Ikone der Moderne
Film über Eileen Grays Villa E.1027 an der Côte d’Azur
Ein Haus, ein Manifest: Als Eileen Gray ihr Sommerhaus in Roquebrune-Cap-Martin realisierte, schuf sie damit ein modernistisches Gesamtkunstwerk, das Architektur, Design und Interieur auf perfekte Weise verband. Der Tragödie hinter dem erst kürzlich komplett restaurierten Haus widmet sich der Film E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer. Am 24. Oktober kommt er ins Kino.
Wem gehört ein Haus? Eine banale Frage, sollte man meinen. Eben der Person, die im Grundbuch steht. Oder, was die Urheberschaft anbelangt, der Architekt*in, die es erbaut hat. Im Falle von Eileen Grays Ferienhaus E.1027 an der Côte d’Azur liegen die Dinge ein wenig anders. Denn wir reden über kein gewöhnliches Haus, das 1926 bis 1929 in Roquebrune-Cap-Martin errichtet wurde. Wir reden über die Projektionsfläche der Moderne überhaupt, in der Anerkennung, Neid, Übergriffigkeit, Vergessenheit und Chaos ineinandergreifen. Kurzum: ein Stoff wie gemacht, um den Sprung aus der Wirklichkeit auf die Leinwand zu meistern.
Halb Dokumentation, halb Spielfilm
Im Film nimmt einen Eileen Grays innere Stimme mit auf eine Reise, die die Grenzen zwischen einem abstrakten Innenraum und einem eher architektonischen Atelierraum überschreitet, um schließlich in der Villa E.1027 zu enden. Archivmaterial webt den historischen Kontext ein. Und ganz am Ende sind Ausschnitte aus einem Interview mit dem irischen Fernsehen aus dem Jahr 1975 zu sehen, dem einzig bekannten Filmmaterial von Eileen Gray. „Wir haben uns entschieden, mit Schauspieler*innen zu arbeiten, um den drei Hauptfiguren in dieser Geschichte nicht nur eine Stimme, sondern auch einen Körper zu geben. Wir haben nicht nach einer Eins-zu-eins-Darstellung gesucht, sondern nach einer abstrakteren, freieren Interpretation“, erklärt Beatrice Minger, Regisseurin von E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer.
Eigener Weg
„Im Mittelpunkt dieses Films steht ein ungelöster Konflikt“, sagt Beatrice Minger. Um diesen zu verstehen, muss man in der Zeit ein wenig zurückspringen: Eileen Gray war schließlich die erste Frau, die als Autodidaktin in die Rolle einer Möbelgestalterin, Innenarchitektin und schließlich Architektin schlüpfte. Nachdem sie 1902 nach Paris zog, lernte sie den japanischen Lackmeister Seizo Sugawara kennen, mit dem sie zunächst flächige Objekte wie Paravents gestaltete. Bald folgten erste Möbelstücke wie Tische und Stühle. In eine raumgreifende Dimension stieß sie 1919 bis 1922 mit der Inneneinrichtung der Pariser Wohnung der Modemacherin Juliette Lévy vor. Auf der eleganten Pariser Rue du Faubourg Saint-Honoré eröffnete sie ihre eigene Möbelgalerie: nicht unter ihrem eigenen Namen, sondern unter dem männlichen Pseudonym Jean Désert. Der Nachname steht im Französischen für Wüste – als passender Kommentar auf die gesellschaftlichen Zustände jener Zeit.
Gebaute Vision am Meer
Doch Eileen Gray ließ sich nicht beirren. Die gebürtige Irin, die einer aristokratischen Familie entstammte, hatte mehr im Sinn. Mit der Villa E.1027 realisierte sie 1926 bis 1929 ihr erstes Gebäude. Auch die gesamte Möblierung einschließlich der Fensterparavents, Jalousien, Badkeramiken und Spiegel wurde von Eileen Gray entworfen. Sie überließ nichts dem Zufall. Der etwas kryptisch anmutende Name der Villa basiert auf dem alphabetischen Zahlenschlüssel der Initialen von Gray und ihrem Mitarbeiter, Freund und zeitweiligem Liebhaber, dem rumänischstämmigen französischen Architekten Jean Badovici, mit dem sie das Haus am Meer realisierte: E steht für Eileen, 10 für Jean, 2 für Badovici und 7 für Gray.
