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Blick über den Gartenzaun

Die Ausstellung Garden Futures im Vitra Design Museum

Vom Liegestuhl zum Vertical Farming: Die neue Ausstellung „Garden Futures“ im Vitra Design Museum in Weil am Rhein zeigt Geschichte und Gegenwart der Gartengestaltung und räumt dabei mit dem Klischee des idyllischen Feierabend-Paradieses auf. Artensterben, Klimawandel, Kolonialismus: Zwischen Beet und Wiese gedeihen die ganz großen Themen.

von Jasmin Jouhar, 03.04.2023

Es ist der Lebenstraum vieler Menschen, das Haus mit Garten. Und wenn es dazu nicht reicht, dann soll es wenigstens ein Schrebergarten sein oder neuerdings vielleicht eines dieser gemieteten Gemüsebeete auf einem Acker am Stadtrand. Auf jeden Fall ein eigenes Stück Land, das kleine Idyll für den Feierabend. Dabei lauern im Grün ein paar der größten Übel des menschlichen Daseins. Und damit sind nicht Nacktschnecke, Mehltau und Giersch gemeint. Die Geschichte des Gartens ist ganz und gar nicht idyllisch: Armut und Ausbeutung, Kolonialismus und Rassismus und, ganz aktuell, Artensterben und Klimakrise. All das gedeiht prächtig zwischen Beet, Wiese und Hecke. Der Garten als Schauplatz von politischen, sozialen und kulturellen Diskursen, als Ort, an dem über die Zukunft der Menschheit mitentschieden wird – die neue Ausstellung Garden Futures: Designing with Nature im Vitra Design Museum schwelgt, wenn überhaupt, nur am Rande im kleinen Glück der Hobbygärtner*innen.

Garten neben dem Atomkraftwerk
Garden Futures begreift den Garten als Metapher für „zirkuläres Denken“, wie der Museumsdirektor Mateo Kries anlässlich der Pressekonferenz sagte. Es sei entscheidend, so ergänzte Aric Chen, dass wir unsere Beziehung zur Natur und zu anderen Lebewesen neu gestalten. Chen ist Direktor des Rotterdamer Het Nieuwe Instituut, das die Ausstellung gemeinsam mit dem Vitra Design Museum konzipiert hat. Zum Team der Kurator*innen gehören Viviane Stappmanns und Nina Steinmüller vom Designmuseum und Maria Heinrich und Marten Kuijpers aus Rotterdam. So sehen die Besucher*innen im Museum auf dem Vitra-Campus in Weil urbane Gemeinschaftsgärten in New York und Amsterdam, Gärten im Schatten von Atomkraftwerken und Hochspannungsleitungen, ein karges Felseneiland im Mittelmeer und Bauminseln in äthiopischer Steppe. Der manikürte Einfamilienhaus-Rasen unserer Breiten kommt lediglich als Hintergrund für farbenfrohe Pestizid-Verpackungen oder die Systemdesign-Gartengeräte von Franco Clivio für Gardena vor.

Martialisch markierte Grenze
Dabei fängt es im ersten von insgesamt vier Ausstellungsräumen ganz harmlos an. An den Wänden hängen grüne Tafeln in hellen Holzrahmen, darauf präsentiert eine Taxonomie der Gartengeräte: Spaten, Rechen, Schere, Astsäge und Harke. In einer Nische eine Auswahl von Gartenstühlen und -liegen aus der Sammlung des Museums, davor eine grüne Polsterinsel zum Lümmeln. Doch schon die Zaunelemente an der Wand neben dem Eingang deuten an, dass das Ganze vielleicht doch nicht so harmlos ist: Es gibt ein Drinnen und ein Draußen – und diese Grenze kann durchaus martialisch markiert werden mit schmiedeeisernen Spitzen, die an Lanzen oder Speere erinnern. Der Hortus conclusus, der von Mauern oder Zäunen umschlossene Grünraum, ist ein Motiv der europäischen Kunstgeschichte seit dem Mittelalter und die idealtypische Definition des Gartens in vielen Kulturen. Ein Stück kultivierte Natur, in dem der Mensch vor der Wildnis geschützt ist. Das kleine Paradies, aus dem einen niemand vertreiben kann.

