Stories

Das Prinzip Ordnung

Ausstellung über Le Corbusier im Berner Zentrum Paul Klee

In Bern widmet sich die Sonderschau „Le Corbusier: Die Ordnung der Dinge“ dem Arbeitsprozess des visionären Künstlers, Architekten, Stadtplaners und Designers.

von Andrea Eschbach, 03.04.2025

Die Welt durch Ordnung zu begreifen und zu gestalten, war ihm ein besonderes Anliegen: „Wo Ordnung herrscht, entsteht Wohlbefinden“, konstatierte Le Corbusier einmal. Charles-Édouard Jeanneret (1887-1965), wie er mit bürgerlichem Namen hieß, glaubte, erst durch Ordnung könne der Mensch sich geistig entfalten und von den Launen der Natur, von Zufall und Beliebigkeit befreien. 

Wie sich das Prinzip der Ordnung durch das Werk eines der wichtigsten Impulsgeber der modernen Architektur zieht, zeigt derzeit die Ausstellung Le Corbusier. Die Ordnung der Dinge im Berner Zentrum Paul Klee. Ein großes Unterfangen, dem schaffensreichen Gestalter, der bis heute polarisiert, gerecht zu werden. Denn er war nicht nur Architekt, sondern auch Möbeldesigner, Maler, Bildhauer, Theoretiker und Schriftsteller, errichtete 75 Gebäude in elf Ländern, konzipierte städtebauliche Entwürfe, veröffentlichte über fünfzig Bücher und hinterließ Tausende von Zeichnungen sowie Gemälde, Skulpturen und Wandteppiche. Die Sonderausstellung folgt dem Schweizer auf zwei chronologischen Achsen: Le Corbusier als Künstler und Le Corbusier als Architekt. Dazwischen steht als Bindeglied die Recherche: das künstlerische Formenlabor, seine Quellen und Inspirationen, sein Arbeitsprozess im Atelier.

Die Kunst als Impulsgeber
Und so können die Besucher*innen wählen, welchem Pfad sie folgen möchten: Die Achse Kunst verdeutlicht, wie sich das Universaltalent schon als junger Mann mit Raum und Architektur auseinandersetzte. Nur selten gezeigte Natur-, Landschafts- und Architekturstudien zeugen vom frühen Interesse an Kunst. So erinnert zum Beispiel eine Studie zu Tannenzapfen an den Style Sapin. Diese Spielart des Jugendstils hatte Le Corbusier während seiner kunstgewerblichen Ausbildung unter der Leitung von Charles L'Eplattenier in seiner Heimatstadt La Chaux-de-Fonds kennengelernt. An den Stillleben der 1920er Jahre ist abzulesen, welche Ideen Le Corbusier mit dem Purismus verfolgte – einer avantgardistischen Stilrichtung, die er zusammen mit dem französischen Künstler Amédée Ozenfant entwickelte. Die Gemälde, noch ganz dem Einfluss von Künstlern wie Fernand Léger, Juan Gris und Georges Braque verpflichtet, sind geprägt von geometrischen, sich gegenseitig überlagernden und nahezu durchsichtig erscheinenden Formen, flächigen Farben und einer funktionalen, klar geordneten Ästhetik. Hier probierte Le Corbusier aus, was er später in der Architektur aufnahm – quasi als Fingerübung. 

Wie diese künstlerischen Experimente sich in seinem baulichen Œuvre spiegeln, kann man an der Achse Architektur ablesen. Vergleicht man beispielsweise die Werke der Purismus-Ära mit seinen Entwurfszeichnungen für die modernistischen Villen der 1920er Jahre, stößt man auch dort auf das Thema Transparenz und Ordnung. Große Fensterbänder und offene, lichtdurchflutete Räume schaffen Verbindungen zwischen Innen und Außen; im fließenden Raumerlebnis überlagern sich verschiedene Aspekte der Wirklichkeit. In einem fast einen Meter langen Brief aus dem Jahr 1925 an eine Auftraggeberin wirft Le Corbusier mit bestimmter Hand Worte und Zeichnungen aufs Papier und skizziert damit seine Idee für ihr Haus. Der fast filmartige Entwurf veranschaulicht aufs Schönste Le Corbusiers Konzept der promenade architecturale, eines „architektonischen Spaziergangs“ durch das Haus. Gleich daneben erinnert eine Gouache von der Axonometrie des Maison Cook (1926) mit schwarzen Linien und farbigen Flächen an die Gemälde Mondrians.

