Kunst & Potenz
Rollende Schönheiten vom Concorso d’Eleganza Villa d’Este 2024
Beim Concorso d’Eleganza treffen Raritäten der Automobilgeschichte auf Prototypen und legendäre Rennwagen. Diese werden vor der Kulisse des Grandhotels Villa d’Este am Comer See vom fachkundigen Publikum ebenso beäugt wie von einer 13-köpfigen Jury. So spannend wie die Fahrzeuge sind auch die Geschichten ihrer Besitzer*innen.
Es hat sich bereits angekündigt: Längst sind es nicht nur die Fünfziger- und Sechzigerjahre, die in der Gunst automobiler Sammelleidenschaft ganz oben stehen. Nach Ausflügen in die Siebziger und Achtziger sind nun die Neunziger im Olymp vierrädriger Schönheit angekommen. 52 Fahrzeuge konkurrierten in acht verschiedenen Klassen beim diesjährigen Concorso d’Eleganza, dem ältesten und renommiertesten Treffen seltener Fahrzeuge. Seit 1929 wird der Wettbewerb im Grandhotel Villa d’Este am Ufer des Comer Sees ausgetragen, das auch diesmal eine stilvolle Kulisse lieferte.
Seltener Garagenfund
Mit dem Alfa Romeo 8C 2300 gewann ein Spider aus dem Jahr 1932 den Hauptpreis Trofeo BMW Group – Best of Show. Der Wagen gehört zu nur zehn Exemplaren, die mit einer Karosserie des französischen Unternehmens Figoni & Falaschi ausgestattet wurden. Wie durch ein Wunder überlebte der Wagen gut gepflegt in einer Garage in Frankreich, bis er als fast vergessene Rarität wieder in die Öffentlichkeit rückte. So weit, so gut – so weit vorhersehbar. Doch für eine Überraschung sorgt der Publikumspreis Coppa d’Oro Villa d’Este, der am Samstag von den geladenen Gästen verliehen wurde. Während der knapp vierstündigen Parade auf der Hotelterrasse klarte der wolkenverhangene Himmel immer weiter auf. Als vorletztes Fahrzeug passierte bei strahlendem Sonnenschein ein McLaren F1 GTR die Jury-Tribüne.
Japanische Performance-Klinik
Vom 1995 lancierten Supersportwagen wurden 28 Exemplare für den Rennsport gebaut. Davon sind einige für den Alltagsverkehr umgerüstet wurden. Genau eines dieser Fahrzeuge mit Straßenzulassung und BMW S70/2 V12-Motor wurde von Motokatzu Sayama geordert, dem Chef der Ueno Clinic in Tokio. Der bekennende Autonarr wurde sogar Sponsor des McLaren F1 GTR, der 1995 das 24-Stunden-Rennen von Le Mans gewann. Funfact: Als das Fahrzeug die Ziellinie passierte, trug es einen gut sichtbaren Aufdruck jener Klinik, die sich auf eine besondere Behandlung spezialisiert hat: Penisvergrößerungen! Das straßentaugliche Auto ihres Besitzers mit der Chassisnummer 43 – es trägt die identische Lackierung in zwei Grautönen wie das Siegerfahrzeug von Le Mans – hat nun die begehrte Auszeichnung Coppa d’Oro Villa d’Este errungen, als erstes Fahrzeug aus den Neunzigerjahren überhaupt.
Honoriges Brummen
Die Trophäe Auto & Design für das Fahrzeug mit dem aufregendsten Design vergab die Jury an einen Aston Martin, DB4 GT Zagato aus dem Jahr 1960. Der Preis der BMW Group Classic für die beste Restaurierung ging an einen Bentley 3 Litre, Baujahr 1927. Die Poltrona Frau Trophy für das besterhaltene Interieur konnte ein Talbot Lago T26 Grand Sport aus dem Jahr 1953 für sich entscheiden. Die Karosserie stammt von Herman Graber, der den Wagen selbst für mehrere Jahre gefahren ist. Auch Klänge wurden am Comer See begutachtet: So vergab die Jury den Preis für den besten Motorengesang an einen Lamborghini Countach LP400 aus dem Jahr 1976. Dieser sorgte zudem mit seiner Farbe für Aufsehen: Das Modell ist eines von zwei Exemplaren in der originalen Lila-Lackierung Viola Salchi und wurde der Prinzessin von Saudi-Arabien als Hochzeitsgeschenk überreicht.
