Werkzeugkasten der Möglichkeiten
Rückblick auf die Dutch Design Week 2025
In einer Welt, in der scheinbar alles schon entworfen ist – was gibt es da noch zu gestalten? Gesellschaftliche Krisen, Klimawandel und Ressourcenknappheit liefern der neuen Generation von Designer*innen reichlich Ansatzpunkte. Auf der Dutch Design Week zeigten sie, dass Gestaltung längst nicht nur schönen Formen gilt, sondern auch den großen Fragen unserer Zeit.
Die DDW feierte in diesem Jahr ihr 25-jähriges Bestehen und hat sich von der Absolventenschau der Design Academy Eindhoven zum europäischen Zentrum für Nachwuchsdesign entwickelt. Mit über 2.500 Aussteller*innen an 120 Orten zählt sie zu den größten Festivals ihrer Art. Sie ist ein Ort für Experimente, Reflexion und Haltung. Unter dem Motto „Past. Present. Possible“ widmete sich die diesjährige Ausgabe der Verbindung von Tradition, Gegenwart und Zukunft. Statt Preisschildern standen Ideen, Prozesse und gesellschaftliche Visionen im Vordergrund – auch wenn im Hintergrund die Hoffnung auf Förderung oder Kooperation mitschwang.
Design als Seismograph
Von anderen Messen unterscheidet sich die DDW durch ihren inhaltlichen Anspruch: Sie versteht Design als Seismograph gesellschaftlicher Veränderungen. Es geht um Baumaterialien, die Gebäude kühlen, um humane Unterkünfte für Geflüchtete, die Wiederverwertung von Abfällen oder den Ersatz giftiger Stoffe durch neue Materialien.
Alles ist in Bewegung – und das zeigte sich besonders in den Hochschulpräsentationen. Über hundert Abschlussarbeiten allein an der Design Academy Eindhoven befassten sich mit der Rolle von Gestaltung in einer überhitzten Welt. Sie reichten von aktivistischen Projekten, die den Hambacher Forst als Symbol ökologischen Widerstands deuten, bis zu spekulativen Szenarien einer postindustriellen Konsumgesellschaft. Dazwischen: Arbeiten aus recyceltem Aluminium, Bauschutt, Muschelschalen oder Myzel, einem Material, das wächst, zerfällt – und damit Vergänglichkeit als Teil des Designprozesses begreift.
Ähnlich engagiert präsentierten die German Design Graduates (GDG) ihre Arbeiten, die in der Area 51 ausgestellt wurden. Kuratiert vom Designbüro Raw Colors, zeigten die Projekte, wie junges Design gesellschaftliche, ökologische und menschliche Themen neu denkt. Modulare Möbel, temporäre Wohnstrukturen, ressourcenschonende Textilien oder Strategien gegen Fast Fashion – sie alle verkörpern ein reflektiertes, verantwortungsbewusstes Designverständnis.
Nachhaltigkeit und Verantwortung
Diese Haltung prägt viele Arbeiten: Design wird zum Werkzeug gesellschaftlicher Verantwortung. Beim Secrid Talent Podium 2025 im Klokgebouw zeigten junge Designer*innen, wie Gestaltung Wandel anstoßen kann – von Itika Gupta (Dungse Labs), die Kuhdung in Baumaterial verwandelt, über Auke Bleij (Respyre) mit moosbewachsenen Fassaden bis zu Elizabeth Lee (Carbon Cell), die CO₂-negative Verpackungen entwickelt, und dem Label (un)woven, das textile Abfälle in neue Baustoffe überführt.
Die niederländische Marke Secrid, bekannt für ihre minimalistischen Kartenhalter, trat bereits zum vierten Mal als Förderer und Accelerator auf. Im Rahmen der DDW präsentierte das Unternehmen sieben internationale Talente und begleitete sie mit Coaching, Sichtbarkeit und Preisgeld – ein Beispiel dafür, wie Wirtschaft, Forschung und gesellschaftliche Verantwortung zusammenfinden können.
Entwerfen für das Ungewisse
Der Pavillon De Wachtkamer (Der Warteraum) auf dem Ketelhuisplein widmete sich der niederländischen Flüchtlingspolitik – einem Thema, das im Designkontext selten physisch erfahrbar wird. Das Projekt der gleichnamigen Organisation zeigt, wie Architektur und Sozialgestaltung ineinandergreifen können: Ein modulares Sperrholzsystem, das über bestehende Etagenbetten in Notunterkünften passt, schafft Privatsphäre und Würde für Geflüchtete. Zugleich macht der Pavillon sichtbar, wie provisorische Strukturen zu Räumen der Menschlichkeit werden können. De Wachtkamer ist damit mehr als ein Entwurf – es ist ein Statement über das Gestalten von Fürsorge in einer Zeit, in der politische Systeme auf Distanz setzen.
Recycling der Ideen
Im Van Abbemuseum blickte die Ausstellung „Bridging Minds“ auf das Verhältnis von Macht und Gestaltung. Unter den zahlreichen Exponaten fielen besonders die Arbeiten von Dirk van der Kooij, Joris Laarman und Formafantasma ins Auge. Sie beschäftigen sich mit dem Recycling von Plastikmüll, der Wiederverwendung von Aluminium und dem Einsatz von Bioverbundstoffen. Dass diese Projekte bereits zwischen 2006 und 2010 entstanden sind, verleiht ihnen eine unerwartete Aktualität: Sie zeigen, wie früh die zentralen Fragen nachhaltigen Designs gestellt wurden – doch heute treffen sie auf neue Technologien, andere Lieferketten und ein bewussteres Publikum.
Die kleinen Lösungen
Wer von Eindhoven die eine große Lösung erwartet hatte, fand stattdessen viele kleine. Die meisten Projekte sind (noch) nicht skalierbar, manche zu experimentell. Doch genau darin liegt ihre Kraft: Es sind die kleinen, lokal verankerten Ideen, die den Wandel greifbar machen. Sie zeigen, dass Design weniger im Antworten als im Suchen, Erproben und Korrigieren besteht. Die Dutch Design Week 2025 lieferte kein fertiges Szenario, sondern einen Werkzeugkasten, mit dem eine neue Generation beginnt, die Zukunft Schritt für Schritt zu entwerfen.
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