Politik im Grünen
Eine Medieninstallation lässt berühmte Gärten und Gartendarstellungen Revue passieren und zeigt, wie Menschen seit jeher mit der Gestaltung von Grünräumen ihrem Verhältnis zur Welt Ausdruck verliehen haben. Im zweiten Raum eine Vitrine zur Gartenstadt-Bewegung: Ihr Initiator Ebenezer Howard wollte nicht nur den ärmeren Bevölkerungsschichten die Möglichkeit zur Selbstversorgung geben. Für ihn waren Gärten selbstverständliche Teile eines übergreifenden urbanistischen Konzepts. Eine weitere Vitrine zeigt die umgekehrte Perspektive: Die Gemeinschaftsgärten in New York City sind gerade nicht Ergebnis gezielter Planung. Seit Ende der Sechzigerjahre besetzte die Guerilla Gardening-Bewegung Brachflächen in der Stadt und verwandelte sie in einem Akt zivilen Ungehorsams in Gärten. In der Vitrine daneben der sogenannte Wardsche Kasten, eine Art tragbares Gewächshaus. In ihm konnten im 19. Jahrhundert erstmals lebende Pflanzen aus den Kolonien nach Europa gebracht werden. Vieles, was heute auf unseren Grünflächen wächst, ist ein Produkt der Kolonialgeschichte. Mit diesen Schlaglichtern gelingt es Garden Futures, die Verwurzelung der großen politischen und sozialen Themen im Grünen anschaulich zu machen. Was aber fehlt, ist der sinnliche Eindruck: Wie es riecht in einem Garten, wie sich Erde und Pflanzen anfühlen, welche Geräusche zu hören sind, bleibt der Vorstellungskraft der Besucher*innen überlassen. Die Ausstellungsarchitektur vom italienischen Duo Formafantasma schafft zwar einen so ästhetischen wie aufgeräumten Rahmen für die Exponate. Die grüne Auslegeware auf dem Fußboden ist aber eher eine Verlegenheitslösung.

Inspiration vor der Tür
Die Inspiration für die Ausstellung gedieh übrigens vor der Tür des Museums, wie die Kuratorin Viviane Stappmanns bei der Pressekonferenz sagte. Als der niederländische Gartengestalter Piet Oudolf 2020 zum 80. Geburtstag von Rolf Fehlbaum auf dem Campus einen Garten anlegte, entstand im Museumsteam der Wunsch, das Thema zu vertiefen. Zur Eröffnung der Ausstellung zeigte sich das Areal zwischen dem Vitra-Haus und der vom portugiesischen Architekten Álvaro Siza entworfenen Produktionshalle saisonbedingt allerdings noch in einem recht tristen Braun in Braun. Lediglich erste Frühblüher ließen sich blicken. Piet Oudolfs eigener Garten in Hummelo wiederum ist eines von neun Fallbeispielen, die die Kurator*innen im dritten Ausstellungsraum präsentieren. Moderne und zeitgenössische Projekte von berühmten Landschaftsarchitekt*innen wie dem Brasilianer Roberto Burle Marx, aber auch einer der Produktionsgärten des Kosmetikunternehmens und Sponsors der Ausstellung Weleda werden mit Skizzen, Plänen, Fotos, Gegenständen und Filmen dokumentiert.

Blühende Zukunft
Im vierten Raum schließlich der Ausblick in die titelgebenden „Zukünfte“ des Gartens: Künstlerin Alexandra Kehayoglou hat einen großen Wollteppich ausgebreitet, der die Wildblumenblüte auf einer griechischen Insel nachempfindet. Einmal im Jahr für kurze Zeit erblüht die karge Felseninsel in vielen Farben. Doch das Naturschauspiel ist bedroht von der Klimakrise. Keiner weiß, so berichtete Viviane Stappmanns beim Rundgang, wie oft es sich noch ereignen wird. „Die Idee des Gartens wandelt sich“, so die Kuratorin. Er sei nicht mehr abgegrenzt gegen die Wildnis, sondern ein Ort, wo wir die Wildnis schützen. Diese Umkehrung macht die Luftaufnahme eines äthiopischen Kirchgartens anschaulich. In dem heiligen Raum um das orthodoxe Gotteshaus gedeihen noch all die Bäume und Pflanzen, die rundherum längst gerodet wurden, um eine wachsende Bevölkerung mit Nahrung zu versorgen. Wie eine grüne Insel schwebt der Garten in der beigefarbenen Steppe.

Die Schau entlässt ihre Besucher*innen aber optimistisch, mit einem Ausblick auf ein Panorama des zukunftsträchtigen Gärtnerns. Ob Gewächshäuser auf Hausdächern, nachhaltige Aquakultur, Waldgärten oder vertikale Farmen – es gibt viele Strategien, mit Gärten die Welt wenigstens ein bisschen zu retten. Und der Frühling ist genau die richtige Zeit, um damit anzufangen.



Garden Futures: Designing with Nature
bis 3. Oktober 2023 im Vitra Design Museum

Danach wird die Ausstellung im Design Museum Helsinki und dem Museum of Finnish Architecture (10. November 2023 bis 1. April 2024), im Vandalorum in Värnamo, Schweden (27. April bis 13. Oktober 2024), im Nieuwe Insituut in Rotterdam (November 2024 bis März 2025) und im V&A Dundee (April bis Dezember 2025) gezeigt.

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