Votum der Jungen
Am Sonntag fand der Publikumstag des Concorso d’Eleganza im Park rund um die Villa Erba statt, die einst von Luchino Visconti bewohnt wurde. 12.000 Besucher*innen folgten dem Lockruf automobiler Schönheit. In einem speziellen Referendum konnten die jungen Besucher*innen im Alter von maximal 16 Jahren abstimmen. Auch hier gewannen die Neunziger. Der Lamborghini Diablo GT aus dem Jahr 1999 mit Bertone-Karosserie wurde von einem mexikanischen Sammler eingereicht. Es trägt die Nummer sechs von achtzig gebauten Exemplaren mit einer zusätzlichen Lufthutze auf dem Dach, um den 575 PS starken Motor zu kühlen.
Eine ehrenvolle Erwähnung der Jungen ging an den Ferrari 335 S aus dem Jahr 1957, der im selben Jahr die World Sports Supercar Championship gewann und am Straßenrennen Mille Miglia teilnahm. Der US-Regisseur Michael Mann (Heat, Miami Vice) ließ mehrere Kopien dieses Wagens anfertigen. Diese spielen in seinem neuen Film Ferrari eine zentrale Rolle, der auf den Filmfestspielen in Venedig 2023 debütierte und derzeit bei mehreren Streaming-Anbietern hohe Popularität genießt. Die Generation Netflix scheint ihr Interesse für automobile Historie zu entdecken.
Reise durch die Zeit
Für den Blick in die Zukunft sorgt beim Concorso d’Eleganza eine eigene Klasse für Prototypen. Bereits am Freitagabend stellte BMW das Roadster-Konzept Skytop vor: Eine Hommage an historische Vorläufer wie den BMW 507 (1959) oder den BMW Z8 (1999), der im James-Bond-Film Die Welt ist nicht genug zu sehen ist. Die Karosserie des Skytop ist elegant tailliert. Schmale Scheinwerfer verstärken die skulpturale Front im Sharknose-Profil. Auch in dieser Fahrzeugklasse wurde ein Publikumspreis vergeben. Der Concorso d’Eleganza Design Award ging an den Alfa Romeo 33 Statale Fuoriserie. Das zweisitzige Coupé (Design: Centro Stile Alfa Romeo, 2023) mit eindrucksvollen Flügeltüren ist eine Referenz an den gleichnamigen Vorgänger aus dem Jahr 1967, der als eines der schönsten Autos in die Geschichte einging. Nur 33 Exemplare umfasst die Neuauflage – als Verbrenner-Version mit 620 PS oder rein elektrisch mit 750 PS. Gebaut werden sie von dem Designstudio und Karosseriebauunternehmen Carrozzeria Touring Superleggera, das schon in den Sechzigern zahlreiche Kleinserien für Alfa Romeo umgesetzt hat.
Ausflug in die Kunst
Als Startschuss des Concorso d’Eleganza wurde am Freitagabend der 20. BMW Art Car präsentiert. Der Entwurf von Julie Mehretu erlebte drei Tage zuvor im Pariser Centre Pompidou seine Weltpremiere. Ausgangspunkt ist das monumentale Gemälde Everywhen (2021 – 2023), das derzeit in einer großen Einzelausstellung der New Yorker Künstlerin im Palazzo Grassi in Venedig präsentiert wird. Mehretu überführte das zweidimensionale Bildmotiv auf die Karosserie des neu gestalteten BMW M Hybrid V8 Rennwagens.
„Ich verstehe das Fahrzeug als performatives Gemälde – es ist für die Rennstrecke geschaffen und nicht fürs Museum“, erklärt Julie Mehretu nach der Enthüllung des Fahrzeugs am Comer See. Der Wagen wird am 15. und 16. Juni am 24-Stunden-Rennen in Le Mans teilnehmen, womit sich der Kreis zum Concorso d’Eleganza schließt. Denn viele der rollenden Schönheiten, die auch diesmal rund um die Villa d’Este zu sehen waren, haben an der legendären Rennserie teilgenommen und eines unter Beweis gestellt: Ästhetik und Performance gehen nicht immer, aber fast immer Hand in Hand.