Weg der Aneignung
Badovici veröffentlichte den Bau noch vor Fertigstellung in der von ihm herausgegebenen Architekturzeitschrift L’Architecture Vivante. Viele Künstlerfreunde kamen zu Besuch. Nach nur zwei Sommern wurde es Eileen Gray zu viel. Sie überließ Badovici 1931 das Haus und baute sich 1932 in den nahe gelegenen Hügeln von Menton eine zweite Villa – Tempe a Pailla genannt. Unterdessen kam Badovicis enger Freund Le Corbusier immer öfter in die Villa E.1027. Ohne Eileen Gray um Erlaubnis zu fragen, bedeckte er 1937 bis 1938 die weißen Wände mit großformatigen, farbigen Malereien. Damit nicht genug: Er ließ sich von Badovici sogar nackt beim Malen fotografieren. Die Besessenheit ging soweit, dass er nur wenige Schritte weiter 1952 sein berühmtes Cabanon errichtete – eine spartanische Denkerzelle mit Blick aufs Meer und natürlich auf die Villa E.1027. War er fasziniert? War er gekränkt? „Das Haus ist mehr als Architektur. Seine Schönheit schmerzt mich“, sagt Le Corbusier, gespielt von Charles Morillon, im Film.
Gewalt, Vandalismus, Vergewaltigung
Eileen Gray ist nie mehr in das Haus zurückgekehrt. Noch vor ihrem Tod 1976 entschied sie sich, die gesamte private Korrespondenz zu zerstören. Allein ihr Werk sollte überdauern. Und so wurden die Dialoge im Film von Beatrice Minger anhand der Erinnerungen und Schriftstücke von Zeitgenoss*innen imaginiert. „Dies ist ein Akt der Gewalt, des Vandalismus, eine Vergewaltigung“, sagt Eileen Gray, gespielt von der irischen Schauspielerin Natalie Radmall-Quirke, im Film. „Man kann argumentieren, dass Le Corbusier nichts falsch gemacht hat. Eileen Gray war schon weg, als er auftauchte. Jean Badovici gab ihm die Erlaubnis für die Wandmalereien und ermutigte ihn sogar. Aber ist es in Ordnung, die künstlerische Vision eines anderen Künstlers zu verletzen und sich anzueignen? Natürlich nicht, würde ich argumentieren. Ich fühlte ein Unbehagen bei diesem Konflikt, eine Empörung, die ich nicht ganz rational erklären konnte“, so Beatrice Minger.
Ihr Ansatzpunkt: „Für mich geht die Verletzung weit über die weißen Wände eines Hauses hinaus. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Künstlerinnen auf die Künste beschränkt, die sich mit Innenräumen befassten – Möbel und Innenarchitektur, Malerei oder Schreiben. Eileen Gray verließ die Enge des Innenraums und betrat das äußere, männliche Territorium: die Architektur. Le Corbusier – der Zeus der französischen Moderne – reagierte darauf und wies sie in ihre Schranken.“ Der Film thematisiert, wie Machtverhältnisse demonstriert und ausgenutzt werden und das Werk einer Gestalterin bewusst gecancelt werden sollte.
Cap der Moderne
Dass die Villa heute ins Bewusstsein zurückgekehrt ist und auch wieder besichtigt werden kann, ist einem anderen Film zu verdanken. 2015 fanden dort die Dreharbeiten für The Price of Desire der nordirischen Regisseurin Mary McGuckian statt, wofür im leer stehenden Gebäude das gesamte Interieur wiederhergestellt wurde. Die Möbel und Objekte wurden so nachgebaut, dass sie der Kamera genügten, jedoch war ihre Materialität und Verarbeitung eher Blendwerk. Nach der Premiere des Streifens erkannte auch der französische Staat als Eigentümer endlich die Bedeutung des Hauses und veranlasste eine Restaurierung, bei der bis 2021 alle Einrichtungsobjekte Stück für Stück originalgetreu wiederhergerichtet wurden. Die bunten Wandbilder von Le Corbusier sind heute Teil der Raumerfahrung. Beatrice Minger ließ sie für ihren Film jedoch per Computerverfahren entfernen. Wer die Villa in ihrem ursprünglichen Zustand erleben möchte, sollte ins Kino gehen.