersichtlich, zu wenig Aufmerksamkeit für einen kleineren Hersteller. Stattdessen gab es in diesem Jahr nun erstmals ein „kollaboratives Designfest und Ausstellungsformat“, wie es die Macher*innen selbst nennen, am Firmensitz in Aschau, der Teil einer malerischen historischen Anlage mit Festhalle, Pferdestall und Glockenturm ist. Ein reizvoller Ort war also vorhanden. Für das Programm des Designfestes taten sich Moormann-Geschäftsführer Christian Knorst und Marketing- und Designchef Robert Christof mit Patrick Henry Nagel und Nils Körner vom Designstudio Haus Otto zusammen.
Moormann und Haus Otto aktivierten die jeweiligen Netzwerke und luden deutsche Design- und Möbelhersteller sowie junge Gestalter*innen ein. Die Marken Bottone, Dante Goods and Bads, Loehr, Mono, Tecta und natürlich Moormann selbst zeigten ausgewählte Produkte und Prototypen im ehemaligen Pferdestall und unter freiem Himmel auf dem Hof. Dazu kamen Aktionen und Projekte wie die Wanderstöcke der „Open Design“-Klasse aus Hamburg. Auf dem Programm standen außerdem eine Soundperformance des Berliner Designers Lukas Marstaller und eine weitere Mitmach-Aktion von der Kölner Gestalterin Hannah Kuhlmann. Dazu waren Designobjekte von Studio Œ, Johanna Seelemann, Oliver-Selim Boualam oder Haus Otto ausgestellt. „Aus einer Bierlaune heraus“ sei die Idee für den Salone di Aschau entstanden, erzählt Christian Knorst. Der Jurist hatte das Unternehmen vor vier Jahren vom Gründer Nils Holger Moormann übernommen. „Der Salone ist ein Experiment für uns.“ Sein Anliegen: Gleichgesinnte treffen, sich austauschen, Menschen für Möbel begeistern.
Gemeinsamkeit statt Konkurrenz
Und Begeisterung war tatsächlich spürbar an diesem Samstagnachmittag. Der Salone di Aschau hatte den Charakter eines Festivals, eines Happenings. Überall war was los, überall gab es was zu sehen und zu tun. Es wurde viel geredet, viel gelacht und bereitwillig in der Schlange auf das Softeis gewartet, das Johannes Seibel von Mono persönlich ausgab – inklusive eines gravierten Löffels des Besteckherstellers als Geschenk. Eine gewisse Leichtigkeit lag in der Luft, und das in einer für die Möbelbranche wirtschaftlich durchaus krisenhaften Zeit. Dieses Gefühl von Leichtigkeit hat viel mit der Offenheit von Moormann zu tun: Statt, wie in der „Corporate Culture“ oft üblich, die eigene Marke als etwas Einzigartiges, Unvergleichliches zu stilisieren, holten sich Christian Knorst und Robert Christof die Konkurrenz buchstäblich ins Haus. Wobei: „Der Möbelmarkt ist riesig, wir sind so ein Mini-Mini-Mini-Angebot, ich sehe keine Konkurrenz“, sagt Knorst. Alle beteiligten Marken seien gleichgesinnte Unternehmen – klein, eigentümergeführt, mit einer ähnlichen Haltung.
„Wir finden es bemerkenswert, dass Moormann als etablierte Marke und Unternehmen eine extrem offene, kollaborative und im positiven Sinne radikale Initiative ergriffen hat“, sagt David Löhr von der Berliner Möbelmarke Loehr, die ebenfalls in Aschau ausstellte. „Es zeigt, dass im Grunde viel mehr Offenheit, Kollaborationsbereitschaft und Beweglichkeit in einer sonst eher trägen Branche möglich ist. Und bei aller Notwendigkeit, die der Initiative zugrunde liegen mag – in einem sich aktuell stark verändernden Markt – finden wir, dass der Salone di Aschau vor allem eines zur Schau gestellt hat: die Kreativität, die uns alle vereint.“ Statt Konkurrenz also Gemeinsamkeit. Und auch dank der Beiträge der beteiligten Designer*innen und Studierenden zeigte der Salone di Aschau einen guten Querschnitt durch das, was deutsches Design heute sein kann. Junge Unternehmen wie das in diesem Frühjahr gestartete Bottone standen neben traditionsreichen Herstellern wie Tecta oder Mono, die sich im Heute neu positionieren.
Hoch zur Kampenwand
Anne-Sophie Oberkrome und Lisa Ertel von Studio Œ, die auch die Hamburger „Open Design“-Klasse betreuen, sind ebenfalls begeistert: „Es tat gut, die kollektive Verbindlichkeit einzugehen, nach Aschau zu kommen und sich voll und ganz auf den Ort, das gemeinsame Programm und die Menschen einzulassen. Die überschaubare Größe war ein Pluspunkt: Wir konnten uns für alles und alle Zeit nehmen. Das ungezwungene Zusammensein unterschiedlichster Positionen aus dem Design und die einladenden, ausgelassenen Momente vor atemberaubender Bergkulisse haben uns durch den Nachmittag bis in die Nacht getragen.“ Das Fazit der beiden Designerinnen: „Der Salone di Aschau hat für uns das Potenzial, zu einem jährlichen Ritual kurz vor der Sommerpause zu werden.“
Die Wanderstöcke konnten übrigens am nächsten Morgen auch gleich zum Einsatz kommen. Denn das Programm des Salone di Aschau endete nicht mit der nächtlichen Party, sondern am nächsten Tag, mit einer gemeinsamen Wanderung auf die über Aschau thronende Kampenwand.
FOTOGRAFIE Julia Sang Nguyen Julia Sang Nguyen
Salone di Aschau
www.moormann.deMehr Stories
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