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Außenräume und Innenräume

Wie die Architekturbiennale 2025 in Venedig neue Konzepte für ein Klima im Wandel entwirft

Wie gestalten wir Räume, wenn sich das Klima wandelt – und mit ihm unser Alltag? Die Architekturbiennale 2025 in Venedig liefert darauf keine einfachen Antworten, aber viele inspirierende Impulse. In den Ausstellungen zeigt sich eine neue Raumtypologie, die das Verhältnis von innen und außen neu denkt.

von Fabian Peters, 11.06.2025

„Architektur ist eine Reaktion des Menschen auf das Klima.“ – so schreibt es Carlo Ratti, Kurator der diesjährigen Architekturbiennale, gleich im ersten Satz der Einführung zu „seiner“ Biennale. Mit der Frage, wie Architektur auf den Klimawandel reagieren soll und kann, setzt sich ein Großteil der Projekte, die in Venedig gezeigt werden, auseinander. Carlo Ratti hat eine Vielzahl von Architekturschaffenden eingeladen, die sich auf anspruchsvollstem Niveau mit Bautechnik auseinandersetzen. Von künstlicher Intelligenz über Robotik bis hin zu Bioengineering zeigen die Ausstellenden neueste Verfahren, um in einer nahen oder ferneren Zukunft klima- und ressourcenschonend zu bauen. Umgekehrt spielen Planung und Realisierung konkreter Gebäude nur eine Nebenrolle.

Das Leben zieht nach draußen
Wer auf dieser Architekturbiennale etwas über die Zukunft des Wohnens und Arbeitens erfahren will, muss deshalb genauer hinschauen. Auf den zweiten Blick lässt sich aber eine Tendenz ausmachen, die sich im Möbeldesign bereits seit einigen Jahren abzeichnet: Wenn es nach den Designerinnen und Designern, den Architektinnen und Architekten geht, soll immer mehr Leben im Freien stattfinden. Wo die Temperaturen steigen, Hitze zum Normalzustand wird und energiefressende Klimaanlagen ökologisch kaum mehr zu vertreten sind, sollen natürlich belüftete und verschattete Bereiche, die zwischen Innen- und Außenraum geschaltet werden, Aufenthaltsqualität bieten. Diese Art hybrider Räume, die Eigenschaften geschlossener sowie offener Bauweisen besitzen, finden sich vielerorts auf dieser Architekturbiennale. Kaum etwas davon ist völlig neu oder gar revolutionär. Vielmehr sind es häufig traditionelle Architekturen, die Anregungen für solche klimaangepassten Bauweisen liefern. Dennoch: Diese Biennale entwirft das Bild eines zukünftigen Lebens, das viel weniger als heute in geschlossenen Räumen stattfindet.

Roofscapes Studio: Taktische Anpassung an urbane Hitze
Ein praxisnahes Projekt in dieser Hinsicht zeigt Roofscapes Studio. Das französische Team demonstriert mit dem Beitrag Climate Realignment - Tactical Adaptations to Urban Heat am Beispiel typischer Pariser Wohnhäuser Strategien gegen die Auswirkungen der globalen Erwärmung. Das Büro hat Hitzekartierungen von Bestandsbauten in der Pariser Innenstadt ausgewertet und aus den Befunden Interventionen abgeleitet, um für die Bewohner*innen den bereits vorhandenen, vor allen Dingen aber den erwarteten Hitzestress zu minimieren. Das wichtigste Instrument ist dabei die Schaffung von Freisitzen, Veranden, Dachterrassen und Balkonen. Diese Übergangszonen zwischen Innenraum und Stadtraum werden von Roofscapes Studio durch Markisen und Pergolen verschattet und reichlich begrünt. Die Pflanzen schaffen nicht nur für die Hausbewohner*innen angenehme Aufenthaltsbereiche und kühlen die Gebäude – sie beeinflussen auch das gesamte Stadtklima positiv.