Farbkonzept und Modulor
Das Prinzip Ordnung prägt auch Le Corbusiers Umgang mit Farbe. Er definierte eine Palette von 63 harmonischen Farbtönen für die Architektur. Diese polychromie architecturale setzte Le Corbusier besonders in seinen späteren Werken ein, um sowohl ästhetische als auch funktionale Effekte zu erzielen. Die Ausstellung zeigt als prominentes Beispiel dafür die Unité d'Habitation in Marseille (1945-1952). Das brutalistische Beton-Hochhaus ist ein Paradebeispiel für seine Idee der „Wohnmaschine“, die den Wohnbau in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts maßgebend prägte. Seine Siedlung mit mehr als 300 Wohnungen, Kindergarten, Hotel und diversen Geschäften funktioniert wie eine „vertikale Stadt“. Hergestellt wird sie in Serie – ein Vorläufer der Plattenbauten.

Die neue Art des Wohnens sollte in den Nachkriegsjahren für möglichst viele Menschen Wohnraum schaffen. In der experimentellen Wohnanlage verwendete er kräftige, kontrastierende Farben, um den funktionalen, strengen Charakter des Baus aufzulockern und eine positive Atmosphäre zu schaffen. Für die kleinen, aber effizienten Räume verwendete Le Corbusier die Modulor-Maße – auch diese Erfindung ist seinem Streben nach Ordnung geschuldet. Das Maßsystem basiert auf menschlichen Proportionen. Dahinter steckt die Idee, dass die menschliche Figur und ihre Proportionen als Grundlage für Architektur und Design dienen können. Der Modulor kombiniert dabei den goldenen Schnitt und die menschliche Körpergrösse – wohl gemerkt mit 1,83 Metern Le Corbusiers Körpergröße selbst – als Ausgangspunkt, um Maße für Türen, Fenster, Räume und Möbel zu bestimmen.

Le Corbusiers Schatzkammer
Die Klammer zwischen Kunst und Architektur bildet die Recherche. Die Ausstellungsmacher*innen widmen diesen Bereich dem „Atelier der geduldigen Forschung“, wie es Le Corbusier nannte. Hier erhält man Einblicke in den Arbeitsalltag von Le Corbusier, der seine Tätigkeit auf zwei Pariser Ateliers verteilte. Man erfährt, dass der Meister ein leidenschaftlicher Sammler war. Seine „collection particulière“ umfasst Tausende Postkarten, Kunstwerke, antike Gegenstände, aber auch afrikanische Plastiken. Ab den 1930er-Jahren trug er auch zunehmend Naturalien zusammen – von Muscheln über Steine bis zu Knochen.

In Vitrinen kann man einen Teil der Sammlung bestaunen. Die Gegenstände dienten ihm als Inspiration, so manche wurden in Skizzen und Entwürfen festgehalten – so eine Zeichnung einer offenen Muschel in Graphit und Pastell auf Papier (1932). Arbeiten wie diese nehmen die spätere Entwicklung seiner Architektur vorweg – hin zu einer „organischen“ Formensprache. So spiegelt sich im Muschel-Sujet das geschwungene, beinahe skulpturale Dach der Kapelle Notre-Dame du Haut von Ronchamp (1950-1955).

Schau mit Schattenseiten
Die Ausstellung bringt die Besucher*innen die enorme Strahlkraft dieser Schlüsselfigur des 20. Jahrhunderts näher. Auch Problematisches wie Le Corbusiers Beziehungen zum französischen Vichy-Regime spart sie nicht aus. Eines jedoch vermisst man: Le Corbusiers Obsession mit Eileen Grays Haus E.1027 in Roquebrune-Cap-Martin, dem südfranzösischen Küstenort, den er als „zum Sterben schön“ bezeichnete. Kleiner Einschub: Das Orakel erfüllte sich, er fand eben dort, im August 1965, den Tod durch Ertrinken nach Herzversagen. Lange davor, im Jahre 1938, hatte er sich das avantgardistische Meisterwerk Eileen Grays angeeignet, in dem er die weißen Wände mit seinen bunten Malereien in einem Akt der Übernahme überzog. Von diesem Drama erzählte gerade kürzlich der vielbeachtete Film E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer. Doch weder Bilder von Le Corbusiers Fresken noch Skizzen von seinem in nächster Nähe erbauten Cabanon – immerhin heute UNO-Weltkulturerbe – finden Einzug in die Schau. Nur ganz hinten im Museumssaal gibt es einen Text dazu an einer Wand mit dem Titel: „Häufig gestellte Fragen“. Ein kleiner Wermutstropfen beziehungsweise eine verschenkte Gelegenheit in einer sonst so gelungenen Schau.

Die Ausstellung Le Corbusier. Die Ordnung der Dinge ist noch bis zum 22. Juni 2025 im Zentrum Paul Klee in Bern zu sehen.

Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Links

Zentrum Paul Klee

www.zpk.org

Mehr Stories

Leben im Denkmal

Ausstellung Duett der Moderne im Berliner Mitte Museum

Ausstellung Duett der Moderne im Berliner Mitte Museum

Zwischen Zeitenwende und Tradition

Unsere Highlights der Munich Design Days und des Münchner Stoff Frühlings

Unsere Highlights der Munich Design Days und des Münchner Stoff Frühlings

Function follows vision

Ausstellung in Krefeld zu Arbeiten von Friedrich Kiesler und Walter Pichler

Ausstellung in Krefeld zu Arbeiten von Friedrich Kiesler und Walter Pichler

NACHHALTIGKEIT TRIFFT DESIGN

GREENTERIOR by BauNetz id auf dem Klimafestival 2025

GREENTERIOR by BauNetz id auf dem Klimafestival 2025

Bauwirtschaft geht leer aus

Verleihung des Bundespreis Ecodesign 2024 in Berlin

Verleihung des Bundespreis Ecodesign 2024 in Berlin

KOMMUNIKATIVER WORKFLOW

Raumkunst Werdenfels setzt auf die 3D-Planung mit Palette CAD

Raumkunst Werdenfels setzt auf die 3D-Planung mit Palette CAD

Analoge Pixelwunder

Mosaikkunst von SICIS aus Ravenna

Mosaikkunst von SICIS aus Ravenna

Design nach Wunsch

Zum individuellen Türgriff mit dem Online-Konfigurator von Karcher Design

Zum individuellen Türgriff mit dem Online-Konfigurator von Karcher Design

Ikone der Moderne

Film über Eileen Grays Villa E.1027 an der Côte d’Azur

Film über Eileen Grays Villa E.1027 an der Côte d’Azur

Fugenlos glücklich

Innovatives Profilsystem von Schlüter-Systems für Keramik- und Natursteinböden

Innovatives Profilsystem von Schlüter-Systems für Keramik- und Natursteinböden

Begehbare Kunstwerke

Planer*innen erzählen von ihren außergewöhnlichsten Bodenerlebnissen

Planer*innen erzählen von ihren außergewöhnlichsten Bodenerlebnissen

Fussballtempel und Fünfsternepalast

Möbel für Hospitality- und Eventbereiche von Brunner

Möbel für Hospitality- und Eventbereiche von Brunner

Die neue deutsche Leichtigkeit

Zu Besuch beim Salone di Aschau

Zu Besuch beim Salone di Aschau

Kosmos aus Kristall

Ausstellung Die Farbe von Glas in München

Ausstellung Die Farbe von Glas in München

Oper der Stühle

Ausstellung A Chair and You im Grassi-Museum

Ausstellung A Chair and You im Grassi-Museum

Neue Einfälle zu Abfällen

Der niederländische Büromöbelhersteller Vepa setzt auf das Kreislaufprinzip

Der niederländische Büromöbelhersteller Vepa setzt auf das Kreislaufprinzip

Kunst & Potenz

Rollende Schönheiten vom Concorso d’Eleganza Villa d’Este 2024

Rollende Schönheiten vom Concorso d’Eleganza Villa d’Este 2024

Klang und Schatten

Eine Ausstellung in Rom mit Keramikplatten von Fiandre Architectural Surfaces

Eine Ausstellung in Rom mit Keramikplatten von Fiandre Architectural Surfaces

Ganzheitliches Designverständnis

Sonderpreise für Formafantasma und Vibia Lighting bei den Iconic Awards 2024

Sonderpreise für Formafantasma und Vibia Lighting bei den Iconic Awards 2024

Formschöne Flexibilität

Brunner stellt Universaldrehstuhl ray work vor

Brunner stellt Universaldrehstuhl ray work vor

Alles auf einmal

Die Bundeskunsthalle in Bonn feiert die Postmoderne

Die Bundeskunsthalle in Bonn feiert die Postmoderne

Moderne Zeiten

100 Jahre Villa Noailles in Hyères

100 Jahre Villa Noailles in Hyères

Blick über den Gartenzaun

Die Ausstellung Garden Futures im Vitra Design Museum

Die Ausstellung Garden Futures im Vitra Design Museum

Alles im Fluß

Keramikfieber auf dem London Design Festival 2022

Keramikfieber auf dem London Design Festival 2022

Innovationsfreu(n)de

Brunner und Stefan Diez präsentieren den Schalenstuhl mudra

Brunner und Stefan Diez präsentieren den Schalenstuhl mudra

Skulpturen für den Alltag

Museum Ludwig widmet Isamu Noguchi eine Retrospektive

Museum Ludwig widmet Isamu Noguchi eine Retrospektive

Spielerische Spekulationen

Die Ausstellung New Normals von Konstantin Grcic in Berlin

Die Ausstellung New Normals von Konstantin Grcic in Berlin

Keramik, Pop und NFT

Neues von der Sammlermesse Design Miami 2021

Neues von der Sammlermesse Design Miami 2021

Zeitloser Funktionalismus

Mid-Century in der zeitgenössischen Innenarchitektur

Mid-Century in der zeitgenössischen Innenarchitektur

Die Welt des Enzo Mari

Retrospektive in der Triennale

Retrospektive in der Triennale