Verschattung als zentrales Motiv
Das Thema Verschattung ist ein heimliches Leitthema dieser Architekturbiennale. Leichte Dächer, die vor der Sonne schützen, gibt es überall zu sehen. Mit dem Konzept eines Sonnendachs, das zugleich Teil eines raffinierten natürlichen Lüftungssystems ist, konnte der Pavillon Bahrains sogar den Goldenen Löwen für den besten Nationenbeitrag erringen. Eine von einer Mittelsäule abgehängte Dachscheibe überspannt ein Podium gleicher Größe. Die ausgeklügelte Kühlfunktion, die die Fläche unterhalb des Dachs temperiert, wurde von Alexander Puzrin, Professor für Geotechnik an der ETH Zürich entwickelt: Auf Bodenhöhe wird Luft aus der Umgebung angesaugt, in einem tiefen Bohrschacht abgekühlt, durch die Mittelsäule in die Dachscheibe geführt und von dort aus gleichmäßig in den darunter liegenden Bereich geleitet.

Die Veranda als kultureller Resonanzraum
Ob es sich bei dieser Technologie tatsächlich, wie behauptet, um eine Fortentwicklung von Baupraktiken handelt, die in Bahrain seit jeher gegen die Sonnenhitze genutzt werden, sei dahingestellt. Wesentlich eindeutiger ist die Situation da im Pavillon der USA. Hier steht eine Bauform im Mittelpunkt, die geradezu ein Inbegriff des „American Way of Life“ ist: die Veranda. Der US-Pavillon beschäftigt sich nicht nur intensiv mit der Historie dieser Pufferzone zwischen innen und außen, er demonstriert auch mit zahlreichen Modellen, wie die „Porches“ in der US-amerikanischen Gegenwartsarchitektur weiter fortleben. Das gewaltige hölzerne Vordach, das Marlon Blackwell Architects, D.I.R.T und TENxTEN zwischen den Seitenflügeln des Pavillons eingebaut haben, liefert dazu ebenfalls Anschauungsunterricht.

Pflanzen als Klimapartner im Innenraum
Wie die auf der Biennale 2025 gezeigten überdachten Außenräume und offenen Innenräume genutzt werden sollen, haben die Entwerfenden in den wenigsten Fällen festgelegt oder angedeutet. Ob für sie wirklich ein Bedarf besteht, muss sich erst noch zeigen. Eines steht jedoch fest: Ohne geschlossene Räume wird es auch zukünftig nicht gehen. Was also dort tun gegen die Hitze? Die Lösung, die im belgischen Pavillon erprobt wird: die Natur hineinholen. Der Landschaftsarchitekt Bas Smets und der Neurobiologe Stefano Mancuso erforschen, wie mithilfe von Pflanzen das Innenraumklima positiv beeinflusst werden kann. Dazu wurde im Pavillon eine Biosphäre in Form einer annähernd raumfüllenden Bepflanzung installiert. Biosphäre und Raumklima werden über den Verlauf der Biennale kontinuierlich erfasst und ausgewertet.

Luftreinigung im Möbelformat
Einen ganz ähnlichen Ansatz, jedoch deutlich praxisorientierter, verfolgt das Projekt Fabbrica dell’Aria des Start-ups PNAT aus Florenz. Hier wird nicht wie im belgischen Pavillon der gesamte Raum zur Biosphäre – vielmehr wachsen die Pflanzen unter optimierten Bedingungen in schrankgroßen gläsernen Kuben. Diese Glasboxen sollen zukünftig beispielsweise in Büroetagen aufgestellt werden, um die Raumluft zu reinigen.

Innenräume im Wandel: Schutz oder Öffnung?
Werden die Teilnehmenden der Biennale 2025 mit ihren Zukunftsvisionen recht behalten? Werden sich Natur und Architektur zukünftig viel stärker gegenseitig durchdringen? Wird draußen das neue drinnen? Oder wird eine genau gegenteilige Entwicklung einsetzen? Wird der Mensch sich immer stärker in die Innenräume seiner Bauten zurückziehen, um einer lebensfeindlichen Umgebung zu entkommen? „Denn Architektur“, auch das schreibt Carlo Ratti in seiner Einführung, „erschafft der Mensch nicht nur im Dialog mit der Natur – Architektur schützt ihn auch vor der Natur.“

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Links

Architekturbiennale 2025

www.labiennale.org

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